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Missachteter Großdramatiker
Giacomo Meyerbeer zum 150. Todestag
Sabine Henze-Döhring, Sieghart Döhring: Giacomo Meyerbeer. Der Meister der Grand Opéra. 225 S., 23 SW-Abb., Beck Verlag München 2014, 22,95 €
Grandiose Musiktheaterszenen sind ihm zu danken: das blutige Ende der Hugenotten in der „Bartholomäusnacht“ als musikalischer Triumph; das faustische Ringen von „Robert dem Teufel“; Utopie und blutiges Ende der Münsteraner „Wiedertäufer“ um Jan van Leyden; Exotik und Kolonialproblematik bei der Entdeckung Indiens durch „Vasco da Gama“; dazu herrliche Lustspielszenen und Hollywoods Film-Animationen vorwegnehmende Naturkatastrophen in anderen Werken – aber Wagner, der Einfluss der fatalen „Bayreuther Blätter“ und die braunen Kulturbarbaren haben ihn ins Abseits gestellt: den 1791 in Berlin als Johann Meyer Beer geborenen Giacomo Meyerbeer, der 1864 als internationale Berühmtheit in Paris starb. Schon beim ersten Konzert wurde das Wunderkind umschrieben mit „Judenknabe von 9 Jahren“. Von Wagner bekam er das Etikett „Jude, der zu keiner originären nationalen Kunst“ fähig sei; Ludwig Rellstab sah ihn als „Franzosenfreund, der keine deutsche Musik schreiben“ könne; Robert Schumann bezeichnete ihn als „Stil-Eklektiker von höchster Nicht-Originalität“; 1932 fanden in Berlin und München letzte Neuinszenierungen von „Les Huguenots“ statt; 1941 schließlich stellte kein Geringerer als der Richard-Strauss-Lib-rettist Joseph Gregor in seiner „Kulturgeschichte der Oper“ fest: „Tot ist Meyerbeers Musik… seine verführerischen Instrumente liegen zerbrochen.“ Denn bezüglich Meyerbeer und Wagner „trafen sich das Judentum in der Musik und der Verfasser der Broschüre gleichen Namens“. 1950 tilgte Gregor zwar den „Judentum“-Satz, freute sich aber weiter über den Tod Meyerbeers.
Sabine Henze-Döhring, Sieghart Döhring: Giacomo Meyerbeer. Der Meister der Grand Opéra.
Zwar gab es Einzelaufführungen, und nach 1960 begann die biografische und musikhistorische Aufarbeitung des großen verstreuten Nachlasses, zunächst in der DDR durch Reiner Zimmermann und das Ehepaar Becker, dann auch in der Bundesrepublik. Doch erst Sieghart Döhring am Musiktheater-Institut Thur-nau und seine Frau Sabine initiierten ab 1990 eine profunde Beschäftigung mit dem Verkannten. Ihr kompaktes Buch liefert jetzt eine Quintessenz: gut lesbar, Kultur- und jeweilige Zeitgeschichte mit einbeziehend. Ohne dass die Autoren ins rein Musikwissenschaftliche abgleiten, wird Meyerbeers Fortführen des Genres „Oper“ über Rossini hinaus in „unerhörte“ Gefilde bewiesen: die Erfindung der Introduktion für die Hauptfigur, eine fein austarierte Instrumentation fern des Klischees „Bombast und Pomp“, die klangdramaturgisch phänomenale Vertonung von Großszenen mit einer neuen Rolle des „Volkes“ oder die Verknüpfung von „erinnerter Musik“ in zitierendem Gesang und Aktionsmusik für die aktuelle Szene. Schon 1824 erkennt ein Kritiker: „Es sind nicht nur Noten..., sondern Gedanken“. Wagners Leitmotiv-Ideengebäude hat also „Vorfahren“. Die Autoren belegen, wie ab 1831 Meyerbeers fünfaktige his-torische Grand Opéra als „weltweit bewundertes Musiktheater mit hohem Prestige“ dominierte: durch handlungstragendes Ballett, hochwertige Kostüme, höchst aufwändige Szenographie, entsprechend sensationelle Bühnen- und avancierte Lichttechnik – die synästhetische Verknüpfung der Einzelkünste in Richtung „überwältigendes Gesamtkunstwerk“. Meyerbeer würde sich heute wohl in Hollywoods Digitalstudios wohlfühlen, zusammen mit Wagner. Über alle biographischen Stationen, Ämter und Ehrungen zwischen Paris und Berlin, die schön umrissene Freundschaft mit Alexander von Humboldt und die entlarvten „aufführungspraktischen“ Verhunzungen der Werke hinaus beeindruckt der Band mit jeweils profunden musikdramaturgischen Werk-Analysen von „Crociata“ bis zur endgültigen Umbenennung von „L‘Africaine“ in „Vasco da Gama“. Anschaulich sind die Entwürfe von Regiebüchern zu lesen, eine Herausforderung an Regisseure und Intendanten. Doch auch der 150. Todestag bringt keine große Aufführungswelle: In München wurde eine verfälschte „Afrikanerin“ letztmals noch 1962 im Prinzregententheater inszeniert; lediglich die rührige Nürnberger Oper wagt im kommenden Juni „Les Huguenots“. Die Döhrings machen klar, was wir versäumen: „bedeutende Kunstereignisse und grandiose Unterhaltung“.
Wolf-Dieter Peter
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