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Wichtiger Diskussionsbeitrag
Das Tanzstück „CALLAS“ im Diskurs
Gabriele Brandstetter, Reinhild Hoffmann, Patricia Stöckemann (Hg.): CALLAS. Ein Tanzstück von Reinhild Hoffmann 1983/2012, transcript verlag, März 2014, 172 Seiten, zahlreiche Abb., mit DVD, 28,99 €
Diese Publikation erhellt die Beweggründe für eine Rekonstruktion und die Sprengkraft der Rezeption in einem veränderten gesellschaftlichen Kontext. Die Essays, Interviews und Notate spiegeln mit sprachlicher Genauigkeit, warum CALLAS auch „2012 wie ein Blitz ins Bewusstsein fährt“. CALLAS, so präzisiert Dorion Weickmann, „ist eine Auseinandersetzung mit erfolgsgetrimmten Lebensentwürfen, mit dem Profit, der daraus erwächst, und dem Verlust, der niemals ausbleibt – und ein Diskurs, der das Begehren zwischen Lust und Last, Zärtlichkeit und gewalttätiger Tyrannei festnagelt“. Schauspieldramaturg Bernd Wilms erinnert sich der lebendigen szenischen Kraft und Prägnanz der kontrastvoll entwickelten acht Szenen von CALLAS, die „alle Geschichten mit dem Körper erzählen“. Gabriele Brandstetter untersucht „die Verflechtung von Oper und Tanztheater“: Wie sind die Arien, gesungen von Maria Callas, in Bewegung übersetzt? Welche Musikdramaturgie grundiert das Verhältnis von Gesangsstimme und den Körpern der Tänzerinnen und Tänzer? Wie werden die Auftritte der Diva choreografiert, und wie sind Pathos und Affekt-Ausdruck von Callas‘ Stimme in die Körpersprache des Tanztheaters übersetzt? Gabriele Brandstetters inhaltsreicher Essay fasziniert als grundlegende Untersuchung mit Verweis auf veränderte Lesarten und rezeptive Assoziationen der vokalen und tänzerischen Ausdrucksbewegung.
In Zeiten der indifferenten Beliebigkeit strahlt CALLAS bildgewaltig als präzis erarbeitetes Ensemblestück, das genaues Rollenspiel verlangt, als ein Tanztheater, in dem alle tänzerischen und nichttänzerischen Darstellungsmittel zum ausdrucksvollen Sprechen gebracht werden. Dieses inhaltliche Denken hat Reinhild Hoffmann bei Kurt Jooss an der Folkwangschule Essen als zentralen Arbeitsprozess begriffen. Die vorliegende Publikation ist für Lehrende, Lernende, vor allem junge Tänzerinnen und Tänzer, angehende Ausstatter und alle Tanzinteressierten ein wichtiges Diskussionsmaterial. Neben dem faszinierenden theatralen Erlebnis, dem Vergnügen und der Erschütterung, das sich in jeder Szene in der exzellenten DVD-Aufzeichnung der Rekonstruktion am Theater Bremen 2012 einstellt, seien die Gespräche mit der Choreografin Reinhild Hoffmann empfohlen, die dabei helfen, die Bruchstellen heutiger Leerläufe eines sprachlosen Tanzens zu begreifen.
Modernen Tanz und modernes Tanztheater als kulturelles Erbe begreifbar und im Heute wieder sichtbar, erlebbar und diskutierbar zu machen gelingt dieser Publikation mit ihren wissenschaftlichen Beiträgen und durch die filmische Dokumentation der Aufführung CALLAS 2012 eindrucksvoll, nachhaltig und vielstimmig.
Karin Schmidt-Feister
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