Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

Aktuelle Ausgabe

Editorial

Kulturpolitik
Brennpunkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester
Potenziale für Sänger und Zuhörer
Forschungsergebnisse eines Symposiums in Leipzig
Hoffnung für die Tanzausbildung
„Tanzplan Deutschland“ der Bundeskulturstiftung
Kultur-Auf-Ruhr
Kultur-Perspektiv-Plan für das Ruhrgebiet
Zornige Festrede
Nikolaus Harnoncourt zur Eröffnung des Mozartjahres

Portrait
Keine Angst vor Kontroversen
Ein Porträt der Staatsoper Hannover
Subjektivität ist kein Makel
Die Werkstatt des Choreografen Gregor Zöllig
Private Musiktheater
Die Geschichte der Berliner Opernhäuser (Teil 6)
Die Jeunesses Musicales Deutschland
Ein Verbands-Porträt

Berichte
Heavy Metal in der Provinz
„Abydos“ am Pfalztheater Kaiserslautern
Liebe als Passion
„Orpheus und Eurydike“ als Tanz-Oper in Bielefeld
Warum im Kirchenchor singen
„Kirchenlieder. Ein Chorprojekt“ am Schauspiel Stuttgart
Ausbrüche aus der Konvention
Händels Pasticcio „Orest“ an der Komischen Oper Berlin
Abriss der Barrieren
Das 14. Kurt-Weill-Fest in Dessau

Oper & Tanz aktuell
Schröders Zeitbombe tickt
Zum neuen Entwurf für ein Urheberrechtsgesetz
Vergessen Sie Mozart
Ein Gespräch mit Chorsänger und Buchautor Wolfgang Antesberger

VdO-Nachrichten
Nachrichten
Der Streik im öffentlichen Dienst · Abschied von Klaus-Peter Hallacker · Wir gratulieren

Service
Schlagzeilen
Namen und Fakten
Oper und Tanz im TV
Stellenmarkt
Spielpläne 2005/2006
Festspielvorschau

 

Editorial

Heute sollten Sie’n Katalog kaufen, mei Gutster“, empfahl mir die Kassiererin der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden. „Danke, ich habe ihn schon“, erwiderte ich. Das Museum schien gut besucht, Gedränge vor den Garderoben und am Eingang zur Buchhandlung. Es war lauter als üblich. Die Menschen, die mir auf der Treppe entgegenkamen, gestikulierten, schimpften, lachten.

   

Stefan Meuschel

 

Im Belloto-Gang mit Blick auf den Zwinger-Hof musste ich mich durch eine geballte Menge hindurchquetschen, um dann nicht schlecht zu staunen. In Canalettos wohl berühmtester Dresden-Vedute „vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke“ schwebte links oben das Porträt des Bomber-Harris und aus den Dächern der Altstadt, rechts neben der rot glühenden Frauenkirche, auf deren Kuppel eine Hakenkreuzfahne flatterte, schlugen hohe Flammen im Stil bäuerlicher Malerei. Neben der Bildbeschreibung hing eine Pappe mit der Aufschrift: „Zum Tag der aktuellen Bearbeitung“.

Beim Weg durch die Rotunde zu den Niederländern geriet ich in einen Menschenstau vor Raffaels „Sixtinischer Madonna“. In deren blauen Mantel hatte ein Witzbold Teile von Pablo Picassos „La pisseuse“ derart einmontiert, dass die beiden Engel am unteren Bildrand, eines der beliebtesten Weihnachtspostkarten-Motive, voll bestrahlt wurden. Das Publikum grinste und grollte zugleich.

