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Kulturpolitik

Hinter den Kulissen brodelt es

Die Semperoper sucht wieder einen neuen Intendanten · Von Michael Ernst

Hinter den Kulissen ist Oper oft spannender als auf der Bühne. Neues entsteht, wird wieder verworfen, meist ganz künstlerisch undemokratisch, manchmal fliegen die Fetzen, wenn bei den Endproben die Nerven blank liegen. Hinter den Kulissen sind die Strukturen des Musiktheaters unverstellt. Nur schade, dass breiteres Publikum von dieser Perspektive meist nichts mitbekommt.

Die Akteure in Dresden: Kunstministerin Sabine von Schorlemer (Foto: Stephan Floss)

Die Akteure in Dresden: Kunstministerin Sabine von Schorlemer (Foto: Stephan Floss)

Verträge zum Beispiel. Die werden ja auch hinter den Kulissen geschmiedet. Und dann – Vorhang auf! – wird ein neuer Intendant präsentiert. An der Sächsischen Staatsoper war dieser Posten seit dem tragischen Tod von Ulrike Hessler im Sommer 2012 vakant, zur nun bevorstehenden Spielzeit sollte der Belgier Serge Dorny die Nachfolge antreten. Für viele Beobachter eine Überraschung, da Dorny an die Oper Lyon gebunden ist, die er seit gut zehn Jahren mit Fortune leitet. Dresdens Erwartungen waren dementsprechend hoch.

Hinter den Kulissen war jedoch schon während der eiligen Vorbereitungsphase ein mächtiges Knirschen zu vernehmen – bis Ende Februar plötzlich die sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Sabine von Schorlemer (parteilos) den Belgier fristlos vor die Tür setzte. Was für ein Opernstoff! Dramatisch bis hin zum Komplott! Und nicht frei von Emotionen: „Wenn man während der Verlobungszeit mitbekommt, dass etwas nicht stimmt, ist es besser, die Ehe nicht einzugehen.“ Mit diesem brachialen Fazit wurde auf den Punkt gebracht, woran die allzu kurze Liaison Dornys an der Elbe schon frühzeitig kränkelte. Er habe „in den vergangenen Monaten leider kein Klima des gedeihlichen und vertrauensvollen Miteinanders mit den Mitarbeitern, sowohl in den künstlerischen als auch in den administrativen Bereichen der Oper, etablieren“ können, hieß es ungewohnt forsch in der Begründung aus dem Ministerium. In Lyon äußerte sich der geschasste Noch-Intendant höchst befremdet und verwies darauf, dass er sich wiederholt bei der Staatsministerin über seine Rechte als künftiger Intendant der Semperoper habe erkundigen wollen. Zur Debatte standen Kompetenzstreitigkeiten mit Christian Thielemann als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle.

Der Ex-Intendant in spe Serge Dorny (Foto: Matthias Creutziger)

Der Ex-Intendant in spe Serge Dorny (Foto: Matthias Creutziger)

Das 1548 gegründete Orchester erweist sich traditionell und qualitativ als die Grundfeste des Dresdner Musiktheaters. Sollte ein Fachmann wie Dorny tatsächlich so blauäugig gewesen sein, sich zum Alleinherrscher aufschwingen zu wollen? So etwas wie das Letztentscheidungsrecht in Orchesterfragen würde sich Thielemann nie aus den Händen nehmen lassen, folglich stimmte der Dirigent dem Kunstministerium „in vollem Umfang zu“. Ein Kommentar, so kurz und bündig, der Bände spricht und Erinnerungen weckt.

Als nämlich der italienische Dirigent Fabio Luisi zum Generalintendanten an der Elbe berufen wurde, kulminierte die musikalische Probenarbeit dort rasch im Kurzlibretto „Er oder ich!“ und zog eine rasche Stab-Übergabe an Christian Thielemann nach sich. Dieses spannende Stück klingt nun in der Causa Dorny als geflügeltes Wort nach, obwohl es diesmal gar nicht ausschließlich um Dorny oder Thielemann gegangen sein soll, sondern auch um Fragen des Stils. Die sonst so zurückhaltende Freifrau aus dem Kunstministerin attestierte dem französischen Flamen „Vorstellungen über die notwendige Kultur zur Führung eines großen europäischen Opernhauses“, die nicht mit hiesigen Gepflogenheiten vereinbar seien. Eine sofortige Kündigung sei daher ohne Alternative gewesen. Das hat Format und wird teuer.

Christian Thielemann, Chefdirigent der Sächsischen Staatskappelle (Foto: Matthias Creutziger)

Christian Thielemann, Chefdirigent der Sächsischen Staatskappelle (Foto: Matthias Creutziger)

Denn aus den undichten Kulissen drang unterdessen hervor, dass Dorny tags drauf selbst kündigen wollte, wenn ein von ihm an das Staatsministerium gerichteter Forderungskatalog nicht vollständig erfüllt würde. Ein Ultimatum im vorletzten Akt! Hätte man diesen Tag nicht abwarten können, fragen sich nun die gemeinen Steuerzahler im Opernpublikum. Als ginge es lediglich um einen bühnenreifen Auftritt der Diven, wurde diese Wendung im Plot mit dem dramaturgischen Stilmittel vermiedenen Gesichtsverlusts begründet. Teurer kam so viel Visagenkosmetik dem Volksvermögen wohl niemals zuvor. Immerhin hatte sich Dorny ein Jahressalär von rund 300.000 Euro ausgehandelt, bei einer fünfjährigen Laufzeit seines Vertrags steht nun ein Streitwert von 1,5 Millionen Euro zur Debatte. Dieser Akt wird allerdings auf der Nebenspielstätte des Arbeitsgerichts ausgetragen.

Die Hoffnung auf eine gütlichen Einigung der Parteien scheint allerdings fraglich, denn kurz vor Redaktionsschluss kursierte in Lyon ein Offener Brief, der das Betriebsklima unter Dorny moniert und Dresden „mehr Klarsicht“ attestiert. Man will Serge Dorny also nicht wieder zurückhaben. Der argwöhnt inzwischen eine Intrige. Die gibt es ja auch nicht nur auf offener Bühne, sondern ausgereift hinter allen Kulissen. Spannend! Nur schade, dass Sachsens Tempel des touristischen Musiktheaters nun noch länger ein Haus ohne Hüter sein wird. Von Schorlemer ist noch bis Ende August im Amt, dann wird in Sachsen gewählt. Und vorher fällt in der Intendantenfrage der Semperoper keine Entscheidung.

Michael Ernst

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