Den Schmerz vermeiden
Die Praxis Pöhlmann & Götz betreut Tänzer des Bayerischen Staatsballetts
Seit 2002 führt Tino Pöhlmann, ausgebildeter Physiotherapeut und Heilpraktiker sowie studierter Osteopath, eine Praxis für Osteopathie in München. Auch zuvor hatte er schon mit Tänzern gearbeitet, daneben mit Sportlern, zum Beispiel der Hockey-Nationalmannschaft oder mit Leichtathleten. 2007 stieß Stefan Götz dazu. Der ausgebildete Physiotherapeut hat sich in den Bereichen Manuelle Therapie und Sportphysiotherapie spezialisiert, die Lizenz für Nationalmannschaften erworben und unter anderem die Schwimmnationalmannschaft betreut. Pöhlmann und Götz stellten fest, dass sich ihre Therapieangebote gut ergänzten – speziell auch für Tänzer und deren besondere Bedürfnisse. Heute führen sie ihre Praxis mit den Schwerpunkten Osteopathie, Physiotherapie und Training sowie verschiedenen Zusatzangeboten. Natürlich kommen auch andere Patienten zu ihnen. Mit dem Bayerischen Staatsballett gibt es aber eine enge Zusammenarbeit. Stefan Moser und Barbara Haack sprachen für „Oper & Tanz“ mit den beiden Praxisinhabern.
Oper & Tanz: Was genau ist Osteopathie?
Tino Pöhlmann. Foto: Praxis Pöhlmann & Götz
Tino Pöhlmann: Osteopathie ist eine ganzheitliche Therapie. Man versucht, mit den Händen Bewegungseinschränkungen, Blockaden, Spannungen im Körper wahrzunehmen, herauszufinden, wie diese mit den Problemen, die der Patient angibt, zusammenhängen. Dann versucht man, mit den Händen diese Spannungen zu lösen, damit der Patient zurück in die Balance kommt und heilen kann. Für die Tänzer ist die Balance natürlich extrem wichtig. Heilen geht immer vom Körper selber aus.
O&T: Es ist also keine rein orthopädisch-physiotherapeutische Behandlung?
Pöhlmann: Man behandelt das craniosacrale System (Nerven), das viszerale System (Organe) genauso wie das Gelenksystem und versucht, das Bindegewebe, welches alles umkleidet und durchzieht, in Symbiose zu bringen. Alle Organe sind am Bewegungsapparat aufgehängt und beeinflussen diesen. Deswegen heißt die Methode Osteopathie, weil die Krankheit sich am Skelett äußert.
O&T: Das Interessante ist das Zusammenspiel der verschiedenen Therapieformen. Wie sind Sie darauf gekommen, das so zu kombinieren, wie Sie es hier in der Praxis machen?
Stefan Götz. Foto: Praxis Pöhlmann & Götz
Stefan Götz: Wir haben gemerkt, dass sich das gut ergänzt. Die Tänzer brauchen eine spezielle Therapie aufgrund ihrer besonderen Biomechanik, ihrer Überbeweglichkeit, ihrer Muskulatur, die nicht zu vergleichen ist mit der eines anderen Menschen.
Pöhlmann: Wir haben festgestellt, dass Training und Physiotherapie dafür sehr wichtig sind, weil es in diesem Bereich viele Defizite gibt: Die Tänzer werden nach Verletzungen zu früh wieder reingeworfen ins Training, sind aber nicht fit genug, um den ganzen Tagesablauf durchzustehen. Daraus resultieren schnell wiederkehrende Verletzungen.
Götz: Der nächste Schritt war, Ex-Tänzer mit ins Boot zu holen. Der Ex-Tänzer weiß natürlich, worum es geht. Ein Kollege zum Beispiel war selbst am Bayerischen Staatsballett und hat danach in Holland Physiotherapie studiert. Er hat dort eine Ballettcompagnie betreut und arbeitet jetzt seit vier Jahren bei uns in der Praxis.
Frühzeitige Problemerkennung
O&T: Mit welchen Problemen und Krankheiten kommen die Tänzer zu Ihnen?
Physiotherapeutische Fuß-Arbeit mit einem Tänzer (Stefan Götz)
Pöhlmann: Unser Konzept lautet: Wir versuchen, kleine Probleme ernst zu nehmen und sie gleich zu behandeln, damit keine großen Probleme daraus werden. Wenn es zum Beispiel mit einer Zerrung, einer Sehnenscheidenentzündung anfängt, mit leichten Rückenproblemen, einem Ziehen an der Hüfte: Da würde im normalen Gesundheitssystem niemand eine Therapie verschreiben. Aber die Tänzer müssen mit Schmerzen tanzen, wenn sie diese Symptome haben. Wir versuchen also, solche Probleme sofort ernst zu nehmen, um größere wie zum Beispiel Kreuzbandrisse, Frakturen und Gelenksentzündungen oder Arthrose zu vermeiden.
Wir haben auch vor der Praxisgründung schon Tänzer betreut. Damals sind sie erst gekommen, wenn es eigentlich schon zu spät war. Dann wurden sie krankgeschrieben, die Verletzungen haben sich über Wochen und Monate hingezogen. Mittlerweile melden sie sich rechtzeitig. Die Wege sind kurz, sie rufen an, wir machen möglichst kurzfristig einen Termin. Und die weitere Diagnostik – wenn es unseren Rahmen sprengt – überlassen wir dann einem Arzt.
