Lokal, regional, international
Die erste Heidelberger Tanzbiennale · Von Jelena Rothermel
Ausgerechnet Heidelberg. Hier, wo der Tanz seit Jahrzehnten keine Rolle gespielt hat, wurde Ende Februar ein Tanzfestival aus dem Boden gestampft. 10 Tage, 23 Veranstaltungen, Workshops, Ausstellungen, Tanzfilme; das ganze Programm. Kann das funktionieren?
Das Wagnis hatte einen Vorlauf: Zur Spielzeit 2012/2013 holte Holger Schultze, der damals noch „neue“ Intendant des Heidelberger Theaters, die Choreografin Nanine Linning und ihre Tanzcompagnie an den Neckar.
Kindertanztag mit Odile Foehl, Emily Welther in „MAMPF“
(tanzfuchs Produktion). Foto: Meyer originals.
Anderswo lösten sich Ensembles auf oder mussten fusionieren, hier entstand eine neue Sparte. „Anfangs war das eine aufregende Zeit, weil wir ja auch nicht wussten, ob die Heidelberger den Tanz annehmen würden“, meint Holger Schultze, „aber es hat eingeschlagen wie eine Bombe. Alle Vorstellungen waren ausverkauft.“
Die Tanzeuphorie war also schon entfacht. Die erste Heidelberger Tanzbiennale sollte noch einmal alle Ideen der Initiatoren bündeln und die Begeisterung schüren. Hierfür verstärkten Schultze und Linning die Zusammenarbeit mit Jai Gonzales und Bernhard Fauser vom UnterwegsTheater. Durch die Kooperation mit der freien Szene konnten Synergien genutzt werden. Aber auch die Heidelberger selbst machten mit. Dies mündete in „HD moves“, der Eröffnungsveranstaltung des Festivals. Wie in einem Parcours durchlief der Besucher das Theater, das sich in ein bewegtes Portrait Heidelbergs verwandelt hatte. 10 Choreo-grafien mit 114 Laiendarstellern setzten die Dynamik der Stadt in Bewegung um: Senioren tanzten zu Schlagern, Jogger drehten ihre Kreise. Köche rührten den Teig zu Rapmusik, und auch der Oberbürgermeister hetzte über die Bühne. Die Zuschauer kamen in Scharen, sodass der einzige Makel des Abends das Gedränge um die besten Plätze war.
Mit dem Kindertanztag stand gleich das nächste Großprojekt an. Schüler präsentierten die Choreografien ihrer Workshops, ein „Ess-Konzert“ lud die Kleinsten zum Schmecken, Schmatzen und Schnuppern ein. In „Tanz Trommel“ erkundeten zwei Menschen die Welt, die Tänzerin mit ihren Füßen, der Trommler mit Händen und Ohren.
„Bastard“
(Dudapaiva Company) mit Duda Paiva. Foto: Jaka Ivanc
Nach dem lokalen Bezug zu Beginn konnten die Zuschauer unter der Woche die Vielfalt der internationalen Tanzszene bestaunen. Holger Schultze sieht den Tanz als „eine Kunst, die sich immer wieder neu schafft und die deshalb so unglaublich vielfältig ist. Wir wollten dem Publikum die Möglichkeit geben, die unterschiedlichsten ästhetischen Ansätze verfolgen zu können.“ „Drugs kept me alive“ machte den Anfang. Der belgische Choreograf Jan Fabre hatte dem Tänzer Antony Rizzi den Monolog auf den Leib geschneidert. In einer Mischung aus Tanz- und Sprechtheater rühmte Rizzi die Wirkung von Pillen und Pülverchen; seine Sprache war dabei genauso gewaltig wie sein Tanz, der exzessiv und elegant die Themen Krankheit, Tod und Sex in Bewegung verwandelte. In „Double Points: VERDI“ des ICKamsterdam schlüpften Tänzerinnen in die Rollen dreier Opernheldinnen, bei „Parkin’son“ ging es intimer und – wie in „Drugs kept me alive“ – autobiografisch zu: Stefano d’Anna hat Parkinson, sein Sohn Giulio nähert sich ihm und der Krankheit tänzerisch: Sie kämpfen, umarmen und verspotten sich. Mit unglaublicher Vorsicht, aber auch viel Witz, bewegen sich die zwei Körper durch die karge Bühne.
Nach dem Ergreifenden Groteskes: In „Gustavia“ schluchzen Mathilde Monnier und La Ribot bis zur Schmerzgrenze und stoßen sich gefühlte hundert Mal slapstickartig den Kopf an einem Brett. Übertreibung war Teil des Konzeptes. Getragen wurde das Spiel von der großartigen körperlichen Präsenz der beiden „Grandes Dames“ des zeitgenössischen Tanzes. Bei der tschechischen Compagnie „420people“ ging es zunächst sportlich zu. Doch dann zauberten Václav Kunes und Natasa Novotná ein zartes Gespinst aus Bewegungen auf die Bühne, ein gewaltiger Kontrast zur energiegeladenen Ensembleleis-
tung zu Beginn.
Lokal, international, regional: Das war der Dreischritt des Festivals. Den Abschluss krönte eine Tanzgala mit zwölf Compagnien aus Baden-Württemberg. Von klassischem Ballett bis zu Breakdance zeigten die festen und freien Ensembles, was das Land in Sachen Tanz alles zu bieten hat.
Eine Tanzbiennale in Heidelberg, kann das funktionieren? Es kann: 99 Prozent Auslastung verbuchten die Veranstalter. „Aber unabhängig von Besucherzahlen wollten wir den Anstoß geben, wieder über die Bedeutung des Tanzes in unserer Kultur nachzudenken“, betont Schultze. Das scheint gelungen zu sein: Die großartigen Produktionen sind auch Tage nach dem Fes-tival noch in aller Munde. Und die Biennale war Werbung für den Tanz auch über Heidelberg hinaus.
Jelena Rothermel
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