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Berichte

Mittelalterlicher Bilderbogen

„Der feurige Engel“ an der Komischen Oper Berlin · Von Isabel Herzfeld

Alles an dieser Inszenierung scheint rundum gelungen. Ein zumindest diskussionswürdiges und in der Personenführung sehr überzeugendes Regiekonzept des jungen australischen Star-Regisseurs Benedict Andrews – erfolgreich mit Cate Blanchett in Botho Strauß‘ „Groß und klein“ – erntet einhelligen Publikumsjubel ohne den leisesten Buhruf, zusammen mit einer überragenden Riege von Sängerschauspielern. Es ist ein Verdienst der Komischen Oper Berlin, nach über vierzig Jahren ein kaum gespieltes, in seiner Komplexität hochattraktives Werk aus der Versenkung zu holen. Zunächst wurde Sergej Prokofjews Oper „Der feurige Engel“ nach ihrer Vollendung 1923 nur konzertant in Paris aufgeführt und erlebte nach einer geplatzten Uraufführung fünf Jahre später in Berlin erst 1955 ihre erste Inszenierung durch Giorgio Strehler. Die wenigen Aufführungen, die in Brüssel, Wien oder Weimar folgten, entdeckten eine grandiose, klang- und ausdrucksintensive Musik und mühten sich um schlüssige Deutungen des für den heutigen Zeitgeschmack manche Abstrusitäten enthaltenden Librettos. Der Komponist verfasste es selbst nach dem gleichnamigen Roman von Waleri J. Brjussow, der eine reale Dreiecksbeziehung des Autors in einer spätmittelalterlichen Szenerie symbolistisch verklausuliert.

Jens Larsen als Inquisitor, Svetlana Sozdateleva als Renata und Chorsolistinnen der Komischen Oper Berlin. Foto: Iko Freese/drama-berlin

Jens Larsen als Inquisitor, Svetlana Sozdateleva als Renata und Chorsolistinnen der Komischen Oper Berlin. Foto: Iko Freese/drama-berlin

Natürlich geht es um Reinheit und Sünde einer Frau, deren Begehren nach männlichen, erklärtermaßen himmlischen Maßstäben beurteilt wird. In früher Jugend verfällt Renata der Erscheinung eines „feurigen Engels“ namens Madiel, der sich jedoch erbost von ihr abwendet, als sie nach körperlicher Liebe verlangt. Fortan jagt sie diesem Traumbild nach und glaubt es kurzfristig im Grafen Heinrich inkarniert zu finden. Die Liebe des Ritters Ruprecht dagegen kann sie nicht wirklich erwidern, benutzt ihn eher. Schließlich flieht sie vor dem ganzen Gefühlsdesaster ins Kloster, meint den geliebten Heinrich/Madiel im Inquisitor zu erkennen, der sie als besessene Unruhestifterin zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt.

Was hat uns diese Geschichte von unterdrückter weiblicher Sexualität und ihrer männlichen Aburteilung heute zu sagen? Im Bemühen um Plausibilität gelangt Andrews zur Vermutung eines frühen Missbrauchs. Renata, die in einer kargen Hotelzimmer-Schachtel (Bühne: Johannes Schütz) Ruprecht in ihre Leidensgeschichte zieht, ist so in vielfacher Gestalt zu sehen: als naiv-verführerisches oder verstörtes Nymphchen im rosa Hemdchen (Kostüme: Victoria Behr), dem sich stumme Anzugherren bedrohlich nähern, als einsame junge Frau, als kichernde Mädchengruppe, die der Protagonistin vor dem Eintritt ins Kloster die Haare abschert – starke Szene einer „Beschneidung“. Das ist für die Handlung vielleicht nicht wirklich nötig und auch nicht neu, schafft aber spannende Bilder und ersetzt zudem die Bühnenarbeiter – manchmal stört das Gewusel auf der Bühne allerdings auch, wenn zahlreiche Ruprecht-Renata-Doubles ständig graue Platten verschieben und neu zusammenbauen. Erst in der letzten Szene enthüllt sich die Stimmigkeit der ganzen Konstruktion: als Klosterzellen, in denen das letzte Autodafé stattfindet – nun ja, der Mensch ist immer in irgendetwas gefangen.

Bis dahin hat Andrews das mittelalterliche Kolorit längst wieder in seine „Modernisierung“ eingelassen. Es qualmt und zischt, wenn der Alchimist Agrippa von Nettesheim (Dmitry Golovnin, auch ein skurriler „Mephisto“-Darsteller) Madiel zu inkarnieren versucht, von drei Skeletten klappernd sekundiert. Poltergeister klopfen wie im „Exorzisten“ an die Wände; rote Teufelinnen umgarnen den enttäuschten Ruprecht, während Heinrich schon vor seiner Inquisitorfunktion mit einem kleinen Benzinkanister herumschleicht, mit dem sich Renata später übergießt, um ganz das Feuer zu werden, das sie die ganze Zeit in sich gespürt hat. Das Klosterbild wird vor allem durch den Frauenchor der Komischen Oper (Einstudierung David Cavelius) grandios: eine entfesselte Schar von Nonnen, deren religiöse Verzückung immer mehr in sexuelle „teuflische“ Besessenheit übergeht – ein Hauch „Teufel von Loudun“, Vorgriff auf Pendereckis Oper von 1968, stellt sich ein.

Die Musik zeigt Prokofjew auf der Höhe seiner Kreativität, ohne ihre späteren Stereotypen nahezu „expressionistisch“ geschärft. Henrik Nánási entlockt dem Orchester der Komischen Oper glühende, gleißende, grellfarbige Klänge – manchmal allerdings zu undifferenziert das leisere Spektrum vernachlässigend und damit auch die Sänger zudeckend. Eine so kraftvolle Stimme wie Svetlana Sozdateleva ficht das kaum an, die ständig auf Hochtouren verzweifelter Leidenschaft läuft. Evez Abdulla als Ruprecht ist ihr an stimmstarker Intensität, vielleicht weniger an nuancierter Darstellung ebenbürtig. Eine „lohnende Ausgrabung“, deren Inszenierung allerdings immer mehr zum Bilderbogen gerät.

Isabel Herzfeld

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