Berichte
Wahre Feste?
Saison-Endspurt beim Bayerischen Staatsballett mit dem Premierenabend „Sphären.02“
Im Tanz können aus der Verschwommenheit des Seins wahre Feste entstehen. Der Ballettpremiere „Sphären.02“ des diesjährigen Münchner Festspielsommers im Cuvilliés-Theater ging die choreografisch-heitere Komponente aber weitgehend ab. Eine eigenartig melancholische Schwermut haftete der Ausgabe an, für die der französische Choreograf Angelin Preljocaj als Kurator verantwortlich zeichnete. Die Möglichkeit, Neuartiges zu wagen, wurde kaum ausgereizt. Auf ganzer Linie überzeugte dagegen die interpretatorische Leistung aller drei ausschließlich aus dem Corps de ballets besetzten Werke.
Émilie Lalande und Edouard Hue waren von Preljocaj mit Neukreationen beauftragt worden. Hierzulande sind die beiden bislang weitgehend unbekannt. Umso bedauerlicher, dass ausgerechnet Hues „Skinny Hearts“ kaum Innovationen bot – weder stilistisch noch inhaltlich. Das finale Stück über den Versuch, sich aus einer Art kollektivem Winterschlaf zu befreien, war mit seiner zerdehnt-bedrückenden Atmosphäre das Gegenteil eines furiosen Rausschmeißers.
Edouard Hue, „Skinny Hearts“ mit Tänzerinnen des Bayerischen Staatsballetts. Foto: S. Gherciu
Acht Protagonistinnen staksten schier pausenlos mit gebeugten Knien auf Zehenspitzen über die Bühne – gefangen in einer bizarr frostverklemmten Haltung und zugleich immer wieder neuen Formationen. Zu monoton im Duktus läpperte Hues Idee eines generellen Kältezustands dahin, bei dem im Fall von Stillstand sofort alles und jeder einzufrieren droht. Nur einer Interpretin gelang zumindest zeitweilig ein motorisch individuell schön herausgearbeiteter Ausbruch. Choreografische Innovation sieht anders aus. Zudem hätte dem Abend zwischendurch etwas mehr „Sonne im Gemüt“ durchaus gut getan.
Lalande wiederum hat sich von den klassischen Qualitäten des Bayerischen Staatsballetts verführen lassen. Keineswegs zum Nachteil ihrer hübsch übersinnlich inszenierten Version von „Le Spectre de la rose“ für zwei fabelhafte Paare, die sie zu Beginn brav aufgereiht in grauen Jacketts präsentierte. Mit Versen von Théophile Gautier setzte – zunehmend traumwandlerisch – eine Verwandlung der Figuren ein. Deren Bewegtheit wurde zu mobilen Bausteinen einer assoziationsreich offenen Geschichte, die zwischendurch gespenstische Züge annahm.
Während Phoebe Schembri und Matteo Dilaghi gestikulierend eine stumme Diskussion vom Zaun brachen, geriet zwischen ihre Fronten Soren Sakadales mit einem von Rosen-Tattoos durchlöcherten Trikot. In dem soundtechnisch verfremdeten Stück zu Carl Maria von Webers „Aufforderung zum Tanz“ fanden sich diverse Verweise auf Michail Fokines Originalchoreografie von 1911. Insbesondere bei Zhanna Gubanova spielten Schlaf und die Verschränkung von Wahrnehmungsebenen eine Rolle. Indem Sakadales und die Schlummernde zusammenkamen, verschwamm die Grenze zwischen Tod und Ohnmacht.
Zu Anfang des Abends tanzten zwei Männer ein emotionsgeladenes Duett. Was sie verband, war vor allem ein kantiger Ledersessel – sperrig und unzerstörbar robust wie das schnell-rohe Miteinander der beiden Akteure. Während Severin Brunhuber überdrüssigen Frust schob, oszillierte Konstantin Ivkin zwischen Momenten von Zuneigung und Hass. Zusammen gaben sie im bereits 35 Jahre alten, nach wie vor zeitgenössisch wirkenden Stück „Un trait d’union“ von Preljocaj ein famoses Tandem voller zersplitterter Intimität ab.
Aus dem Off erklang dazu das Largo aus Bachs Klavierkonzert Nr. 5. Einsamkeit steigerte sich zu Ablehnung. Wurde die Sehnsucht zu groß, katapultierten die beiden Tänzer ihre Körper entgegen der Schwerkraft zum Gegenüber. Jedes Aufeinander-Zu oder Voneinander-Weg blieb physisch gefühlsbetont und starkstromartig. Brunhuber und Ivkin brillierten im Dauerzustand maskuliner Reiberei. Konditionell herausgefordert und stets dem Aufprall gerade ungleicher Empfindungen ausgesetzt, zeigten sie körperlich frappierend die Schattenseiten von Freundschaft auf.
Vesna Mlakar
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