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Rosen im Niemandsland
Ulrich Schreiber: Opernführer für Fortgeschrittene.
Die Geschichte des Musiktheaters. Das 20. Jahrhundert, Bd. 3/1:
Von Verdi und Wagner bis zum Faschismus, Bärenreiter-Verlag,
Kassel 2000. 772 S., € 45,00. ISBN 3-7618-1436-4; Band 3/2:
Deutsche und italienische Oper nach 1945, Frankreich, Großbritannien,
Bärenreiter-Verlag, Kassel 2005. 727 S., € 47,50. ISBN
3-7618-1437-2
Lange war er angekündigt, nun ist er erschienen: der zweite
Teil des dritten Bandes von Schreibers Opernführer für
Fortgeschrittene, der den bereits erschienenen Teilband 3.1 weiterführt.
Worum geht es? Um nichts weniger als die bislang vernachlässigte
Geschichte des Musiktheaters im 20. Jahrhundert. Als wolle er im
Niemandsland seine Rosen bestellen, liefert Schreiber eine Kultur-
und Ideengeschichte, die in keiner Weise selbstverständlich
ist. Handelte er im ersten Teilband das deutsche und italienische
Musiktheater nach Wagner und Verdi bis zum Faschismus ab, so führt
er diese Entwicklung im Folgeband bis an die Gegenwart heran und
ergänzt sie um Darstellungen der französischen und englischen
Operngeschichte. Eine Bravourarie schon von der Anlage her.
Aber: Schreiber setzt offenbar einiges voraus, ein Lehrer nicht
der Grund-, sondern der Hochschule – sein Werk ist kein Brevier,
das sich in der Opernpause konsultieren ließe. Denn natürlich
steht ein Opernführer quer zu einer Operngeschichte. Schreiber
schließt kursorische Lektüre nicht aus und liefert doch
weder bündige Inhaltsangaben noch Komponistenporträts;
er analysiert Musik, allerdings Notenbeispiele sucht man bei ihm
vergebens. Doch Disparitäten wie Straussens „Rosenkavalier“
und Pfitzners „Rose vom Liebesgarten“ lassen sich nun
einmal nicht auf einen Nenner bringen. Will sagen: Hinter Schreibers
definitorischer Unruhe verbirgt sich ein furchtloser Geist, der
darauf zielt, den diversen Äonen, die dem 20. Jahrhundert auch
in der Oper eingesprengt waren, ihr Individualrecht zu lassen.
Die Sortierung ist gediegen. Schreiber bringt einen Cocktail teils
chronologisch, teils geographisch geordneter Werkanalysen, die um
die „Repertoiresäulen“ Strauss, Puccini (Bd. 3.1)
und Britten (Bd. 3.2) gruppiert sind. Sicher bleibt er damit Antworten
schuldig, etwa auf die Frage, wieso solch akute Werke wie „Wozzeck“,
„Die Soldaten“, „Intolleranza“, „Das
Mädchen mit den Schwefelhölzern“ nicht auf ähnliche
Weise herausgehoben werden. Doch seine Darstellung bleibt übersichtlich.
Berichte aus der Praxis sind leider nicht zu erwarten. Von der
Auflistung berühmter Sänger und Inszenierungen abgesehen,
wagt Schreiber nicht den Ausfallschritt auf die Bühne. Das
Szenische wird gegenüber dem Musikalischen objektiv vernachlässigt,
ein Manko dies, wenn man von der zwar ungleichen, aber doch resistenten
Schwesternschaft des Musik-Theaters ausgeht.
Doch was auch fehlt, man muss es nicht vermissen. Schreiber vermittelt
Wissen, nicht Information. In einer Epoche, die sich selbst das
Informationszeitalter nennt, konnte der Oper nichts Besseres passieren.
Johanna Dombois
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