O&T: Wie groß ist die Bereitschaft oder auch Hemmschwelle, hierher zu kommen – vor dem Hintergrund, dass diese Tänzer unter einem sehr großen Leistungsdruck stehen?
Pöhlmann: Sie kommen ja als nicht Krankgeschriebene zu uns. Wenn wir feststellen, dass es sich um etwas Gravierendes handelt und den Patienten zum Arzt schicken, kann das natürlich zu einer Krankschreibung führen. Aber die meisten kommen hierher, weil sie Beschwerden beim Tanzen haben, aber eine „Bayadère“ oder eine „Kameliendame“ tanzen müssen.
O&T: Wie genau sieht die Kooperation zwischen dem Staatsballett und Ihrer Praxis aus?
Götz: Seit 2008 gibt es diese Kooperation. Wir rechnen jeden Monat mit dem Staatsballett die Therapien ab, die wir durchgeführt haben. Jeder Tänzer, der ein Problem hat, kann hierher kommen und weiß: Das wird bezahlt. Natürlich gibt es ein Budget, das wir nicht überschreiten dürfen.
O&T: Ist diese Kooperation ein einmaliges Modell in Deutschland, oder gibt es solche Konstruktionen auch anderswo?
Stefan Moser: Es gibt natürlich auch anderswo Compagnien, die ihre Therapeuten haben. Aber in dieser Form ist mir so etwas nicht bekannt.
Pöhlmann: Ich denke auch, dass das relativ einzigartig ist. Wir sind Mitglied im Verein tamed. Auf deren Kongressen habe ich so ein Modell noch nicht kennengelernt. Zumal es ja weit über die reine Physiotherapie hinausgeht.
Ergänzende Angebote
O&T: Sie haben weitere Therapie-Angebote in Ihrem Portfolio…
Pöhlmann: Ja, zum Beispiel Pilates oder Gyrotonic. Wir haben auch eine Ernährungsberaterin, weil Ernährung für die meisten Balletttänzer ein sehr wichtiges Thema ist. Seit kurzem versuchen wir, über NLP das Konzept abzurunden. Wir planen auch eine psychologische Schiene, um den emotionalen Sektor, der ein wichtiger Faktor ist, abzudecken.
O&T: Wie sieht es aus mit psychosomatischen Krankheitserscheinungen?
Pöhlmann: Wir bemerken zum Beispiel, dass diejenigen, die keinen so guten Stand in der Compagnie haben, öfter verletzt sind. Das ist ein Phänomen, das natürlich auch in anderen Bereichen vorkommt, zum Beispiel im Sport. Die, die keinen festen Stand haben, sind öfter krank.
O&T: Sie reagieren nicht nur auf Krankheiten, sondern haben auch ein Projekt initiiert, um vorzubeugen.
Pöhlmann: Ja, wir haben Screenings für die Tänzer durchgeführt. Wir haben sie fünf verschiedene Stationen hier in der Praxis durchlaufen lassen. Wir haben eine Anamnese, eine osteopathische und eine pyhsiotherapeutische Untersuchung sowie eine Ausdauermessung durchgeführt und die Rumpfstabilität getestet. Dazu gehörten Fragen nach der Ernährung, nach der Länge der Ballettzugehörigkeit, den Problemen, Schmerzen, Medikamenten et cetera. Das haben wir ausgewertet und hatten dann einen Status Quo für jeden einzelnen Tänzer: Das kann er, wenn er fit ist. Und wenn er sich verletzt, muss er anschließend dort wieder hinkommen.
Fehlende Grundausdauer
Götz: Etwa die Hälfte der Compagnie hat mitgemacht. Das Screening fand auf freiwilliger Basis statt. Interessant war unter anderem ein maßgebliches Ergebnis beim Ausdauertest. Es kamen beängstigende Ausdauerwerte zu Tage, die unterdurchschnittlich sind.
O&T: Wie kann das sein – bei den körperlichen Herausforderungen, denen die Tänzer ausgesetzt sind?
Moser: Der Tänzer ist darauf trainiert, auf den Punkt extreme Leistungen zu erbringen innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums. Über eine längere Zeitdauer gibt es aber wenig Belastung.
Götz: Eine Grundausdauer bedeutet aus medizinischer Sicht natürlich: bessere Kondition, bessere Regeneration und eine weniger große Anfälligkeit für Verletzungen. In jedem Sport gibt es eine Vorbereitung im Trainingslager. Tänzer kommen aus der spielfreien Zeit zurück, und das Training fängt so an, wie es aufgehört hat. Da gibt es kein Grundlagentraining, um eine Basis zu schaffen, damit die Saison gut durchgehalten werden kann. Sie müssten sich schon individuell organisieren, aber das passiert selten.
O&T: Den Theatern müsste man also empfehlen, das einzuplanen?
Pöhlmann: Genau, das müsste genauso zum Grundtraining gehören wie zum Beispiel die Stange, die Mitte… Im normalen Training wird zum Beispiel nichts für den Oberkörper getan. Theoretisch müsste man regelmäßig mit Liegestützen oder Hanteltraining arbeiten, damit die Rumpfstabilität gegeben ist. Aber das müsste man natürlich von ganz oben einführen, und das ist schwierig. Aber da kommen wir auch noch hin.
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