Ring-Halbzeit in Nürnberg
Wagners „Rheingold“ und „Walküre“ · Von Juan Martin Koch
Was in Bayreuth – dank Thomas Hengelbrock, Andris Nelsons und Kirill Petrenko – langsam an Bedeutung gewinnt, scheint sich in Nürnberg zu einer eigenständigen Tradition zu verdichten: eine Wagner-Interpretation, die auf Erkenntnisse der his-torischen Aufführungspraxis reagiert und sich vom Traditionsballast eines eingedickten, pathetisch dröhnenden, die Sänger in den Hintergrund drängenden Orchesterklangs befreit.
Antonio Yang als Wotan und Roswitha Christina Müller als Fricka in der Nürnberger „Walküre“. Foto: Ludwig Olah
GMD Marcus Bosch berief sich zum Start des bis 2016 terminierten Nürnberger Ring-Zyklus ausdrücklich auf Wagners Probenanmerkungen zur Uraufführung von 1876 und legte das „Rheingold“ entsprechend transparent und kammermusikalisch an. Die Streicherartikulation war tiefengeschärft, die Holzbläser bildeten eine charakteristische Farbe, die auch im Verbund mit dem nie vordergründig auftrumpfenden Blech ihre Eigenständigkeit behielt.
Diese Durchhörbarkeit der Binnenstruktur bewahrt den Orchesterklang davor, in die Bedeutungslosigkeit abzusinken, wenn die Lautstärke, dem vorwärts drängenden Konversationstonfall entsprechend, in ein sängerfreundliches Piano zurückgefahren wird. Die mächtigen, klangmalerischen oder dramatisch zuspitzenden Ausbrüche und Zwischenspiele haben von dort aus ein breites Entfaltungspotenzial, das Bosch dann zusammen mit der über weite Strecken ausgezeichneten Staatsphilharmonie auch voll ausnutzt.
Nicht ganz so gut war es um die dynamische Balance allerdings in der „Walküre“ bestellt (Vorstellung am 2. April), in der auch einige Probleme in den Holz- und Blechbläsern zu vernehmen waren. Dennoch: Wie segensreich sich Boschs Zugriff auf den Gesang auswirkt, das ist in Nürnberg beeindruckend zu erleben, wo ein textverständliches Wagnerensemble ohne größere Schwachpunkte zu Hause ist. Einzig Egils Silins musste in der „Rheingold“-Premiere (30. November) kurzfristig als Gast einspringen und gab einen zunehmend substanzreich verhandelnden Wotan.
In der „Walküre“ stieg Antonio Yang – zuvor ein hervorragender Alberich – zum beeindruckend deklamierenden Göttervater auf. Vincent Wolfsteiner, der im Ring-Vorspiel seine heldentenoralen Reserven klug für ein facettenreiches Loge-Porträt dosiert hatte, spielte diese als Siegmund mühelos aus, ohne Loges rhetorische Qualitäten zu vergessen. Mit Irmgard Vilsmaiers klarer, bisweilen etwas scharfer Sieglinde stürzte er sich in den Wälsungen-Liebesrausch. Trotz Rachael Toveys technisch makelloser, bis in die Höhe gut fokussierter und intensiv gestaltender Brünnhilde war wohl Roswitha Chris-tina Müller der heimliche Star dieser ersten Nürnberger Ring-Halbzeit. Ihr Fricka-Porträt machte deutlich, dass messerscharfe Diktion und klangschönes Legato im Wagner-Gesang keinen Widerspruch bilden müssen.
Der sängerischen Intensität, die sie und das ganze Ensemble in die Waagschale werfen, ist es zu verdanken, dass diese Neuinszenierung auch dort einigermaßen funktioniert, wo Regisseur Georg Schmiedleitner kaum mehr eingefallen ist als ein dezent provokanter, modernisierender Tonfall. Die leichten Rheintöchter-Damen, die ihrem Gewerbe am Rande eines mit leeren PET-Flaschen und anderem Kunststoff zugemüllten Waldes auf einem Gestell aus Wassertanks nachgehen; die Goldfarbe, mit der Alberich sich triumphierend übergießt und mit der er dann seine unterirdische Fabrik tünchen lässt; Fafners Tüte mit durchgestrichenem Radioaktivitäts-Symbol: Das sind zu schwache Bilder für Schmiedleitners These, im „Rheingold“ gehe es um Raubbau an der Natur und um einen Kampf um Ressourcen.
In der „Walküre“ hat er an diesem Thema dann auch schon wieder das Interesse verloren, sieht man einmal davon ab, dass in mildem, giftgrünen Lichte auf Reifenstapeln der Lenz leuchtet. Erfreulich ist allerdings, vor allem im „Rheingold“, sein detailgenaues Interesse an den Personen, auch an den gerade nicht singenden. Die zweite, von Wotan und Fricka mit einem Quickie in karger Sofalandschaft eröffnete Szene entwickelt eine ebenso kurzweilige Eigendynamik wie der zweite Walküren-Aufzug, der sich in Wotans Kommando-Bunker abspielt. Ebenso dürftig wie die Live-Videos im „Rheingold“ wirken gleichwohl in der „Walküre“ die Rückgriffe auf eine Exploitation-Bildsprache à la Tarantino: Kindersoldaten, die in Käfigen von der Decke baumeln, machen noch kein politisches Regietheater.
Nicht nur was die Video-Elemente betrifft, hat Frank Castorfs Bayreuther Zugriff, zu dem sich manche Parallele ziehen ließe, Schmiedleitners bislang kaum konturiertem Konzept einiges voraus. Bis zum zweiten Teil der Tetralogie, der am 19. April 2015 mit dem „Siegfried“ startet, hat er nun noch Zeit, das Ruder herumzureißen. Musikalisch hat der Nürnberger Ring bis hierher aber in jedem Fall Festspiel-Niveau.
Juan Martin Koch
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