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Berichte
Nicht nur Glitzer, Applaus und rote Rosen
Das MozartLabor Würzburg diskutierte Anforderungen des Operngesangs
Von Michaela Schneider
Wer sich heute zum Opernsänger ausbilden lässt, hat schlechte Karten auf einen festen Job. Viele Theater haben die Stellen für Solistinnen und Solisten deutlich reduziert. Nur wenige Opernhäuser wie Frankfurt, Stuttgart oder Düsseldorf leisten sich heute noch ein großes Ensemble mit bis zu 40 Sängerinnen und Sängern. Oft aus Spargründen arbeiten Opernhäuser lieber nach Bedarf mit Gästen oder freien Kräften. Gleichzeitig allerdings verzeichnen die deutschen Musikhochschulen deutlich mehr Gesangsstudierende als früher. Als freiberuflicher Künstler zu arbeiten allerdings ist ein hartes Brot.
Von links: Dirigent Christophe Rousset, Opernsängerin Clarry Bartha, Intendant Heribert Germeshausen, Moderatorin Ursula Nusser. Foto: Michaela Schneider
„Singen als Beruf – Himmel oder Hölle?“: Darüber diskutierten Stipendiat*innen des diesjährigen Würzburger „MozartLabors“, dem bereits zum elften Mal veranstalteten Forschungslabor des Mozartfests Würzburg. Stipendiaten, Künstler sowie Experten aus Wissenschaft, Kulturmanagement und Medien nehmen jeweils vier Tage lang Themen des aktuellen Festivals in den Blick. Lectures, Podiumsdiskussionen und Proben mit prominenten Dozentinnen und Dozenten sind öffentlich.
Unter dem Motto „Seelenforscher Mozart“ hatte das unterfränkische Mozartfest 2024 die Stimme als direkteste Ausdrucksform alles Menschlichen in den Fokus gestellt. Beim „MozartLabor“ ging es in zwei Sektionen um „Konzertdesign“ sowie „Musik und Video“ und in einer dritten Sektion um „Karriereplanung Oper“. Im Programm hieß es dazu: „In Zeiten multipler Krisen und gesellschaftlicher Spaltung wohnt der Oper als interdisziplinärer, synästhetischer Kunstform einerseits ein großes Potenzial künstlerischer und gesellschaftlicher Relevanz inne, andererseits gerät sie als kostenintensiver Betrieb unter besonderen Druck mit möglicherweise gravierenden strukturellen Folgen.“
Zur Frage „Opernsänger – Himmel oder Hölle?“ moderierte die Journalistin Ursula Nusser ein Podiumsgespräch mit der Sopranistin Clarry Bartha, dem Dirigenten, Cembalisten und Artist étoile des Mozartfests Würzburg 2024 Christophe Rousset sowie Heribert Germeshausen, dem Intendanten des Opernhauses Dortmund, das 2023 mit dem „Oper! Award“ für das beste Opernhaus ausgezeichnet wurde.
Germeshausen schilderte, die meisten Sängerkarrieren dauerten nur fünf bis zehn Jahre und es herrsche großer Frauenüberschuss, vor allem im Sopran. Sein Ratschlag an den Sängernachwuchs lautete folglich, so früh wie möglich auf sich aufmerksam zu machen – und einen Plan B in der Tasche zu haben. Mit dem Opernstudio NRW hat Germeshausen gemeinsam mit dem Aalto-Theater Essen, dem Musiktheater im Revier Gelsenkirchen und der Oper Wuppertal für Absolventen eine zweijährige Übergangssituation geschaffen. Die Vermittlungsquote in Ensembles liege anschließend bei nahezu 100 Prozent, sagt er.
Die gebürtige Schwedin Clarry Bartha, Jahrgang 1956, steht nach wie vor auf Opernbühnen. Auf die Frage, ob sie sich in der heutigen Zeit zur Opernsängerin ausbilden lassen würde, antwortete sie mit einem überzeugten „Nein“. Es sei ein sehr harter, schwerer Beruf – und nicht nur Glitzer, Applaus und rote Rosen. Die Jungen müssten sehr gut vorbereitet sein, erwartet werde heute ein extrem breites Spektrum von Barock bis Moderne. Man müsse Stimme haben, neugierig sein – und das Glück haben, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
„Dieser Beruf verlangt, wenn man ihn wählt, unglaublich viel Resilienz ab“, sagte Dominique Dethier. Die MozartLabor-Stipendiatin arbeitet als freischaffende Konzert- und Opernsängerin und ist unter anderem Solistin der Dommusik Salzburg. Man sei immer in einer „Auf der Hut sein“-Stellung, um gesundheitlich auf der Höhe zu bleiben. Gleichzeitig, fügte sie an, gebe das Publikum unglaublich viel zurück. Zudem stelle sich mit der Zeit eine Routine ein – auch was das Einordnen von Absagen angehe.
