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Eher Seitenpfade verfolgt

Mit „Rheingold“ beginnt ein neuer „Ring“ an der Bayerischen Staatsoper

Von Wolf-Dieter Peter

Die künstlerischen Messlatten liegen hoch: Vor Bayreuth war die Münchner Hofoper 1869 der Uraufführungsort; Nachkriegsdirigenten waren Knappertsbusch, Solti, Keilberth, Sawallisch, Mehta, Nagano, Petrenko; Regie führten Rennert, Lehnhoff, Wernicke, Alden und Kriegenburg.
GMD Vladimir Jurowski wird den sich bis 2026 dehnenden neuen „Ring“ musikalisch betreuen. Jetzt war nach dem aus völligem Dunkel kommenden Es-Dur ein schlanker, immer wieder sängerfreundlicher und daher das geschriebene Piano beachtender Wagner-Klang zu hören. Eine Art Erzähltonfall als Einleitung zum großen Weltendrama dominierte. So fehlte der Nibelheim-Vision die Horrorwucht und geriet Alberichs Fluch nicht zum gespenstisch bedrohlichen Dreh- und Angelpunkt. Erst zur finalen Selbstinszenierung der Götter erklang etwas von Wagners orchestraler Grandiosität. Das ganze Solistenensemble wäre vokal durchaus zu exemplarischer Figurengröße fähig gewesen, allen voran der füllige Wotan von Nicholas Brownlee, die volltönenden Riesen von Matthew Rose und Timo Riihonen bis hin zur klangschön warnenden Erda von Wiebke Lehmkuhl. Verdienter Jubel – ansonsten Warten auf die großen Leidenschaften in der „Walküre“ 2025.

Richard Wagner, „Das Rheingold“ mit Markus Brück als Alberich in Nibelheim. Foto: Wilfried Hösl

Richard Wagner, „Das Rheingold“ mit Markus Brück als Alberich in Nibelheim. Foto: Wilfried Hösl

Obwohl Wagner vom schärfsten Religionskritiker des 19. Jahrhunderts, Ludwig Feuerbach, beeinflusst war und erst im letzten Lebensabschnitt mit dem Buddhismus liebäugelte, hat Regisseur Tobias Kratzer in vorab gegebenen Interviews sein Interesse an der Problematik „Religion – unsterbliche Götter – sterbliche Kreaturen“ formuliert. Dafür hat ihm sein vertrauter Ausstatter Rainer Sellmaier eine dunkle, fast durchweg bespielte neugotische Kirchenhalle gebaut, deren zunächst mit Plastikplanen verhüllter Hochaltar die „Baustelle Walhall“ bildet. „Gott ist tot“ hat der mit grässlichem T-Shirt und bunten Bermudas als Underdog gezeigte Alberich an eine Chor-Wand gesprayt. Er ist dem Selbstmord nahe, drückt seine Pistole aber doch nicht ab. Die drei Rheintöchter treten in diesem Kirchenraum als Mischung aus Aktivistinnen wie Pussy Riot und verspielten heutigen Club-Girls auf. Ihr zu bewachendes Rheingold liegt wie ein Bischofsgrab im Kirchenboden, kann aber von Alberich in einer durchsichtigen Plastiktüte davongetragen werden. All das beobachtet ein durchweg Zigaretten rauchender Loge, model-schlank und elegant im schwarzen Existenzialisten-Look.  Wotans Weg nach Nibelheim wird als Video-Film-Reise durch unsere hektischen Stadtwelten auf dem Zwischenvorhang gezeigt.

Alberichs Nibelheim ist mit viel Gerümpel, fünf Bildschirmen für die Weltfinanzen, Schnellfeuerwaffen an der Wand und vielen Geldkoffern eine halbe Erinnerung an die Garage von Steve Jobs, aus der heraus damals die Weltmacht Apple erwuchs – nur leider lässt Sellmaier dieses oder Vergleichbares nicht erschreckendes Bild oder bedrohliche Projektion werden. Man sieht nichts von den gefährlichen Tech-Giganten unserer Zeit. Dagegen sind Ring und Speer als Requisiten geblieben. Auch Alberichs Verwandlung in einen Riesenwurm wird szenisch nicht eingelöst. Zunächst erschüttert seine Rückverwandlung aus der Kröte in eine nackte menschliche Kreatur – nur wirkt Markus Brück mit dauernd angezogenem Bein vor der Scham unfrei und sein Welt und Werk bestimmender Fluch wird vokal nicht zum Horror-Höhepunkt.

Den Abend beschließen Kratzer und Sellmaier allerdings mit einem spektakulären Bild: Im Hintergrund wird ein farbig leuchtendes Kirchenfenster mit der Welt­esche Yggdrasil und zwei Raben freigelegt, während sich die Götterfamilie nun als Heiligenfiguren in dem aufgeklappten, golden erstrahlenden Flügelaltar etablieren, in Mittelalter-Kostümen wie aus der Sagenbuch- und Historienmalerei des 19. Jahrhunderts. Dazu strömt heutig kostümiertes „Volk“ bewundernd in die Kirche. Das Regie-Team erntete deutliches Buh. Kratzer sagt selbst, dass ihm nach „Rheingold“ bis zur „Walküre“ 2025 noch Zeit bleibt, „einzelne Seitenwege ein bisschen anders zu gehen“ – er sollte sie definitiv nutzen.

Wolf-Dieter Peter

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