Schröders Zeitbombe tickt
Zum neuen Entwurf für ein Urheberrechtsgesetz · Von
Stefan Meuschel
Die Vergütungen der Autoren und Künstler für die
ihnen durch gesetzliche Lizenz auferlegte Duldung des privaten Kopierens
ihrer Werke oder ihrer geschützten Leistungen drohen –
obschon im Vergütungsbericht der Bundesregierung als zu niedrig
bezeichnet – um rund 75 Prozent zu sinken, falls der am 22.
März 2006 vom Bundeskabinett verabschiedete Entwurf eines „Zweiten
Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“
vom Bundestag in Gesetzesform gegossen werden sollte.
Auf der Cebit 2004, als noch Rot-Grün in Berlin regierte,
haben die Hersteller und Vertreiber von Aufzeichnungsgeräten
und –trägern den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder
davon zu überzeugen vermocht, dass die gesetzlich festgeschriebene
Geräte- und Leerkassettenabgabe, die der Käufer entrichten
muss, um private Kopien herstellen zu dürfen, grundsätzlich
von Übel, jedenfalls viel zu hoch sei mit der Folge, dass sie
das wirtschaftliche Wachstum dieser Branche behindere. Bekanntlich
hörte Schröder auf diesem Ohr: Geiz ist geil, lautete
die Devise.
Seiner Justizministerin, Brigitte Zypries (SPD), gab er die Weisung,
eine Kostenbremse in den in Vorbereitung befindlichen Referentenentwurf
eines Urheberrechtsänderungsgesetzes einzubauen.
Der sah dann so aus: Der Vergütungsanspruch der Urheber und
Leistungsschutzberechtigten darf maximal fünf Prozent des Ladenverkaufspreises
eines Geräts betragen und nur bei solchen Geräten und
Speichermedien erhoben werden, deren Kapazitäten zu mehr als
zehn Prozent zur Anfertigung von Kopien urheberrechtlich geschützter
Vorlagen (Texte, Bilder, Musik, Filme) genutzt werden. Außerdem
soll der konkrete Vergütungsanspruch nicht mehr – wie
bisher – durch Gesetze festgelegt, sondern in einem aufwändigen
und zeitraubenden Verfahren zwischen den betroffenen Geräteherstellern
und –vertreibern einerseits, den Verwertungsgesellschaften,
welche die Vergütungen treuhänderisch einziehen und an
die Berechtigten verteilen, andererseits ausbaldowert, bei Nichteinigung
gerichtlich erklagt werden. Ein aberwitziges Konstrukt, das zudem
angesichts der permanent sinkenden Preise für die Geräte,
deren Speicher- und Kopierkapazitäten ebenso permanent steigen,
die also immer größer werdende Mengen urheberrechtlich
geschützten Materials verarbeiten können, einer Teilenteignung
der Autoren und Künstler (übrigens auch der Tonträger-
und Filmproduzenten) gleichkommt.
Doch es sollen nicht nur die Parameter der Berechnung der angemessenen
Vergütung für die Urheber zugunsten der elektronischen
Industrie geändert werden. Der Gesetzentwurf sanktioniert darüber
hinaus elektronische Verschlüsselungssysteme, Kopiersperren
in Geräten und Datenträgern, deren Umgehung durch den
Verbraucher umgehend den Staatsanwalt auf den Plan ruft. Aus Sicht
des Urhebers stellt sich die Frage, wie er in diesem System des
„Digital Rights Management“ zu den ihm zustehenden angemessenen
Vergütungen kommen soll, da er doch in aller Regel seine so
genannten „Nebenrechte“ (hier also die DVD-Rechte) für
einen Appel und ein Ei dem Produzenten oder Verleger schon im Erstvertrag
abtreten musste. Dass künftig auch die – bisher verbotene
– Übertragung der Rechte für „unbekannte Nutzungsarten“
zulässig sein soll, ist der Pfeffer in der versalzenen Suppe.
Die neue, von der CDU/CSU-SPD-Koalition getragene Bundesregierung
hat den Gesetzentwurf aus der Ära Schröder weitgehend
unverändert, zum Teil verschärft übernommen (Wegfall
einer von der Strafverfolgung befreienden „Bagatellklausel“
für so genanntes Schulhof-Kopieren und Einfügung eines
Auskunftsanspruchs der Hersteller und Verwerter beim Internet-Provider,
wenn illegales Kopieren vermutet wird). Offenbar hat sie vergessen,
dass es in der Koalitionsvereinbarung vom Herbst 2005 noch hieß,
die „Rechtsstellung der Urheber im digitalen Zeitalter sei
zu stärken“ und „bei Gesetzgebungsverfahren seien
die besonderen Belange der Kultur und der Medien und der Künstler
und Kulturschaffenden zu berücksichtigen“. Was kümmert
mich mein dummes Geschwätz von gestern, soll schon Konrad Adenauer
gesagt haben.
Wenn der Vorsitzende des Urheber- und Verlagsrechte-Ausschusses
des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, Wolf D. von Lucius,
angesichts des Gesetzentwurfs (und im Hinblick auf seine Tätigkeit
als Wissenschaftsverleger) von einer „international fast einmaligen,
explosionsartigen Missachtung von Urheberrechten“ spricht,
ist ihm beizupflichten. Der Entwurf vergreift sich am geistigen
Eigentum und überrollt internationale Urheberrechtsabkommen.
Bundesrat und Bundestag, vor allem dessen zuständige Ausschüsse,
sollten den Entwurf kritisch prüfen und dabei im Auge haben,
dass die Behauptungen der Industrie, Urheberabgaben behinderten
den Geräteverkauf, durch keinerlei Fakten untermauert sind,
und dass es die Urheber sind, die den so genannten „Content“
der Informationsgesellschaft liefern. Ihre Lebensgrundlagen gilt
es ebenso zu sichern.
Stefan Meuschel
|