Vergessen Sie Mozart
Ein Gespräch mit Chorsänger und Buchautor Wolfgang
Antesberger
Pünktlich zum Mozartjahr hat Wolfgang Antesberger, Mitglied
des Opernchores der Bayerischen Staatsoper, ein Buch geschrieben,
das uns den allseits gefeierten Komponisten vergessen machen will.
„Vergessen Sie Mozart!“ lautet der Titel des im Piper
Verlag erschienenen Werks (s.
Rezension nächste Seite). Detlef Eberhard hat für
das Magazin „Takt 4“ der Bayerischen Staatsoper mit
dem Allround-Musiker gesprochen. Wir drucken das Interview in voller
Länge ab.
Detlef Eberhard: Herr Antesberger, zum Mozartjahr
2006 haben Sie ein Buch geschrieben mit dem Titel „Vergessen
Sie Mozart!“. Warum sollten wir das tun?
Wolfgang Antesberger: Der Titel ist natürlich
etwas humorvoll gedacht. Worum es mir im Kern aber geht, ist die
Tatsache, dass Mozart wie kein anderer Komponist eine Epoche bestimmt,
während seine Zeitgenossen zum Teil völlig in Vergessenheit
geraten sind. Für mich ist es immer wichtig, Musik in ihrem
zeitlichen und sozialen Kontext zu verstehen. Als ich vor zehn Jahren
das erste Mal in der Situation war, ein Mozart-Festival zu leiten,
war es selbstverständlich, dass ich mich mit den Zeitgenossen
auseinandergesetzt habe. Natürlich fallen einem zuerst die
Namen Haydn, Salieri oder Süßmayr ein. Aber in den folgenden
Jahren habe ich mich weiter mit diesem Thema beschäftigt, und
am Ende hatte ich zweieinhalbtausend Musiker und Komponisten gefunden.
Alle in dem Buch Porträtierten waren zu Lebzeiten mindestens
genauso erfolgreich wie Mozart, oft sogar erfolgreicher. Sie kreuzen
irgendwann Mozarts Wege, erzählen in Briefen von seiner Existenz
oder äußern sich über seine Werke. „Vergisst“
man also für einen Moment die Lichtgestalt Mozart, öffnet
sich dem Musikinteressierten ein breites Spektrum ungewöhnlicher
Viten und anspruchsvoller Werke seiner Zeitgenossen. Aus dieser
Idee sind dann das Buch, knapp 60 Radiosendungen und zwei Musikfestivals
in Wien und Salzburg entstanden.
Eberhard: Wem begegnet man nun in Ihrem Buch?
Antesberger: Es werden zehn Zeitgenossen Mozarts
vorgestellt, wobei er selbst immer präsent ist, immer im Hintergrund
– wie bei einem Hitchcock-Film. Der Franzose François-André
Philidor zum Beispiel, eine hochinteressante Figur, weil er zu gleichen
Teilen Musiker und Komponist auf der einen Seite, berühmter
Schachspieler auf der anderen Seite war, das eine in Paris, das
andere verstärkt in London. Solche Polarisationen interessieren
mich. Oder Adalbert Gyrowetz. Der macht sich aus Böhmen auf,
kommt nach Wien, lernt Wolfgang Amadeus Mozart kennen, der Sinfonien
von ihm dirigiert. Er kommt nach Rom und trifft dort Goethe, der
über ihn in seiner italienischen Reise schreibt. Sein Weg führt
ihn weiter über Frankreich nach London, wo er Joseph Haydn
das Entrée zum dortigen Publikum verschafft. Das alles sind
interessante Details, die rückblickend ein anderes Mozartbild
ergeben.
Eberhard: Es wird zusätzlich zwei Rundfunkreihen
bei Bayern 4 Klassik geben, denen Ihr Buch zugrunde liegt. Wie werden
die aussehen?
Antesberger: Die eine findet wöchentlich
statt: authentische Geschichten von Mozart-Zeitgenossen, die sehr
plastisch gestaltet sein werden – das sind siebenminütige
„Hörbilder“ im besten Sinne. Die zweite Reihe wird
aus klassischen Musikfeatures bestehen, insgesamt sechs Sendungen
im Format von eineinhalb Stunden. Da kann man mehr in die Tiefe
gehen, und hier werden mir auch verschiedene Wissenschaftler, Musiker
und Dirigenten als Gesprächspartner zur Verfügung stehen.
