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Ohne rechte Attacke
Wilfried Hillers „Flaschengeist“ in München · Von Wolf-Dieter Peter
Die vom Gasteig in Auftrag gegebene Oper – nach Robert Louis Stevensons Erzählung vom Flaschenkobold – erzählt vom hawaiischen Matrosen Keawe. Dieser erwirbt eine Flasche, deren teuflischer Bewohner ihm alle Wünsche erfülalt. Der Haken: Der Besitzer kommt in die Hölle, sofern er die Flasche zum Zeitpunkt seines Todes noch sein Eigen nennt. Er muss sie zuvor – für einen günstigeren als seinen Einkaufspreis – weiter verkauft haben. Was Keawe mit diesem Flaschengeist – und mit seiner großen Liebe Kokua – erlebt, ist Inhalt der Oper, die jetzt am Gärtnerplatztheater ihre Uraufführung erlebte.
Ensemble in Hillers „Der Flaschengeist“. Foto: Christian Zach
An einer Stelle verdichtet sich das Zusammenspiel von zwei Klavieren, zwei Harfen, kleinem Orchester und vier an den Bühnenseiten verteilten Schlagwerkgruppen zu klanglich herrlicher Expression: als Keawe seiner geliebten Kokua das ganze Elend seines bisherigen Paktes mit dem dämonischen Flaschengeist gesteht – er setzt an, und nach wenigen Worten übernimmt die Musik… Seine Lippen bewegen sich stumm, nur die Musik tönt und beschwört atmosphärisch, dass da ein Paar in Liebe vereint gegen alle üblen Anfechtungen ankämpfen wird. Leider bleibt es bei diesem Höhepunkt vor der Pause. Davor und danach hat der musiktheatralisch erfahrene Hiller zwar Klangreize komponiert, kann damit aber musikdramatisch kaum fesseln. Über 50, teils exotische Schlaginstrumente bis hin zu chromatisch gestimmten Steinen, zaubern leider keine rhythmischen Raffinessen, verdichten Dramatisches nie wuchtig. Die Liebe darf sich weder solo noch im Duett hymnisch aussingen. Der teuflische Flaschengeist tönt zwar allein durch die Stimmlage „Countertenor“ hervor, doch selbst extreme Tonsprünge, grelle Phrasen und zwei ihn aus dem Off umtönende Frauenstimmen machen aus ihm keine packende Figur. Selbst die vom ehemaligen Missbrauchsopfer Hiller intendierte „kunst-ironische“ Abrechnung mit einem katholischen Augsburger Internat (der teuflische Geist verkleidet sich als Priester und erreicht mit einer Hasspredigt gegen Keawe fast dessen Steinigung) gelingt nicht wirklich entlarvend bitter oder hämisch grotesk. Dann hat Hiller einem früheren Besitzer des Flaschengeistes ein Lied davon komponiert, wie sehr sich Mensch und Tier oft „krumm“ legen, doch nur die verwendete „ocean drum“ klingt reizvoll. Die auf dem hawaiianischen Marktplatz aufspielende Ziehharmonika bleibt ein Fremdkörper. Lediglich zwei Chorpassagen – als Marktplatzvolk mit Trunkenbolden, hübschen Frauen und zupackenden Seemännern – überzeugen mit ihren an Hillers geliebten Lehrer Carl Orff erinnernden Stampfrhythmen. Am Ende steht ein Quartett: Keawe und Kokua haben sich mit vereinten Liebeskräften vom Flaschengeist „freigekauft“; der hat in einem ohnehin todgeweihten Säufer ein Opfer gefunden – doch die beiden Gefühlslagen sind nicht zu einem fulminanten Schlusspunkt gegeneinander auskomponiert.
Äußerlich erschwerend kommt hinzu, dass durch Ton- und Bildaufzeichnung samt gelegentlicher Mikroport-Verstärkung der Stimmen die Akustik nicht ausbalanciert war. So hatten es Dirigent Michael Brandstätter und die durchweg sehr guten Solisten nicht leicht. Dennoch sangen Katharina Ruckgaber (Kokua) und Paul Schweinester (Keawe) ein hübsches Liebespaar. Mit Hinkefuß und gespenstischer Maske war Roland Schneider ein fieser Flaschen-Teufel, zu dem Heinz Schmidtpeter (Vater und Bettler) und Holger Ohlmann (Flaschenbesitzer und Bootsmann) vor allen anderen kleinen Solopartien hübsch kontrastierten. Angesichts der eingeschränkten Bühnenmöglichkeiten im Carl-Orff-Saal des Gasteig hatten die Werkstätten des Gärtnerplatztheaters dennoch gezaubert. Die Ausstattung durch das Duo Leikauf-Fehringer beschwor Exotik, ohne sich auf Hawaii festzulegen. Licht und Projektionen veränderten und weiteten den Raum sinnfällig. Nicole Webers Regie erzählte die Handlung klar und eingängig. Nur muss Wilfried Hiller und Felix Mitterer als Librettisten leider „wenig Biss“ attestiert werden. Robert Louis Stevensons „Flaschengeist“-Erzählung reizt ja nicht nur mit einer „teuflischen“ Falle: dass vor den späteren Höllenqualen jetzt im Leben jeder Wunsch in Erfüllung geht, dass man die Flasche samt Hölle aber nur los wird, indem man sie zu einem geringeren Preis weiterverkauft – bis hin zum kaum (aber doch!) unterbietbaren „Schluss-Preis“ ein Cent. Stevenson entlarvt schon am Ende des 19. Jahrhunderts alle kapitalistische Geldgier als „teuflisch“ – die denkend schreibenden Zeitgenossen Hiller/Mitterer müssen nun angesichts unserer Krisen im Turbokapitalismus sicher kein moralinsaueres Lehrstück liefern, aber so brav und bieder, ohne richtige Attacke muss die Handlung nicht daherkommen. Den herzlichen Beifall hatten so vor allem alle Ausführenden verdient.
Wolf-Dieter Peter
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