Die Jeunesses Musicales Deutschland
Ein Verbands-Porträt · Von Josefine Becker
Zu einer Zeit, in der der Zweite Weltkrieg den Gedanken an Völkerverständigung
weit ins Abseits gedrängt hatte, dachten in Brüssel bereits
einige weit blickende Menschen darüber nach, wie mit Hilfe
der Musik ein friedliches Miteinander zukünftig erleichtert
werden könne. Allen voran Marcel Cuvelier, 1940 Generaldirektor
der Brüsseler Philharmonie, verfolgte die Idee, einen weltweiten
Dachverband zu gründen, der Jugendliche aller Nationen musikalisch
vereinen sollte. Dies war der Grundstein für die Jeunesses
Musicales, die 1945 unter Cuveliers Ägide ins Leben gerufen
wurde.
Ganz bewusst entschieden sich sechs Jahre später einige junge
Musikbegeisterte, unter ihnen Herbert Barth, Eberhard Schmidt und
Eckart Rohlfs, die deutsche Sektion des Weltverbandes in Bayreuth
zu gründen. Hier hatte bereits das jährliche „Internationale
Musikstudenten-Treffen“ unter dem Motto „Das andere
Bayreuth“ seine Heimat gefunden. Und hier wollten die Väter
der „Musikalischen Jugend“ den Aufbruch wagen, um gerade
auch in Deutschland Frieden und Völkerverständigung durch
musikalischen Jugendaustausch zu stabilisieren.
Von Anfang an spielte neben dem internationalen Aspekt die musikalische
Jugendbildung – auch innerhalb deutscher Grenzen – eine
wichtige Rolle. Daran hat sich bis heute nichts geändert –
wohl aber an den konkreten Inhalten und Arbeitsaufträgen, die
angesichts sich verändernder gesellschaftlicher und politischer
Parameter immer wieder neu aufgestellt wurden und werden. 1992 änderte
der Verband den inzwischen etwas altbacken klingenden Namen „Musikalische
Jugend“ in „Jeunesses Musicales Deutschland“ (JMD).
War das kleine Städtchen Weikersheim in Hohenlohe-Franken
in den Anfangsjahren nur Veranstaltungsort der Internationalen Sommerkurse
der Musikalischen Jugend, so bezog der Verband im Jahr 1978 ganzjährig
die Räume des Renaissance-Schlosses, in dem heute auch die
von der JMD geführte Musikakademie beheimatet ist. Von Januar
bis Dezember finden hier nicht nur diverse Kurse und Veranstaltungen
des Verbandes statt; die Akademie lädt auch Orchester und Chöre
aus aller Welt ein, hier zu proben und zu wohnen. Inzwischen wurde
sie vom Weltverband der Jeunesses Musicales zum „World Meeting
Center“ ernannt. Für die Weikersheimer bedeutet dies,
dass beim Spaziergang über den Marktplatz künftig das
ganze Jahr über verstärkt fremde Sprachen und Klänge
an ihr Ohr dringen werden. Die Offenheit im Ort ist – aufgrund
der jahrzehntelangen Tradition – groß. Sehr intensiv
werden hier die Aktivitäten der JMD wahrgenommen. Immerhin
bescheren sie dem beschaulichen Ort nicht nur Renomee in musikalischen
Fachkreisen, sondern auch eine Besucherzahl, die der örtlichen
Gastronomie und Hotellerie wieder zugute kommt.
Höhepunkt des Besucherandrangs sind die alle zwei Jahre stattfindenden
Opernaufführungen im Schlosshof. Was als überschaubarer
Opernkurs im Rahmen der Internationalen Sommerkurse begann, ist
heute eine Unternehmung, die neben dem jungen internationalen künstlerischen
Team auch Scharen von temporären Helfern und zusätzlichen
Mitarbeitern beschäftigt. Der Grundgedanke ist allerdings geblieben:
Junge Nachwuchsmusiker sollen hier Gelegenheit erhalten, intensiv
und angeleitet durch namhafte und erfahrene Profis eine Inszenierung
zu erarbeiten und aufzuführen. In mehreren Castings werden
die Solisten für die Opernaufführungen ausgewählt.
Aber auch Orchester und Chor kommen aus dem Nachwuchsbereich. Zur
„Traviata“ im Sommer 2005 wurden das Nationale Jugendorchester
Spanien und der Landesjugendchor aus Nordrhein-Westfalen eingeladen.
Für junge Chorsänger, die häufig zum ersten Mal auf
einer großen Bühne Opern-Erfahrungen machen, ist es ein
besonderes Erlebnis, mit Regisseuren, Regieassistenten, Solisten,
Bühnentechnikern und Korrepetitoren zu arbeiten. Heute bereits
wird „La Cenerentola“ für das Jahr 2007 intensiv
vorbereitet.
Öffentlichkeitswirksame Highlights wie dieses sind der eine
Teil der Verbandsarbeit. Daneben gilt es, die Ziele musikalischer
Jugendbildung unermüdlich voranzubringen. Als Dachverband der
deutschen Jugendorchester betreibt die Jeunesses Musicales Lobbyarbeit
für diesen wichtigen Bereich der Jugendarbeit. Mit Service-
und Beratungsangeboten, aber auch mit Projekten wie dem „Jugendorchesterpreis“
oder der Patenschaftsinitiative „tutti pro“, bei der
jeweils ein Profiorchester und ein Jugendorchester eine lang angelegte
Patenschaft eingehen, wird für die musikalische wie menschlich-soziale
Entwicklung vieler musizierender Jugendlicher ein Weg bereitet.
Und nicht zuletzt das Engagement für junge Komponisten, die
in ihren Heimatmusikschulen selten ausreichend Beachtung und Betreuung
finden, zeichnet die JMD mit ihren regelmäßigen Kursen
und Wettbewerben aus. Letztere allerdings sind durch die jüngsten
Entwicklungen der Föderalismus-Reform ernsthaft gefährdet.
Bisher vom Bund geförderte Projekte wie der Bundeswettbewerb
Komposition stehen, sollten zukünftig nur noch die Länder
für kulturelle Jugendbildung zuständig sein, möglicherweise
auf der Abschussliste. Das letzte Wort ist hier allerdings noch
nicht gesprochen.
„Innovation und Tradition“ schreibt sich die Jeunesses
Musicales auf ihre Fahnen. Die Wurzeln reichen bis in die Aufbauzeit
nach dem Krieg. Für die heute Verantwortlichen heißt
es aber vor allem, Akzente für die musikalische Jugendbildung
in der Zukunft zu setzen.
Josefine Becker
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