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Rezensionen
Dancers – Choreographers in Dialogue
Ingo Schaefers neuer Foto- und Interviewband
Von Beatrix Leser
„Dance can change your life“ – Royston Maldoom ist überzeugt, dass Tanz das Leben verändern kann. Bekannt wurde der Choreograf 2003 durch sein Projekt „Le Sacre du printemps“ mit Simon Rattle, den Berliner Philharmonikern und 250 Berliner Kindern. Daraus ging der preisgekrönte Dokumentarfilm „Rhythm is It!“ hervor. Maldooms Produktion „Exile – Dancing for a Better Life“ am Theater Duisburg mit 90 jungen Flüchtlingen 2016 begleitete Ingo Schaefer zunächst nur fotografisch. Doch interessierte ihn auch der Hintergrund dieser künstlerischen und sozialen Arbeit. Nach einem ersten ergiebigen Gespräch mit Maldoom beschloss er, auch andere Choreografen zu befragen. So entstand ein Band mit beeindruckenden Produktionsfotos und nachdenklichen Interviews. Acht international anerkannte Choreografen schildern ihre persönlichen Gedanken, Werdegänge, Arbeitsgrundlagen und die Vielfalt des zeitgenössischen Tanzes.
Ingo Schaefer: „Dancers – Choreographers in Dialogue: Volume One“
Bryan Arias thematisiert in „29 May 1913“ den Premierenabend von „Sacre du printemps“ in Paris, der als größter Theaterskandal in die Geschichte einging. Ihn interessiert, warum die Zuschauer so heftig reagiert haben. Wurden Erwartungshaltungen nicht erfüllt? Und wie ist das heute? Welche künstlerischen Freiheiten hat ein Choreograf? Der Amerikaner fühlt sich in Europa freier als in den USA. Doch auch hier kann es Diskrepanzen zwischen der künstlerischen Arbeit und der Zielvorgabe des Managements geben. Arias spricht über den Einfluss seiner puerto-ricanischen Herkunft, seine Tanzausbildung und den Crossover verschiedener Tanzstile.
Strawinskys „Sacre“ beschäftigt auch Edward Clug. In einer eigenen Interpretation verarbeitet der Slowenier aktuelle politische oder gesellschaftliche Bezüge. Die Bilder geben einen Eindruck seiner körperlich fordernden Arbeitsweise. Spannend und differenziert liest sich das Interview mit Hélène Blackburn, die in Kanada lebt und arbeitet. Schaefer begleitete sie bei „Coppélia X Machina“ an der Deutschen Oper am Rhein. Die Probenarbeit während der Coronakrise stellte damals besondere Herausforderungen. Ihre Aufgabe als Choreografin sieht sie in der Schaffung einer vertrauensvollen Atmosphäre, in der genügend Raum für Kreativität bleibt. Ihre Tänzer*innen sind sowohl Solisten als auch Teamplayer. Bei aller Modernität will sie auf Spitzentanz nicht verzichten, den sie nach wie vor für gutes Grundlagentraining für die Beine hält.
Für Bridget Breiner sind Handlungsballette der Ausgangspunkt: „The art form that I chose to be in is communication“. Preisgekrönt wurden ihre Produktionen „Ruß: eine Geschichte von Aschenputtel“ und „Charlotte Salomon: Der Tod und die Malerin“. In „North Country“ geht sie neue Wege und bleibt dennoch ihrem Ziel treu, Menschen empathisch gegenüber ihren Mitmenschen werden zu lassen. Sie engagiert sich für mehr weibliche Führungskräfte in der immer noch männerdominierten Tanzszene und beschreibt, wie weibliche Ballettdirektorinnen erst berufen werden, wenn eine Company Probleme hat. Sobald dann der Tiefpunkt durchschritten ist, übernimmt wieder ein männlicher Kollege die Verantwortung.
Viel Raum und Gewicht bekommt Sidi Larbi Cherkaoui. Er kann sich gleich zu zwei seiner Produktionen äußern: „Loin“ und „Stoic“. Angesprochen werden seine Stilentwicklung, Vorbilder, Sozialisierung, Einflüsse anderer Kulturen, Transformation, Metamorphosen, Musikauswahl und Veganismus. Leider wirken manche seiner langen Textpassagen redundant und wenig strukturiert. Hier hätte Schaefer mit weiterführenden Fragen Akzente setzen sollen. Die Wertschätzung Schaefers gegenüber Cherkaoui spiegelt sich auch in einem Gespräch mit Dorotea Saykaly von der Göteborgs Operans Danskompani, die mit Cherkaoui bei „Stoic“ zusammengearbeitet hat. Die internationale Künstlerin beschreibt die unterschiedlichen Arbeitsweisen in Kanada und Europa.
Marco Goecke ist mit „A Wilde Story“ vertreten, einem Ballett, das auf Motiven von Oscar Wilde fußt. Sein Ringen um die richtige Musik, die Gefahr des Scheiterns und die Einflüsse globaler Krisen auf seine Arbeit sind nur einige Gesprächspunkte. Für ihn gilt: „The theatre is a place to balance all these feelings.“ Dieser hohe Anspruch steht stellvertretend für die Ernsthaftigkeit aller Interviews – ergänzt durch viele expressive Fotos. „Volume One“ steht auf dem Buchtitel – ja, gerne mehr.
Beatrix Leser
- Ingo Schaefer: „Dancers – Choreographers in Dialogue: Volume One“, Ahrensburg 2024, 208 Seiten, Softcover 39,90 Euro, Hardcover 49,90 Euro
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