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Aktuelle Ausgabe

Editorial

Kulturpolitik

Brennpunkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester

Freihandel ohne Grenzen?
Ein Handelsabkommen als Kultur-Schlussverkauf

Eine blühende Landschaft
Ein Gespräch mit dem Heidelberger Intendanten Holger Schultze

Zeitgemäße Förder-Strukturen
Eine Initiative für den Tanz auf allen Ebenen

Portrait

Die Stimme als Instrument
Ein Porträt der Komponistin Adriana Hölszky

Rasanter Überflieger
Der Choreograf Alexei Ratmansky im Porträt

Feinsinnige Intelligenz
Zum Tod des Dramaturgen und Intendanten Klaus Schultz

Heiser, behaucht und farblos?
Fünftes Symposium zur Kinderchorleitung in Berlin

Triadisches Ballett
Re-Inszenierung von Oskar Schlemmers Werk

Websitecheck
Oper Frankfurt +++ Theater Chemnitz

Berichte

Neuland zum Abschied
Peter Ruzickas letzte Münchner Biennale

Gipfeltreffen der Nachwuchskünstler
Bundesjugendballett und Bundesjugendorchester

Zum Politikererweichen
Tomasz Kajdanski und sein „Revisor“ in Dessau

Der Mensch und das Meer
„Peter Grimes“ in Gera

Menetekel der Gewalt
„Die Soldaten“ an der Bayerischen Staatsoper

Ring-Halbzeit in Nürnberg
Wagners „Rheingold“ und „Walküre“

Zukünftige Herausforderungen
Die vierte Biennale Tanzausbildung

Missachteter Großdramatiker
Giacomo Meyerbeer zum 150. Todestag

Wichtiger Diskussionsbeitrag
Das Tanzstück „CALLAS“ im Diskurs

Auch nur von dieser Welt
Ein Roman auf Johann Sebastian Bachs Lebensspuren

DVD-Tipp:
Im Weißen Rößl

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Kulturpolitik

Freihandel ohne Grenzen?

Ein Handelsabkommen als Kultur-Schlussverkauf · Von Theo Geißler

Eigentlich eine feine Sache, so ein Freihandelsabkommen: Der Warenaustausch wird liberalisiert, die Zölle fallen. Und die Bundesrepublik hat ja schon um die 150 solcher bilateraler Vereinbarungen getroffen. Allerdings unter Ausschluss der Bereiche Kultur, Medien und Urheberrecht. Das könnte sich beim weitreichendsten Pakt dieser Art zwischen Europa und den USA, der geplanten Trans-atlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP – jetzt ändern:

GATS-Schutzmaßnahmen für die Kultur

Seit 1995 gibt es ein multilaterales Abkommen, das sogenannte GATS-Abkommen der World Trade Organization (WTO). In diesem Abkommen zum Bereich Dienstleistungen sind die Kulturdienstleistungen mit aufgenommen. Im GATS-Abkommen sind Schutzmaßnahmen implementiert, die erlauben, unsere öffentliche Kulturförderung weiterhin wahrzunehmen. Diese Schranken könnten jetzt fallen, mit solchen denkbaren Konsequenzen:

CNN, Fox und weitere private Ami-Sender verklagen vor einem privaten Schiedsgericht die Bundesrepublik Deutschland auf einige Milliarden Euro Schadensersatz, weil hierzulande Anstalten des öffentlichen Rechtes – zum Beispiel ARD und ZDF – konkurrenzverzerrend staatlich „subventioniert“ werden. Nach Inkrafttreten des transatlantischen Freihandelsabkommens gewinnen sie natürlich das Verfahren. Einspruch ist nicht möglich. Samt Musikantenstadl, Tatort und Klangkörpern verschwinden unsere elektronischen Informations-, Jux- und gelegentlich auch Kultur-Kanäle vom Markt. Ihre Produktionsstätten kaufen einschlägige Heuschrecken-Investoren für Äpfel und Eier: Es entstehen herrliche Dschungel-Camps, Erotik-Container und Fightclub-Arenen als neue Euro-Vision.

Und weiter: Google erstreitet auf nämlichem Weg die Schließung öffentlich geförderter Bibliotheken und Info-Portale im Web – Schluss mit MIZ & Co. Private US-Music-Entertainment-Companies kümmern sich um den Förder-Stopp für Opern-Ensembles, Orches-ter und Musikfestivals auf kommunaler, Landes- und Bundesebene. Sie gründen tarifvertragsfreie Ad-Hoc-Formationen, die je nach Auftrag die entleerten Kultur-Locations mit Pop, volkstümlicher Musik, Musical – und bei entsprechender Nachfrage auch mal mit Klassik – bespielen.

Bürokratisch aufwändige Verwertungsgesellschaften (GEMA, GVL etc.) sind überflüssig geworden, weil an die Stelle des europäischen autorenbezogenen Urheberrechtes das schlichte und deshalb ökonomisch sinnvolle anglo-amerikanische Voll-Buy-Out getreten ist. Die American Universal University of Arts, sponsored by Smith & Wesson and General Electrics, erwirkt die Schließung von 24 deutschen Musikhochschulen (deren Exis-tenz mangels künftiger Arbeitsplätze ohnedies überflüssig geworden ist). Flächendeckende musikpädagogische Vollversorgung wird durch Webinare (mit dem Gütesiegel der Juilliard-School) und private „Allmusic-Teaching-Center“ nach McDonalds-Franchise-Geschäftsmodell auf Basis nachfragebasierter Instrumenten-Auswahl garantiert. Dienstleistung als Trägermedium gesunden Kapitals findet Aufnahme ins Grundgesetz.

