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Kulturpolitik

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Zur Situation deutscher Theater und Orchester

Freihandel ohne Grenzen?
Ein Handelsabkommen als Kultur-Schlussverkauf

Eine blühende Landschaft
Ein Gespräch mit dem Heidelberger Intendanten Holger Schultze

Zeitgemäße Förder-Strukturen
Eine Initiative für den Tanz auf allen Ebenen

Portrait

Die Stimme als Instrument
Ein Porträt der Komponistin Adriana Hölszky

Rasanter Überflieger
Der Choreograf Alexei Ratmansky im Porträt

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Zum Tod des Dramaturgen und Intendanten Klaus Schultz

Heiser, behaucht und farblos?
Fünftes Symposium zur Kinderchorleitung in Berlin

Triadisches Ballett
Re-Inszenierung von Oskar Schlemmers Werk

Websitecheck
Oper Frankfurt +++ Theater Chemnitz

Berichte

Neuland zum Abschied
Peter Ruzickas letzte Münchner Biennale

Gipfeltreffen der Nachwuchskünstler
Bundesjugendballett und Bundesjugendorchester

Zum Politikererweichen
Tomasz Kajdanski und sein „Revisor“ in Dessau

Der Mensch und das Meer
„Peter Grimes“ in Gera

Menetekel der Gewalt
„Die Soldaten“ an der Bayerischen Staatsoper

Ring-Halbzeit in Nürnberg
Wagners „Rheingold“ und „Walküre“

Zukünftige Herausforderungen
Die vierte Biennale Tanzausbildung

Missachteter Großdramatiker
Giacomo Meyerbeer zum 150. Todestag

Wichtiger Diskussionsbeitrag
Das Tanzstück „CALLAS“ im Diskurs

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Berichte

Menetekel der Gewalt

„Die Soldaten“ an der Bayerischen Staatsoper · Von Wolf-Dieter Peter

Natürlich kann aller Bühnenrealismus nicht die Gräuel aus Nigeria, Syrien oder Afghanistan abbilden. Doch die Parallelen sind erschreckend deutlich: Gleich geblieben sind die anfangs schnittigen Soldaten, die deformiert übrigbleiben. Die arroganten Adeligen von einst haben sich in steuerflüchtig luxuriös lebende Waffenschieber und -händler innerhalb der Finanzaristokratie verwandelt; bürgerliche Mittelständler scheitern; zentral geblieben sind Frauen als Opfer. Das hat Jakob Michael Reinhold Lenz 1776 in „Die Soldaten“ für seine Zeit, das hat Bernd Alois Zimmermann 1965 womöglich für alle Zeiten gestaltet. Sein parabelhaft über sich hinausweisender Totaltheateranspruch sprengt eigentlich selbst Staatsoperngegebenheiten. So hat es 45 Jahre gedauert, bis dieses sogar „Wozzeck“, „Lulu“ oder „Die Gezeichneten“ überragende Werk endlich wieder im Nationaltheater zu erleben ist. Gesang bis zum Schrei, Schlagwerkexplosionen, Zwölfton- und Kirchenmusik, entstellte Märsche und Fanfaren, schräger Jazz, kaum erkennbare klassische Kompositionsformen, Klangschichtungen und rhythmische Verschiebungen, grelle Dissonanzen – belohnt mit einhelligem Jubel.

Michael Nagy als Stolzius, Barbara Hannigan als Marie, Ensemble und Statisterie. Foto: Wilfried Hösl

Michael Nagy als Stolzius, Barbara Hannigan als Marie, Ensemble und Statisterie. Foto: Wilfried Hösl

Die Handlung ist einfach: Die bürgerliche Marie will trotz Warnungen des Vaters mehr vom Leben als den möglichen biederen Verlobten. Sie glaubt den Versprechungen des adeligen Soldaten Desportes, wird zum Spielball seiner Lüste und dann weggeworfen. Ihr Verlobter Stolzius vergiftet den Verführer und sich selbst, Marie endet als Soldatenhure. Getreu Zimmermanns Zeitangabe „gestern, heute und morgen“ verschmelzen Andreas Schraads Kostüme 18. Jahrhundert und Jetztzeit, Robe, Rüschenunterkleider, Mieder und faschistoid schwarze Uniformen. Harald B. Thors Bühne lässt in einem vielfältig ausleuchtbaren Raumkubus sieben quadratische Käfige, die ein Kreuz formen, vor- und zurückfahren: Mit altgoldenen Rahmen erinnern sie an mittelalterliche Altarbilder, bilden mit Gitterdraht aber Folter-Käfige, Sex-Kammern, bürgerliche Moralenge oder Striptease-Boxen ab und ermöglichen so Zimmermanns gewünschte Gleichzeitigkeit von allem in Simultanszenen. Regisseur Andreas Kriegenburg hat die Kernhandlung noch zugespitzt: um eine Missbrauchshandlung zwischen Vater und Marie, um eine lesbisch-inzestuöse Nebenhandlung zwischen Marie und Schwester Charlotte, um homosexuelle Beziehungen zwischen den Soldaten, um den lesbischen Missbrauch Maries durch eine ihre Hilfe anbietende Gräfin, die am Ende ihren um Marie besorgten jungen Sohn erwürgt – alle sind deformiert, viele leiden und lassen deswegen andere erst recht leiden. Das hat Kriegenburg zusammen mit Choreografin Zenta Haerter in mal realistischer, mal verzerrter Körpersprache, mal als fast zu ästhetisch stilisierte Gewaltaktionen, dann wieder in rhythmisch präzisen Exerzier-Zitaten und Saufgelagen zu einem Pandämonium menschlicher Kaputtheit geformt. Eine Regie-Meisterleis-tung, die die über dreißig Solisten, fünf Tänzerinnen und Tänzer des Opernballetts sowie 21 Statisten mal differenziert solistisch und mal geballt chorisch formte.

Anders als bei einer „Traviata“- oder „Bohème“-Aufführung lässt sich die Interpretation Kirill Petrenkos hier nicht vergleichen: Es ist eine bewundernswerte Leistung zwischen Disponieren, Differenzieren, Zusammenhalten und dennoch Führen von Einzelstimmen, Bühnenmusik sowie Instrumentalisten in den Seitenlogen. Zu Recht wurden er und alle seine „Musikanten“ bejubelt. Ungerechterweise seien aus einem fabelhaft rollendeckenden Ensemble nur der gradlinige Militärpfarrer Eisenhardt von Christian Rieger, Kevin Conners quirliger Pirzel, die überhebliche Gräfin von Nicola Carbone und der liebevoll-problematische Vater von Christoph Stephinger hervorgehoben. Der bullige, tenoral scharfkantige Desportes von Daniel Brenna kontrastierte perfekt zum erst gewunden bemühten, dann mörderisch fixierten, markanten Bariton von Michael Nagy. Barbara Hannigan ist eine Idealbesetzung für Kriegenburgs Marie: ein glockenreiner Sopran für kecke Jungmädchenträume, erotisches Erwachen und sexuelle Verfallenheit körperlich exzessiv ausspielend bis hin zum Ende inmitten von Müllsäcken und Fastfood-Resten. Insgesamt: der Höhepunkt der Saison, Kunst als warnende Zeitanalyse.

Wolf-Dieter Peter

 

 

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