Gipfeltreffen der Nachwuchskünstler
Bundesjugendballett und Bundesjugendorchester · Von Marco Frei
Die Worte sind kurz und knapp, umso größer ist die Euphorie. „Thank you so much, wonderful (people)“ – das notierte Simon Rattle ins Gästebuch des Bundesjugendorchesters. John Neumeier, langjähriger Leiter des Hamburg Ballett, wurde etwas ausführlicher. „Es ist sehr aufregend und inspirierend, mit dem Bundesjugendballett und in diesem Fall auch dem Bundesjugend-orchester zusammenzuarbeiten, weil man mit ständiger Hingabe konfrontiert wird. Diese Hingabe und die Selbstlosigkeit sich zu vergessen sind in meinen Augen die Essenz unserer Arbeit, und man will eigentlich immer daran festhalten.“
Die beiden Spitzenensembles gemeinsam auf der Bühne. Foto: Peter Adamik
Was Rattle und Neumeier meinen, war ein regelrechtes Gipfeltreffen der Topliga junger Spitzenkräfte. Das Bundesjugendorchester (BJO) und Bundesjugendballett (BJB) haben erstmals zusammengearbeitet und ein Projekt ausgetüftelt, um im Frühjahr gemeinsam durch Deutschland zu touren. 2008 war es bereits zu einem ersten Aufeinandertreffen zwischen BJO und den The-aterklassen des Hamburg Ballett gekommen, was Neumeier seinerzeit zur Gründung des BJB inspiriert haben soll. Der Startschuss für das jetzige Projekt fiel im Festspielhaus Baden-Baden, wo das BJO zum zweiten Mal Gast der Berliner Philharmoniker war. Seit 2013 verbindet die Berliner Philharmoniker und das BJO eine Patenschaft.
Besonders glanzvoll war der Auftakt in Baden-Baden, zumal sich hier auch Rattle und Neumeier gemeinsam präsentierten. Nur in Baden-Baden stand neben Alexan-der Schelley auch Rattle am Pult, um mit dem BJO zusätzlich das Vorspiel und den Liebestod aus Wagners „Tristan und Isolde“ zu präsentieren – mit 15 Berliner Philharmonikern, die sich unter die jungen BJO-Musiker mischten. Sonst aber starteten die Auftritte jeweils mit „Alagoana – Caprichos Brasileiros“ von Bernd Alois Zimmermann ohne Tanz, danach folgten drei neue Choreografien nach Paul Dukas‘ „Zauberlehrling“ (Wubkje Kuindersma), „Exsultet“ von James MacMillan (Sasha Riva & Marc Jubete) sowie nach Haydns Sinfonie Nr. 30 „Alleluja“ (Neumeier).
Drei Auftragschoreografien sowie Rattle und Neumeier auf der Bühne: Schon das alleine war ein Ereignis. Der eigentliche Clou war jedoch das Konzept selber, denn: „Normalerweise ist bei einer Ballett-Aufführung die Musik eher die Dienerin, nicht aber bei uns“, erklärt BJO-Projektleiter Sönke Lentz – zumal das Orchester gemeinsam mit den Tänzern auf der Bühne war. „Wir wollten nicht, dass das Orchester im Graben verschwindet, sondern ein Zeichen setzen“, so Lentz. „Künstler verschiedener Sparten tun sich zusammen und präsentieren sich gemeinsam, wachsen zu einem großen Ensemble zusammen.“
Deswegen wurde das Orchester hinter den Tänzern auf der Bühne platziert. Ein Vorbau schenkte zusätzlichen Platz für das Ballett, die Tanzfläche betrug zwölf mal sechs Meter. Für die Tänzer war diese Bühnensituation eine neue, ungewohnte Erfahrung, weil hinter ihnen der Schalldruck und die Energie eines Orchesters frei wurde. Zugleich mussten sich das junge Ballett und das junge Orchester interpretatorisch aufeinander einstellen: Es galt, die geeigneten Tempi und Pausen für die Tänzer zu finden, ohne den musikalischen Sinn zu gefährden. „Das Ringen, beiden Kunstformen gerecht zu werden, hat sehr viele Proben bestimmt“, berichtet Lentz. Als aber beide Ensembles erstmals aufeinandertrafen, sei das ein „verzauberter Moment“ gewesen.
Beide Seiten haben festgestellt, auf welchem Niveau man diese Kunst betreibt und was es bedeutet, dieses Nivau zu erreichen und zu halten“ – zumal manche BJO-Musiker zugleich ein recht diffuses Bild von Ballett hatten, samt einer Reihe von Vorurteilen. Umso begeisterter waren die Reaktionen: „Es war eine überaus bereichernde Erfahrung, zum ersten Mal mit einem ganzen Orchester – wortwörtlich – auf der Bühne zu stehen“, freut sich der 21-jährige Tänzer Luca-Andrea Tessarini. Seit September 2013 ist der Schweizer Mitglied des BJB. „Ein unbeschreibliches Gefühl war der Adrenalinschub, der mit dem Beginn des ersten Stückes kam und sich durch die gesamte Vorstellung zog. Das sind Momente, welche die harte Arbeit doppelt wiedergutmachen.“
John Neumeier pflichtet ihm bei. „Ich denke, dass die jungen Menschen durch das Zusammenarbeiten wie bei dieser Tournee lernen, was es wirklich bedeutet, ein Künstler zu sein. Denn das heißt, von innen heraus, durch ihre gelernte Technik und eigene Energie zu kommunizieren. Es bedeutet, keine Grenzen zu kennen und einen Drang zu verspüren, der sagt: ‚Du bist Künstler.’ Das ist ein Privileg, du darfst, willst und musst das weitergeben. Und ich finde, das bei diesen jungen Menschen zu sehen, ist so rein, so pur, total bewegend.“ Deswegen soll die Kooperation fortgesetzt werden, womöglich schon 2017. Es gibt bereits weitere Einladungen für diese Kombination. Auch soll im Herbst eine DVD erscheinen, die allerdings leider nicht im freien Handel erhältlich sein wird.
Marco Frei
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