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Berichte

Zur Groteske entstellt

Barrie Kosky inszeniert Offenbachs „Banditen“ im Pariser Palais Garnier

Von Dieter David Scholz

Nach einer über dreißigjährigen Abwesenheit von der Pariser Oper sind nun Offenbachs „Les Brigands“ (Die Banditen) im altehrwürdigen Palais Garnier in einer Neuinszenierung von Barrie Kosky über die Bühne gegangen. Offenbach hat mit diesem Stück 1869 – also kurz vor dem deutsch-französischen Krieg –  letztmalig mit den brillanten Librettisten Meilhac und Halévy zusammengearbeitet und damit noch einmal einen großen Coup gelandet. Das erfolgreiche Trio entwarf ein sensationelles Räuber- und Verwechslungsspiel, das nichts weniger als eine Satire auf die Skandale des Zweiten Kaiserreichs war, vor allem der betrügerischen Bankiers jener Zeit, eine komische Parabel auf den Satz: „Money makes the world go round.“

Das Stück besteht aus einer Kette von souveränen Rollenwechseln. Im zweiten Akt schlüpfen die Banditen nacheinander in die Kleider von Bettlern, des Gast­hof-Personals, der Mantuaner, schließlich der spanischen Gesandtschaft. Nach Prinzessinnenraub und versuchtem Überfall auf den Staatsschatz des Fürstentums von Mantua sieht Räuberhauptmann Falsacappa jedoch ein, dass die Minister, die er berauben will, die größeren Gauner sind als er selbst. Denn die Staatskasse ist längst (eine Mitgift von drei Millionen) veruntreut. Die staatlichen Autoritäten sind krimineller als die Banditen. Am Ende wird der Räuberhauptmann begnadigt und zum Polizeichef ernannt. Die bitter-komischen Anspielungen auf Geld, Macht, Politik, vor allem aber auf die Korrumpierbarkeit von Politikern und die Lächerlichkeit der Armee waren natürlich als beißende Gesellschaftssatire auf Frankreich unter Napoleon III. gemünzt.

Jacques Offenbach, „Les Brigands“ mit dem Ensemble der Opéra National de Paris, Foto: Agathe Poupeney

Jacques Offenbach, „Les Brigands“ mit dem Ensemble der Opéra National de Paris, Foto: Agathe Poupeney

Die Pariser Aufführung hätte eine Sternstunde werden können, zumal der Verlag Boosey & Hawkes im Rahmen seiner Keck-Neuedition der Werke Offenbachs zum ersten Mal seit 1878 die (rekonstruierte) Orchestrierung der späteren großen Fassung bereitstellte. Das wurde im Programmheft nicht einmal erwähnt! Die bisher nie gehörte Fassung klang – was Wunder – im riesigen Palais Garnier geradezu superb. Das Glück der Aufführung war dem international renommier­ten italienischen Dirigenten Stefano Montanari zu danken. Er hat Offenbach tief ins Herz geschaut und in rasantem Tempo, rhythmisch zugespitzt und mit ironischem Augenzwinkern der Aufführung ordentlich Beine gemacht.

Das Orchestre de l’Opéra national spielte zum Niederknien schön, schnell und präzise, der Chor der Opéra national sang sich um Kopf und Kragen. Im großen Sängerensemble gab es manchen Lichtblick. Marie Perbost sang eine entzückende Räuberhauptmannstochter Fiorella. Auch Yann Beuron als Baron de Campotasso und Laurent Naouri als Chef des Carabiniers wurden ihrem Ruf gerecht. Auch Adriana Bignagni Lesca als Princessse de Granada überzeugte. Der absolute Tiefschlag war dagegen der gewiss vielseitige niederländische Tenor Marcel Beekmann als Räuberhauptmann Falsacappa. Er hatte als reichlich tuntige, überschminkte Dragqueen mit blonder Perücke und in rotem Lackkostüm aufzutreten. Ein Kosky-Einfall, der sich aus dem Stück in keiner Weise rechtfertigen lässt und zur Erhellung der Figur nichts beiträgt . Auch die vom Regisseur beauftragte neue Dialogfassung von Antonio Cuenca Ruiz brachte außer Kalauern und Anspielungen auf heutige Pariser Verhältnisse wenig Originelles.

Das Bühnenbild von Rufus Didwiszus zeigte einen typisch pariserischen opulenten, dem Palais Garnier angemessenen Barocksaal: eine eindrucksvolle Spielfläche für den von Kosky veranstalteten queeren Karneval. Die sich selbst genügende Travestieshow bot indes nur eine Art „höhere“ Blödelei. Die vielen Tänzer befleißigten sich (gemeinsam mit dem Chor) einer drei Stunden lang virtuos abschnurrenden Gymnastikübung in der Choreographie des Österreichers Otto Pichler. Karnevalesk und freizügig war auch die Kostümierung von Victoria Behr. Tänzer und Chor zeigten, was sie in ihren Höschen beziehungsweise Körbchen hatten. Erotische Anzüglichkeiten, Gegrabsche und Gefummle waren so selbstverständlich wie permanentes Gejubele, Gestampfe, Gekreische. Spätestens nach einer Stunde wurde das disko- und partyhafte Gebaren unerträglich. In der Pause verließen nicht wenige Zuschauer das Theater. Das Stück war zur Groteske entstellt. Ein trotz aller Spaßigkeit weiteres deprimierendes Beispiel einer selbstverliebten Feier der Obsessionen des Regisseurs, der die Intentionen Offenbachs und seiner Librettisten zur Nebensache machte. Schade!

Dieter David Scholz

 

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