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Begegnung mit dem Unbekannten

Das Tanzprojekt „fremd“ in Vorpommern · Von Miriam Weber

Unbekannt. Nicht vertraut. Anders geartet. So definiert der Duden „fremd“. „Gerade in unserer eher ländlichen Region in Mecklenburg-Vorpommern steht man dem Unbekannten skeptisch gegenüber“, hat Stefan Hahn, künstlerischer Leiter des Vereins Perform(d)ance, immer wieder beobachtet. Deshalb ist es seit Jahren sein Traum, Vorpommern bunter, vielfältiger und multikultureller zu machen. „Man muss den Menschen die Chance für Begegnungen geben“, sagt der Sozialpädagoge, der an der Ernst-Busch-Universität in Berlin Choreografie und Regie studierte. 2001 gründete er in Stralsund den Verein Perform(d)ance. Seitdem initiierte er mit seinen Mitarbeitern viele Projekte, vor allem für Kinder und Jugendliche.

Wunderbares Zusammentreffen: Schüler aus Berlin und Vorpommern. Foto: Thomas Aurin

Wunderbares Zusammentreffen: Schüler aus Berlin und Vorpommern. Foto: Thomas Aurin

Mit dem aktuellen Tanzprojekt „Fremd“ wird 115 Mädchen und Jungen aus Stralsund und Berlin ein Aufeinandertreffen ermöglicht – eine Begegnung des Unbekannten. „Fremd“ ist die zweite Inszenierung im Rahmen des vom Tanzfonds Partner, einer Initiative der Kulturstiftung des Bundes, geförderten Kooperationsprojektes „Occupy Theatre“ von Perform(d)ance, der Integrierten Gesamtschule Grünthal in Stralsund und dem Theater Vorpommern. Der Titel ist Programm, nicht nur für den Inhalt des Stückes, sondern bereits in der Vorbereitung und Durchführung des Projekts. Denn zu den Achtklässlern der IGS Grünthal gesellen sich 15 Mädchen und Jungen der Hector-Peterson-Sekundarschule aus Berlin Kreuzberg, alle durchweg mit einem Migrationshintergrund. Da treffen nicht nur verschiedene Nationalitäten und Mentalitäten aufeinander, auch die Unterschiede zwischen Metropolen- und Kleinstadtkids können groß sein.

Hinzu kommen acht Choreografen aus verschiedenen Ländern. „Wir sprechen von zehn Nationalitäten im gesamten Ensemble“, sagt Stefan Hahn nicht ganz ohne Stolz. Natürlich hätte das zu Reibungspunkten führen können und damit habe man eigentlich gerechnet. „Doch das Zusammentreffen und vor allem -arbeiten der Jugendlichen klappt wunderbar“, bestätigt Yilmaz Kapokiran, der als Lehrer die Berliner Kinder begleitet.

Vier Wochen lang probten alle gemeinsam in Stralsund, bevor sich am 30. Januar der Vorhang zur Premiere im Großen Haus des Theaters Stralsund hob. Sechs Stunden täglich bewegten sie sich gemeinsam auf der Bühne. „Für viele ist das eine wirkliche körperliche Herausforderung“, verrät Stefan Hahn. „Motivieren konnten wir sie damit, dass wir sie in die verschiedenen kreativen Prozesse mit einbanden“, so der Choreograf.

Mit Hilfe des zeitgenössischen Tanzes setzen sich die Jugendlichen mit dem Thema Fremdsein in zwölf szenischen Bildern auseinander, nähern sich aus verschiedenen Richtungen. Sie bewegen sich zu fremdländischen Rhythmen, Techno-Beats und den Klängen des Philharmonischen Orchesters des Theaters Vorpommern, komponiert eigens für diese Inszenierung von Hüseyin Evergin.

Es ist schön, die Entwicklung der Jugendlichen zu sehen“, sagt Artemis Lampiri, Choreografin aus Griechenland. „Ihr Körpergefühl hat sich geändert und die Berührungsängs-te untereinander sind geschwunden.“ Gerade bei den Jungs war zu beobachten, dass sie am Anfang eher schüchtern waren, dann aber immer mehr auftauten. Noch weiter stieg die Spannung bei allen Beteiligten der Produktion, als zum Schluss alle Gewerke zusammenkamen, die Proben auf der großen Bühne liefen, Kostüme getragen wurden, das Orchester hinzukam. „Das ist ein Punkt, an dem alle noch einmal zusätzlich gepusht werden“, weiß Hahn aus Erfahrung.

Seinem Traum von einer bunteren Republik ist Stefan Hahn ein deutliches Stück näher gekommen. „Wir laufen nicht gegen Mauern, erhalten im Rahmen der Möglichkeiten Unterstützung von vielen Seiten, allen voran der Hansestadt“, erklärt er. Doch nicht nur die Nordlichter hatten die Chance, „fremd“ zu sehen. Ein besonderes Ereignis war die Vorstellung in Berlin Mitte März – nicht nur wegen der logistischen Herausforderung des Transports des Equipments und aller Beteiligten. In der Hauptstadt trat das internationale Ensemble im HAU 1 auf, einem der wichtigsten Spielorte für die freie darstellende Kunst in Europa. Für die Berliner Kids ein Heimspiel, für die Vorpommern spannendes Neuland. Doch fremd fühlten sie sich mit ihren Berliner Freunden nicht.

Miriam Weber

 

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