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Kollektiv mit eigenen Gesetzen

Ethel Smyths „The Wreckers“ in Meiningen

Von Roland H. Dippel

Das von Ethel Smyth in französischer Sprache komponierte Textbuch des Philosophen Henry Bennet Brewster gelangte an der Oper Leipzig 1906 auf Deutsch zur stark gestrichenen Uraufführung. Mit dieser Übersetzung von John Bernhoff brachte das Staatstheater Meiningen nun eine fast ungekürzte Neuproduktion von „The Wreckers“ (Die Strandräuber) heraus. Für die später vor allem in englischer Sprache gegebene Oper setzt erst seit der Pandemie eine leider noch immer überschaubare Erfolgswelle ein – neben Meiningen in der Spielzeit 2024/25 auch in Karlsruhe und Schwerin.

Smyths dritte Oper ist ein hartes und konfrontatives Stück: An der Küste Cornwalls lebt eine abgeschlossene Gemeinschaft, die mit lichtlosen Leuchttürmen und Feuern Schiffe in die Irre führt, die Besatzungen tötet und die Frachtgüter in ihren Besitz bringt. Bestärkt durch weltliche und kirchliche Autoritäten fühlt sich dieses isolierte „Volk“ moralisch im Recht. „Gott lässt zu, dass es Mord und Menschenopfer gibt“, meint Prediger Pasko, dessen kämpferische Gläubigkeit allerdings durch den Treuebruch seiner wesentlich jüngeren Frau erschüttert wird. Den von der Meininger Regie ideologisch und emotional gepackten und subtil ausgeloteten Part des Dogmatikers gestaltet Tomasz Wija kantig und bewegend.

Ethel Smyth, „The Wreckers“ mit Karis Tucker und Alexander Geller. Foto: Christina Iberl

Ethel Smyth, „The Wreckers“ mit Karis Tucker und Alexander Geller. Foto: Christina Iberl

Alle Figuren außer dem geradlinigen Fischer Marc (Alexander Geller), den die von ihm verlassene Avis (Emma McNairy) dem Volkszorn ausliefert, sind zerrissen durch private Kalamitäten in Widerspruch zu rigiden Moralkonventionen. Weiteres Racheopfer von Avis ist Marcs andere Geliebte Thurza, Paskos Frau (mit Partiekenntnis souverän eingesprungen Karis Tucker). Smyths Musik vergegenwärtigt die Schärfen der Handlung durch aneinander reibende Blöcke von Klangsprachen. „The Wreckers“ wirkt wie ein Haltepunkt zwischen spätem Verdi, Janáček und Mahlers Liedern. Die Partitur der mutigen und durchsetzungsstarken Komponistin ist hochdramatisch und nach der letzten Musiktheater-Premiere „Don Carlos“ ein weiterer aufwühlender Gemeinschaftscoup von GMD Killian Farrell und Meininger Hofkapelle. Die Gewalt­eskalationen sind hier noch heftiger und massiver, doch die hohe Meininger Orchesterkultur federt eine allzu plakative Expression ab und setzt die emotionalen Aufschwünge ohne Sentiment.

Höhepunkte sind die ausgedehnten Massenszenen, die der Chor mit beängstigender Suggestion ausführt. Roman David Rothenaicher vermittelt dem Ensemble eine bedrohliche Schärfe. Man hört mit Beklemmung, wie Gewalt weitere Gewalt erzeugt. Jochen Biganzoli verdichtet in seiner Regie die abgründig graue Atmosphäre bis zum bitteren Ende, wenn das Liebespaar Mark und Thurza an Stühlen festgebunden mit einem großen Duett-Unisono den Tod erwartet. Alexandre Corazzola setzt einen Raumwürfel in eisigem Weiß auf die Drehbühne. In diesem brütet die isolierte Gemeinschaft am Fremdenhass und bricht zu Beutezügen auf. Es herrscht ein toxisches Klima aus explosiven Selbstbezichtigungen, Anklagen und drohender Gewalteskalation. „Hunger“, „Angst“, „Allein“ schreiben einzelne auf die Wände – später werden die Worte parallel zur tragischen Verdichtung immer aggressiver. Biganzoli erzählt mit dem intensiv agierenden Chor parallel zur Haupthandlung vom kollektiven Abdriften in die Selbstermächtigung durch eigene Gesetze. Aus der Hosenrolle Jack wurde Sophie (souveränes Temperamentsbündel Sara-Maria Saalmann) und demzufolge eine lesbische Kurz-Beziehung mit Avis, bevor diese aufgrund des Geständnisses ihrer Affäre mit Marc vom eigenen Vater (Mark Hightower) verbannt wird.

Bei Biganzoli spielt das in einer unaufdringlich bebilderten Gegenwart mit Smartphones und gelöcherten Jeans. Es geht immer auch um die radikale Selbstgewissheit jeder Figur. Damit folgt Biganzoli Smyth, die keine Figur belobigt oder verteufelt. Alle lassen sich mit giftigem Eifer in die Zerstörungswut fallen. Die Musik zeigt Hass und Liebe als durch Mangel gesteigerte Sehnsucht nach Rausch. Die Brüche in der Partitur intensivieren die Handlungsspirale mit filmartigen Perspektivenwechseln und Affektschärfungen. Ensemble, Chor und Hofkapelle bestätigen, warum Smyths Oper mit ihrer kritischen Stoßkraft viel häufiger auf die Bühnen muss. Gerade im Hier und Jetzt.

Roland H. Dippel

 

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