Die bearbeiteten Bilder ausgenommen, hingen die Niederländer, wohl um der Verfremdung willen, allesamt verkehrt herum. In Adriaen Brouwers „Bauernrauferei“ schlugen die Weltkrieg I-Anheizer Ludendorff und König Ludwig III. von Bayern auf einen weinenden Kaiser Wilhelm II. ein. Als ich entdeckte, dass auf Gabriel Metsus „Selbstbildnis mit Frau“ Franz Müntefering und Angela Merkel zu sehen waren, wachte ich auf. Tagreste waren es wohl, die meinen Traum von den aktualisierten Alten Meistern ausgelöst hatten. Vor dem Einschlafen hatte ich in Tages- und Wochenzeitungen, zuletzt in zwei Ausgaben eines Wochenmagazins die neuesten Kriegsberichte von der Front des deutschen Theaters gelesen, das im „Kulturkampf“ zum „Lieblingsfeind“ von „Boulevardjournalisten, Honoratioren und einer kleinen Schar seriöser Kritiker erwählt“ worden sei.

In allen Beiträgen ging es um das Gleiche. Die Kriegsberichterstatter verteidigten oder attackierten das deformierende, angeblich stückaktualisierende „Blut- und Hodentheater“: „Eine linke Heilsarmee aus ichsüchtigen Regie-Despoten … verwandelt nationale Schaubühnen in Schädelstätten der Perversion. Sie pinkeln auf Kruzifixe, schänden den weiblichen Körper … Das deutsche Theater – ein Exzess“ (Die Zeit, 16.03.06). „Jungdeutsche Theaterregisseure sind dabei, die üppigste Theaterlandschaft der Welt mit ihren abgelatschten Schocks endgültig zu ruinieren“ (Der Spiegel, 10/2006).

Welch ein bewusstes Missverständnis, welch eine Hybris. Als wüssten die Schreiber nicht, dass alle Kunst aller Zeiten, auch das geschriebene und das in Szene gesetzte Theater, die Sexualität, die Obszönität, ja die handfeste Sauerei mal mehr, mal weniger zu ihrem Gegenstand gemacht hätte. Nur die Rezeption dessen war und ist jeweils unterschiedlich. Unsere angeblich so aufgeklärte Zeit ist angesichts der Kommerzialisierung aller Sauereien vielleicht auf dem Rückzug in die Prüderie.

Aber darum geht es beim losemäulig ausgerufenen „Theaterkampf“ gar nicht. Das große Ärgernis sind nicht die Texte der Elfriede Jelinek, die blutige Selbstentmannung des Hofmeisters, das Onanieren des Rodrigo oder die Gewaltausbrüche in der „Schändung“ von Botho Strauß: Das mag ertragen werden oder nicht, es ist stückimmanent gerechtfertigt. Das Ärgernis ist die Respektlosigkeit gegenüber den Autoren und ihren Werken. Wenn Calixto Bieito die Massenvergewaltigung der Azucena zeigt, die Soldaten auf die Leiche einer geschändeten Frau urinieren lässt, dann ist das – selbst bei Einsicht in seine durch das Programmheft vermittelten Beweggründe – doch nur Zweierlei: Ein sträflicher Etikettenschwindel des Theaters, das da behauptet, es brächte Verdis „Il trovatore“ zur Aufführung, statt dem Publikum mitzuteilen, dass es sich um eine freie Darbietung oder Bearbeitung von Motiven der Librettisten Cammerone und Bardera handelt. Vor allem aber ist die wahre Obszönität nicht das auf der Bühne Exekutierte, sondern die Vergewaltigung Giuseppe Verdis durch die Bearbeitung.

Wenn Gurnemanz den Toren Parsifal aus dem Saal der Gralsburg weist und das, wie wohl demnächst zu erwarten ist, mit den Worten tut: „Verpiss dich, du dummes Arschloch!“, und wenn dann statt der „Glocken auf dem Theater“ eine furzende Basstuba zu hören ist, wird weiterhin auf dem Theaterzettel stehen: „Parsifal. Ein Bühnenweihfestspiel von Richard Wagner. Text vom Komponisten“.

Ihr Stefan Meuschel

 

 

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner