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Abriss der Barrieren

Das 14. Kurt-Weill-Fest in Dessau · Von Isabel Herzfeld

Nach all den Ausgrabungen und Entdeckungen der letzten Jahre, der Bekanntschaft mit einem „amerikanischen“ und „französischen“ Weill, mit expressionistischen Opern, Operetten und Musicals, kam er nun doch wieder dran: der „Bindestrich-Komponist“, den das Kurt Weill Fest Dessau eigentlich immer dementieren wollte. Das 50. Todesjahr Bertolt Brechts legte das Thema „Weill und Brecht“ nahe, und schließlich entstammen ja auch die berühmtesten und zugkräftigsten Stücke dieser Zusammenarbeit. Da war durchaus eine Neuauflage des allzu Populären oder sogar Verbrauchten zu befürchten. Doch das intelligente Festivalprogramm machte mit immer neuen Schlaglichtern deutlich: Auch die Vertonungen Brechtscher Texte sind alles andere als für die Ewigkeit fixierte Museumsstücke, und Vielseitigkeit und stilistische Bandbreite der Interpretationen machten vollends klar, dass hier sämtliche Schubladen ausgedient haben. Wie Weill zu klingen habe, das wolle das Festival nicht festlegen, betonte Intendant Clemens Birnbaum, vielmehr die Neues anregende Kreativität dieses grenzüberschreitenden Œuvres demonstrieren.

 
„Aufstieg und Fall...“. Chor des Anhaltischen Theaters Dessau. Foto: Claudia Heysel
 

„Aufstieg und Fall...“. Chor des Anhaltischen Theaters Dessau. Foto: Claudia Heysel

 

Prädestiniert dafür ist Dessaus „artist in residence“, Salome Kammer. In einem furiosen Liedrecital auf der geschichts-trächtigen Bauhausbühne spannte die Schauspielerin, Sängerin und „Stimmakrobatin“, Spezialistin für Neue Musik, virtuos den Bogen von Schönbergs „Brettl-Liedern“ über Revue-Songs der zwanziger Jahre bis zum Zwölftongesang der „Hollywood-Elegien“ von Hanns Eisler. Singen oder sprechen, großer Belcanto-Klang oder Kabarett-Stimme, das ist hier immer die Frage. Kammer findet jedes Mal eine eigene Lösung: Sie kann in Weills „Barbara-Song“ ebenso kleinmädchenhaft hauchen wie im Tango „Youkali“ die Stimme zur Riesenröhre von erstaunlichem Umfang hochfahren. Die beißende Ironie des „Song of the Rhineland“ verlangt nach szenischer Darstellung; bei Eisler dagegen erhält jeder Ton seine tief ausgelotete Gestik aus dem Ausdrucksgesang heraus. Hörte man zuvor Starsopranistin Barbara Hendricks den „Brettl-Liedern“ schwellende Spitzentöne verpassen, so weiß man Kammers furchtlos-intelligente Kreativität umso mehr zu schätzen.

Auch das „Mahagonny-Songspiel“ profitierte von ihrem – hier stimmlich etwas schwächeren – Allround-Talent, dem Ingrid Schmithüsen, Lothar Odinius, Andreas Post, Sebastian Noack und Reinhard Mayr mit ironisch distanzierter Sangeslust zur Seite standen. So herrlich dekadent, aber auch beklemmend hat man den „Alabama“- und „Benares-Song“ wohl selten gehört. Stefan Ashbury gewann der musikFabrik eine transparente Schärfe ab, die eine nie gekannte Modernität der komplexen Partitur bloßlegte. Auch Weills „Berliner Requiem“ erhielt in seiner solistischen Urfassung die expressionistischen Reibungsflächen zurück, die in der gängigen Chorfassung aufgeweicht wirken.

Mit seiner punktgenauen, musikalisch wie textlich wirksamen Schärfe hatte das „Songspiel“ all das, was der Aufführung der großen „Mahagonny“-Oper im Anhaltischen Theater fehlte. Golo Berg führte Chor und Orchester der Anhaltischen Philharmonie sicher durch das Dickicht der komplexen Stimmverflechtungen; zu deutlichem Ausdrucksprofil brachte er sie nicht. Einem Chor wie „O wunderbare Lösung“ nach Abwendung der Hurrikan-Gefahr fehlte ebenso die innere Spannung wie dem zynisch-hoffnungslosen Schlusschor. Helmut Polixas naturalistische Regie und Stefan Rieckhoffs in rosarotem Revueplunder verpuffende Ausstattung brachten das Stück vollends um die ernst zu nehmende Wirkung: So etwa, wenn Stefanie Wüst (Jenny) und Pieter Roux (Jim) das melancholische „Kranich“-Duett auf weißen Wolken schaukelnd singen müssen.

Anregende Lebendigkeit stattdessen, wenn das arme epische Theater zu seinem Recht kam: Unter der konzentrierten musikalischen Leitung von Friedemann Naef, im strengen Bühnenbild von Michael Melerski und der sparsam-glaubwürdigen Regie von Silke Wallstein überzeugten Schüler von Gymnasien aus Dessau und Umgebung mit den Schulopern „Der Jasager“ und „Der Neinsager“. Der Einfachheit und Klarheit der Darstellung entsprach der engagiert-präzise und textverständliche Gesang von Chor und Solisten – die Einstudierung besorgte Marianne Kaiser von der Musikschule Dessau. In Weills pulsierenden Rhythmen erhält das „Jasager“-Konzept des Vorrangs der Gemeinschaft vor dem Individuum, in Reiner Bredemeyers zwölftönig zersplitternder Vertonung der Individualismus des „Neinsagers“ plastische Gestalt. Schön, wie auch die Regie die Gestik hier individualistisch auflöst.

Die „New sounds“ diverser Weill-Verjazzungen, darunter die packende „aller-allerneueste Version“ der Dreigroschen-Songs von Dominique Horwitz, brachen eine weitere Lanze für den Abriss der Barrieren zwischen „E“ und „U“, nach dem nur die „gute Musik“ übrig bleibt. Einen besonders vergnüglichen Akzent setzte die Lied-Performance „Brecht-Tisch“, in der sich Absolventen des Studiengangs Musical 2006 der Berliner Universität der Künste vom Brechtschen „Arbeitsgerät“ aus mit durchaus unterschiedlichen Stimm-Ansätzen in die einst so eindeutig besetzte Song-Welt einlebten. Und auch das hochkarätige Abschlusskonzert des MDR-Sinfonieorchesters unter Fabrice Bollon fächerte noch einmal verschiedene Interpretationsqualitäten gestischer Musik auf: Helen Schneider, die mit rauchiger Stimme die um ihren Profit besorgte Anna I der „Sieben Todsünden“ singt, stand hier ebenbürtig neben Marisol Montalvo, die dem demonstrativen Sprechgesang der „Liturgie vom Hauch“ von Cristóbal Halffter hochdramatische Soprantöne aufsetzte.

Isabel Herzfeld

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