Eberhard: Welchen Bezug zu Mozart haben Sie als
Musiker und Sänger?
Antesberger: Mit Mozart verbindet mich in erster
Linie seine großartige Musik. Und es ist schon etwas Besonderes,
als Sänger im Staatsopernchor bei den Mozart-Aufführungen
im Nationaltheater mitzuwirken. Aber ich habe auch seine Kammermusik
sehr intensiv kennen gelernt. Und wenn die zu Mozarts Zeit auch
eine untergeordnete Rolle gespielt hat – das Zentrum der Musik
war die Oper –, die Raffinesse und die Genialität Mozarts
lässt sich dort oder in der Orchesterpartitur, am besten erfahren.
Eberhard: Schauen wir uns Ihre Biographie an:
Sänger, Musiklehrer, Dirigent, Kulturmanager, Arbeiten für
Rundfunk und Fernsehen. Sie sind ein Tausendsassa. Woher kommt das?
Antesberger: Es gehört zu meinem Wesen,
mich für die unterschiedlichsten Dinge zu interessieren. In
meinen Augen ist es gar nicht so entscheidend, was man tut –
es kommt darauf an, wie man es tut. Und dann entdeckt man in allen
Inhalten, mit denen man sich beschäftigt, Ähnlichkeiten.
Daher kommt der gewisse Mut, mich in neue Sujets zu begeben. Vielleicht
ist auch ein bisschen kindliche Neugierde dabei, die mir in der
Sache oft dienlich ist.
Eberhard: Aber auch Ihr Tag hat nur 24 Stunden.
Wie gehen die unterschiedlichen Aktivitäten mit Ihrem Engagement
als Chorsänger zusammen?
Antesberger: Da füllen sich natürlich
in erster Linie die Leerräume: die Mittagspausen, die Zeit
vor der Probe oder auch nach der Vorstellung. Ich denke nicht in
Stunden; ich denke, alle diese Projekte sind Kinder und wollen geboren
werden. Ich gebe mein Möglichstes dazu und manchmal muss ich
aus einer Stunde zwei machen.
Eberhard: Ihre Frau ist auch im Staatsopernchor.
Das muss ja organisiert werden, wenn beide gleichzeitig proben und
Vorstellung haben.
Antesberger: Das stimmt. Aber unsere beiden Kinder
sind Gott sei Dank schon etwas älter. Dieses Mozart-Projekt
ist etwas, was schon seit zehn Jahren in mir wühlt, also wesentlich
länger als mein Engagement hier an der Staatsoper. Mich interessiert
hauptsächlich das Ergebnis, nicht der Weg, und dafür mobilisiere
ich gerne zusätzliche Kräfte. Das ist für mich auch
ein schöpferischer Prozess. Ich habe während der ganzen
Zeit mit dem Buch, die wirklich sehr anstrengend war, mehr über
die eigene Person erfahren als über die Mozart-Zeitgenossen.
Die Sendungen „Vergessen Sie Mozart!“
Radiofeature – Thema in sechs Stationen
Gesprächspartner: Die Dirigenten Ivor Bolton, Fabio Luisi
und Howard Arman, die Geiger und Dirigenten Reinhard Goebel und
Christoph Poppen, der St. Petersburger Pianist Lev Vinocour, die
Autorin Lea Singer und der Theaterwissenschaftler Prof. Dr. Jürgen
Schläder
Sechs Mal am Samstag, 21.00 bis 22.30 Uhr auf Bayern4Klassik (verbleibende
Termine: 22.04., 13.05., 03.06., 17.06.)
Hörbilder – Schicksale und Geschichten der Mozart-Zeit
51 Episoden, wöchentlich jeweils Samstag, 16.30 Uhr auf Bayern4Klassik
Wolfgang Antesberger, geboren 1963 in Regensburg,
arbeitet als Autor, Sänger, Dirigent und Regisseur. Er hat
Tonmeister in Graz und Musikwissenschaft und Musikpädagogik
mit Hauptfach Klavier in Würzburg studiert, anschließend
Gesang in Detmold. Wolfgang Antesberger ist Mitglied der Bayerischen
Staatsoper, außerdem ist er als Chorleiter und als freier
Mitarbeiter für den Bayerischen Rundfunk und andere Anstalten
der ARD tätig.
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