Editorial
Flaute im Äther
Editorial von Tobias Könemann
Lebendige Kunst und Kultur sind einer gesunden Gesellschaft immanent. Gleiches gilt – in einer gesunden Demokratie – für starke und unabhängige Medien. In Europa, insbesondere auch in Deutschland, hat sich hier die Erscheinungsform „öffentlich-rechtlicher Rundfunk“ als wertvolles Standbein etabliert. Allerdings hat dieser hierzulande in den letzten vier Jahrzehnten aus einer völlig falsch verstandenen „Konkurrenz“ zum nicht qualitäts-, sondern quotenorientierten kommerziellen Rundfunk bereits viele positive Alleinstellungsmerkmale über Bord geworfen, dadurch sein Profil verwässert und seinen gesellschaftlichen Auftrag immer mehr in Frage gestellt. So ist der Begriff „Minderheitenprogramm“ mittlerweile ein K.o.-Kriterium.
Tobias Könemann. Foto: Pascal Schmidt
Mutmaßlich getrieben durch in Wahlen ja immer erfolgreichere demokratie- und kulturfeindliche Kräfte, denen der zwangsbeitragsfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk eine beliebte Angriffsfläche bietet, haben die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten nun zu alledem in einer Nacht- und Nebelaktion ohne Einbeziehung der Zivilgesellschaft eine „Rundfunkreform“ auf den Weg gebracht, die die Vielfalt und Regionalität von Kulturprogrammen und -berichterstattung drastisch weiter einschränkt.
Die Zahl der TV-Spartensender mit den Schwerpunkten Information, Bildung, Dokumentation soll halbiert, die Zahl der Hörfunksender von 70 auf 59 reduziert werden. Treffen wird Letzteres insbesondere die Kulturkanäle, denen schon zuvor durch die bundesweite Zentralisierung (und damit regionale Entkoppelung) der Redaktionen der Boden unter den Füßen weggezogen worden war.
Die beiden sowohl von ihrer Zielrichtung als auch ihren inhaltlichen Schwerpunkten her so unterschiedlichen grenzüberschreitenden TV-Programme „3sat“ und „ARTE“, beide Archetypen eines öffentlich-rechtlichen Programmprofils, sollen – auch in Bezug auf ihre online-Angebote – mittelfristig auf eine noch nicht näher beschriebene Weise zusammengeführt werden.
Als Konzession an die Verlagslobby sollen die online-Textangebote, gerade in der aktuellen Berichterstattung, einem der wesentlichsten Schwerpunkte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, drastisch eingeschränkt werden. Hier kollidieren allerdings in der Tat die hochwichtigen Rechtsgüter Pressefreiheit und Entwicklungsgarantie der öffentlich-rechtlichen Medien. Es muss um Lösungen gerungen werden, bei denen keines von beiden auf der Strecke bleibt.
Unangetastet bleiben jedoch der massenweise Einkauf völlig überteuerter und noch dazu oft genug gewaltverherrlichender US-Spielfilme und -Serien sowie der völlig überzogene Erwerb milliardenschwerer Sport-Übertragungsrechte – beides Bereiche, für die die Frage mehr als berechtigt ist, ob dies in Anbetracht des Umstands, dass diese Segmente mindestens ebenso gut und ohne prohibitive Zugangsschwellen durch kommerzielle Anbieter (linear und online) abgedeckt werden, über ein Grundangebot hinaus überhaupt mit dem öffentlich-rechtlichen Programmauftrag vereinbar ist.
Unangetastet bleibt auch das – organisatorisch, wenn auch nicht inhaltlich, längst obsolete – zufällige Folgeprodukt des gescheiterten „Adenauer-Fernsehens“, durch dessen Eingliederung in die ARD-Strukturen sich auch bei bestehender redaktioneller Unabhängigkeit mutmaßlich bis zu einer Milliarde Euro pro Jahr sparen ließen.
Hingegen fehlen jegliche – inhaltliche wie finanzielle – Impulse für die Weiterentwicklung der non-linearen Angebote als eines existenziellen Faktors im Rahmen der allgemeinen Medien-Transformation. Honni soit qui mal y pense …
Vor wenigen Wochen hat die zweitgrößte und wichtigste Demokratie der Welt sehenden Auges und mit unabsehbaren Folgen für die ganze Welt ihren eigenen Bankrott herbeigeführt. In ihr gab es dank eines geradezu manischen Liberalismus traditionell weder eine nennenswerte staatliche Kulturförderung noch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ob dies zum Niedergang beigetragen hat und ob unsere Modelle uns vor Vergleichbarem werden retten können, kann niemand sicher beantworten. Aber versuchen sollten wir Letzteres zumindest. Dafür bedürfte es allerdings auch des Endes der ewigen zermürbenden und – schon aufgrund der betroffenen Volumina – zu nichts führenden Spardebatten!
Tobias Könemann
|