Undemokratisches Verhandlungs-Prozedere

Alles Schwarzmalerei und plumpe Science Fiction? Allein das Verhandlungs-Prozedere ist skandalös, wie Hans-Jürgen Blinn, Beauftragter des Bundesrates im Handelspolitischen Ausschuss des Europäischen Rates als Beobachter konstatiert: „Das derzeitige Verhandlungsszenario in Brüssel ist total undemokratisch. Selbst das Bundeswirtschaftsministerium, das eigentlich von der Kommission in Brüssel über den derzeitigen Verhandlungsstand unterrichtet werden soll, wird nicht so unterrichtet, wie man es in einem demokratischen Prozess verlangen kann, denn die Papiere, die die Amerikaner vorlegen, darf die Kommission nicht weitergeben. Das ist ein Skandal! Der Ansatz des TTIP-Abkommens ist, alles zu liberalisieren. Jetzt müssen wir alle Gesetze, die positive Förderung benennen, auflisten, damit sie noch weiterhin Bestand haben können. Also allein vom Verwaltungsaufwand, aber auch von der Ideologie, die dahinter steckt, ist das natürlich absurd. Bei Dienstleistungen geht es um Standards und Regelungen. Die Gesetze, die unsere Gesellschaft in einem parlamentarisch-demokratischen Verfahren aufgestellt hat, werden über ein Handelsabkommen außer Kraft gesetzt.

Die europäische Kommission geht im Moment davon aus, dass dieses Abkommen kein gemischtes Abkommen ist. Was heißt das? Bundesrat und Bundestag sind schon außen vor, die werden dem Abkommen schon gar nicht mehr zustimmen müssen. Die Kommission will, dass der Europäische Rat, also Angela Merkel und die anderen Staats- und Regierungschefs sowie das EU-Parlament allein darüber entscheiden. Das ist eine klassische Entmachtung des Parlamentarismus in Deutschland. Deswegen finde ich es ganz wichtig, dass unsere Parlamentarier ‚auf den Stuhl steigen‘ und ganz dezidiert ‚Nein‘ sagen. Denn sonst werden amerikanische Firmen, wenn sie in Deutschland agieren, nach amerikanischem Recht handeln. Das geht überhaupt nicht.“

Protest von Kulturstaatsministerin Monika Grütters

Dieser Ansicht ist auch die Staatsministerin für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt, Monika Grütters. Bei einer Informations-Veranstaltung in der Berliner Akademie der Künste forderte sie: „Es dürfen keine weiteren Verpflichtungen aufgenommen werden, als ohnehin in WTO/GATS bereits gelten. Keine neuen Verpflichtungen für Kultur und Medien heißt durchgängige, komplette Ausnahme vom Anwendungsbereich für Audiovision und Aufrechterhaltung aller bisherigen Vorbehalte für den Kulturbereich. Das war bisher üblich – und das ist auch hier so verabredet. Der Verweis auf die Unesco-Konvention für kulturelle Vielfalt ist ein guter Schutzschild. Zusätzlich fordere ich eine Generalklausel, die Maßnahmen zum Schutz der kulturellen Vielfalt und der Meinungsvielfalt in allen Bereichen – auch Telekommunikation oder Urheberrecht – und durchgängig bei allen Kapiteln – auch Investitionsschutz oder regulatorische Zusammenarbeit – ausdrücklich für rechtmäßig erklärt, selbst wenn dem andere Bestimmungen des Abkommens entgegenstehen. Für das US-Ziel der nationalen Sicherheit ist dies in fast allen bestehenden Freihandelsabkommen anerkannt.

Andernfalls sehe ich europäische Errungenschaften und Standards bedroht: Buchpreisbindung, öffentlich finanzierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Verbraucherschutz, Jugendschutz, Datenschutz, Schutz kultureller Vielfalt, Meinungsvielfalt und Urheberrecht. Es wäre ein regelrechtes Fiasko, wenn europäische Kulturförderungen künftig diskriminierungsfrei auch US-Einrichtungen zustünden – und womöglich einklagbar wären.“

Grütters Wort in Merkels Ohr könnte angesichts der ökonomistischen Grundhaltung unserer Kanzlerin schon am Trommelfell zerschellen. Bislang regt sich matter Widerstand gegen TTIP vor allem aus Öko- und Greenpeace-Kreisen. Da geht es um den Import chlorgebadeter, gammabestrahlter Hühnchen, um Gen-Food und angeblich unschädliche Chemikalien zur Instandhaltung von Kleidung und Hüft-Steaks. Was dieses hinter dichten Vorhängen verhandelte Abkommen für unsere Demokratie insgesamt bedeuten kann, kommt einem Staatsstreich nahe. Aber welcher Wohlstandsbürger kümmert sich heutzutage noch um Politik?

Theo Geißler

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