Reines Provinztheater also? Dreimal Nein! Erstens genießen die Lokalhelden von Vanden Plas auch außerhalb des deutschen Südwestens, vor allem in Frankreich, den Respekt der Heavy-Metal-Gemeinde. Zweitens setzt das Pfalztheater seit längerer Zeit recht erfolgreich auf eigene Musical-Produktionen, anstatt bloß die immer gleichen Renner nachzuspielen. Und drittens erhebt „Abydos“ mit seinem Untertitel „Heavy Mental Shadow Opera“ durchaus einen inhaltlichen und formalen Anspruch. Entstanden aus den Songs des Soloalbums „Abydos“ von Andy Kuntz, folgt das Bühnenstück mit der Abfolge „Dialog-Song-Dialog“ in etwa dem Schema „Rezitativ-Arie-Rezitativ“ der alten Opera Seria. Die Songs sind in englischer Sprache; sie thematisieren Gefühle und Situationen, während der knappe, realistische und oft auch witzige Dialog die Handlung vorantreibt. „Shadow“ deutet auf die unheimliche Schatten- oder Nachtseite des Lebens, die viele Heavy-Metal-Fans fasziniert, aber auch schon seit dem 19. Jahrhundert in Webers „Freischütz“, in Marschners „Vampyr“ oder Brittens „The Turn of the Screw“ zum Thema der Opernbühne wurde. „Mental“ deutet auf geistige Auseinandersetzung, „Heavy Mental“ natürlich auch auf den Stil der Band. Obwohl Vanden Plas sich als „Progressive Metal Band“ versteht, lässt die Musik zu „Abydos“ selten besonders aufhorchen. Doch sie ist eingängig, stimmungsvoll und zupackend und schafft es, die Handlung atmosphärisch plausibel zu machen, wenn der Erzähler das Publikum auf eine Art Zeit- und Traumreise führt, deren wechselnde Stationen erst einmal plastisch werden müssen. Ähnliches leistet das Ballett des Pfalztheaters. Keine der vielen Tanzszenen, für die mit Adonis Daukaev, Felicity Hader, Stefan Hammel und Eva Reinthaller gleich vier Choreografen verantwortlich zeichnen, fällt durch künstlerische Eigenwilligkeit auf. Aber alle schaffen Atmosphäre. Ausstatter Michael D. Zimmermann leistet ganze Arbeit. Zusammen mit dem für Filmeinblendungen zuständigen Karl-Heinz Christmann schafft er klare Räume, eine sinnfällige Bühnenerzählung und rasche Szenenwechsel. Die dramaturgischen Brücken baut Ulrich Wewelsiep als rätselhafter Erzähler Mito in schwarzer Metal-Kluft. Pierre-Eric Monnier, normalerweise Konzertmeister des Orchesters im Pfalztheater, bereichert die Bühne als trauriger Clown mit der Geige. Doch jedes Mal, bevor es allzu sentimental wird, wird die Stimmung gebrochen und läuft die Handlung weiter. Darstellerisch und sängerisch wirkt das gesamte Ensemble einschließlich des von Ulrich Nolte einstudierten Chores sehr wendig und homogen. Das Stück beginnt im Prolog recht klischeehaft mit einem Kampf zwischen Gut und Böse im ägyptischen Abydos. Die beiden Konkurrenten, Pharao Mithemhep (alias Mito) und der dunkle Hohepriester Grenoses (alias Green) führen ihren Kampf über Jahrtausende in der Schattenwelt weiter. Green (Ines Agnes Krautwurst) gelingt es, in die Imagination und die Lebenswelt von drei fantasiebegabten Kindern einzudringen. Immer stärker verstricken sich Fly, Strida und Llit (als Erwachsene: Andy Kuntz, Astrid Vosberg und Andreas Zaron) in eine lebensfeindliche Scheinwelt. Höhepunkt ist die Erfindung des Brain Boy, der es ermöglicht, die Gedanken der Mitmenschen zu lesen, zu speichern und zu formatieren. Kuntz, Reitmeier und ihrem Team gelingt hier eine grandiose Satire. „Abydos“ entpuppt sich am Ende als eine durchaus hintersinnige Geschichte über das Erwachsenwerden, die Verlockungen der Fantasie und den Ausstieg aus der Realität. Eine inhaltlich anspruchsvolle Handlung findet sich unaufdringlich verpackt in einer wirksamen Bühnenshow. Wenn das ein Qualitätsmaßstab für Musicals ist, dann rangiert „Abydos“ sogar ziemlich weit oben auf der Skala. Andreas Hauff |
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