Doch nach welchen Kriterien werden Sängerinnen oder Sänger ausgewählt? Es gebe kaum objektive Kriterien dafür, dass eine Stimme gefalle oder nicht; meist wisse er dies sofort, schon nach den ersten Tönen, sagte Rousset, unter anderem Begründer des Ensembles „Les Talens Lyriques“. Mit diesem führt er italienische Madrigale, französische „Airs de Cour“, venezianische und neapolitanische Opere serie, französische Opéras comiques und Tragédies lyriques auf. Neue Sängerinnen und Sänger seien interessant, und er sei immer neugierig. Gleichzeitig sei aber auch Erfahrung sehr wichtig. Und so erklärte Rousset: „Ich bin meinen Sängern sehr treu, habe meinen Pool und arbeite lieber mit Leuten, die ich kenne.“ Ob man jemanden engagiere, sei am Ende zwar Geschmacksfrage, aber es gebe objektive Kriterien wie Technik und gesunden Umgang mit der Stimme, ergänzte Germeshausen.
Pianistin Doriana Tchakarova mit Stipendiatin Martina Baroni beim MozartLabor. Foto: Mozartfest-Würzburg, Kathrin Belke
Clarry Bartha machte überdies die Erfahrung, dass heute auch die Regie großes Gewicht habe – dann könne es auch um Kriterien wie Ausdruck, Größe oder Haarfarbe gehen. Die Sopranistin und Stipendiatin Annemarie Koller studiert im letzten Bachelorsemester in Nürnberg Gesang und sprach vom ständigen Gefühl, ob sie passend dafür sei, was gesucht werde. Hier sah Bartha ein deutliches Manko in der Vorbereitung an den Hochschulen: Es müsste in der Ausbildung viel stärker um eine „Vorbereitung mit Stärken und Schwächen“ sowie darum gehen, „das zu finden, was zu dieser Person besser passt und was sie am besten repräsentiert“. Den jungen Kolleg*innen gab sie außerdem mit auf den Karriereweg: „Es gibt keine kleinen und großen Rollen an der Oper. Es gibt nur gut gesungene Rollen!“
Die 21 Jahre junge Sopranistin Defne Celik, Studentin der HMTMH Hannover, fragte, ob es heute überhaupt noch einen Punkt gebe, wo sie als Opernsängerin selbst Input geben und ihre eigene Kreativität einbringen könne. Auch ihr machte Bartha Mut: „Das, was Du hast, gibst Du weiter. Zusammen mit der Musik und mit einem fantastischen Theater.“ Ein guter Regisseur wolle eine Sängerin nicht umändern.
„Was die Hölle ist, ist der Druck sowohl von außen als auch der Druck, den wir uns selbst machen“, sagte Stipendiatin Barbara Skora. Die Mezzosopranistin studiert Operngesang in Hannover. Es gehe nicht, relativierte Sopranistin Clarry Bartha, um die Frage nach Himmel oder Hölle. Der Beruf sei Himmel und Hölle: „Die Stimme ist das beste Instrument, das wir haben. Wenn wir damit berühren können, ist das himmlisch.“ Es gebe unglaublich viele tolle Sängerinnen und Sänger, die nicht die großen Stars sind; es gebe so viele Nischen, so viele Theater neben der MET und der Scala; außerdem gebe es so viele professionelle Chöre, in denen man gut verdiene. Ihr Appell: „Wenn man die Musik liebt, dann muss man die eigene Nische finden.“ Die Momente, in denen sie Musik mache, so gut sie könne, seien für sie Glücksmomente, bestätigte die 1998 geborene italienische MozartLabor-Stipendiatin, Pianistin und Mezzosopranistin Martina Baroni.
Michaela Schneider |