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Zeitgenossen Mozarts
Wolfgang Antesberger: Vergessen Sie Mozart! – Erfolgskomponisten
der Mozart-Zeit, Piper, München 2005. 381 S., Abb., €
22,90. ISBN 3-492-04782-3
Das wissen wir freilich alle. Mozart war zu seinen Lebenszeiten
keine ganz zentrale Erscheinung im europäischen Musikleben.
Aber was sind zentrale Erscheinungen? Gewiss haben Komponisten in
Amt und Würden größeren Einfluss, genügen mehr
den Erwartungen der (damals adeligen) Öffentlichkeit. Es sind
die Komponisten, die sich besser anpassen konnten an den Erwartungsdruck,
der sich (wie heute) am Event, am repräsentativen Auftreten
ausrichtete. Das Große gedeiht nicht mit unumschränkter
Förderung durch die maßgeblichen Stellen, die in der
Regel ästhetisch um Meilen hinterherrücken (Haydn war
da wohl ein Glücksfall, denn „sein“ Fürst
war offener, ließ das qualitative Experiment zu). Und so saßen
in den Schaltpositionen des Musiklebens zur Zeit Mozarts Musiker,
die heute längst, teils mehr, teils weniger, aus dem Bewusstsein
gedrängt sind.
Wolfgang Antesberger stellt eine fraglos subjektive Liste zusammen:
Johann Adolf Hasse, Giovanni Battista Martini, Niccolò Jommelli,
François-André Philidor, Tommaso Traetta, Johann Christian
Bach, Vicente Martin y Soler, Joseph Martin Kraus, Adalbert Gyrowetz
und Joseph Eybler (die Liste beginnt also mit Komponisten, die zwei
Generationen älter sind als Mozart und deren Lebensläufe
sich vielleicht nur zwei Jahrzehnte mit dem Mozarts überschneiden;
eine größere Konzentration auf wirkliche Zeitgenossen
hätte wohl besser getan). Nun geht es Antesberger freilich
keineswegs in erster Linie um eine Ehrenrettung dieser durchaus
verdienstvollen Persönlichkeiten, von denen zumindest einige
eine ganz eigene Physiognomie der musikalischen Sprache vorweisen.
Noch weniger geht es ihm darum, so etwas wie eine Ebenbürtigkeit
zu Mozart nachzuweisen. Das Urteil, das die Geschichte gesprochen
hat, ist hier durchaus gerecht. Aber Antesberger verweist auf den
verstellteren Blick, mit dem jede Gegenwart auf ihre Zeitgenossen
schaut. Denn zu Mozarts Lebzeiten genossen diese Komponisten (und
man könnte noch eine ganze Reihe anderer nennen) eine zu Mozart
durchaus ebenbürtige Wertschätzung oder wurden, vielleicht
regional bedingt, über ihn gestellt. Denn fraglos war Mozart
ästhetisch und künstlerisch weit unbequemer, was man damals
(wie heute) mit „geschraubter Stil“ oder mit „künstlichen
Kompliziertheiten“ brandmarkte (gewiss: der wirklich musikalische
Beobachter erkannte die Ausnahmeerscheinung Mozarts). Das Buch ist
also eine Draufsicht auf eine Gegenwart, die sich selbst ganz anders
sah, als wir das heute tun.
Was nun folgt, ist ebenso schlicht wie anschaulich. Antesberger
zeichnet die Lebensläufe der von ihm Erwählten nach, dokumentiert
Erfolge und die Berichte darüber, versucht zu orten, wie es
dem jeweiligen Komponisten gelang, einflussreiche Positionen zu
erringen. Es entsteht ein Bild des europäischen Musiklebens,
das sich an damaliger herrschender Meinung orientiert. Und laut
Marx ist das bekanntlich die Meinung der Herrschenden. Ihrem Ton
nachzulauschen lohnt.
Reinhard Schulz
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