Neuland zum Abschied
Peter Ruzickas letzte Münchner Biennale · Von Marco Frei
Schon die letzten Male hatte man den Eindruck, dass sich Peter Ruzicka geöffnet hat. Den Höhepunkt dieser Entwicklung markierte nun seine letzte Biennale für neues Musiktheater in München. Seit 1996 verantwortet er das zeitgenössische Opernfestival als künstlerischer Leiter. Die diesjährige Biennale hatte kaum etwas mit dem zu tun, wofür Ruzicka eigentlich steht. Bislang kultivierte er vor allem das abstrakte, nicht-narrative Musiktheater, was teils vehement moniert wurde. Deswegen wirkten die ersten Uraufführungen in diesem Jahr, „Vivier“ von Marko Nikodijevic mit dem Staatstheater Braunschweig und „Vastation“ von Samy Moussa, wie eine scharfe Retourkutsche des Wahl-Hamburgers.
Marie Seiser, Wolfram Rupperti und Yui Kawaguchi in „Die Befristeten“. Foto: Adrienne Meister
Beide Werke folgen der klassischen Operntradition, mehr oder weniger direkt. Die klar gestrickte Handlung wird linear erzählt. Das muss keineswegs besser sein als die „verkopfte Abstraktion“, die man Ruzicka sonst so häufig vorgeworfen hat. Moussas Retro-Oper zeigt, wie traurig es sein kann, wenn ein junger Komponist einzig auf den Spuren von Puccini und Gian Carlo Menotti wandelt, mit einem Schuss John Adams, ohne eine schöne Melodie zu erfinden. Dabei ist die Handlung durchaus brisant. Um sich vom Volk wiederwählen zu lassen, konstruiert eine Präsidentin eine Krise. Es folgt ein militärisches Säbelrasseln gegen Nachbarländer, wie im gegenwärtigen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine.
Die Wunderwaffe der Präsidentin heißt „Vastation“ und ist eine Klangwolke, die den Gegner verrückt macht. Bald schon wird sie gegen das eigene Volk eingesetzt. Macht und Wahnsinn geben sich die Hand, in bester Shakespeare- und Puschkin-Tradition. Sonst aber profitiert Moussas Oper vor allem von der Interpretation durch Kräfte des kooperierenden Theaters Regensburg und der Inszenierung von Christine Mielitz, die mit starken Bildern eine abgründige Studie menschlicher Perversion vorlegt. Dagegen berührten zwar die „Utopien“ des 84-jährigen Dieter Schnebel mit altersweiser Gelassenheit und Schlichtheit, allerdings erreichte die Befragung von Bühne, Sprache und Musik nicht die Radikalität seiner früheren Werke
Eine Enttäuschung: Detlev Glanerts „Die Befristeten“ nach Elias Canetti, eine Koproduktion mit dem benachbarten Residenztheater. Canettis Stück von 1958 handelt von einer Gesellschaft, in der die Menschen genau wissen, wann sie sterben. Für Glanert ist sein neues Musiktheater ohne Gesang ein Melodram. Tatsächlich ist es ein Schauspiel mit simpler Bühnenmusik. Da war Bernd Alois Zimmermann sehr viel weiter, als er 1966 für eine Hörspielfassung von Canettis Stück die Musik beisteuerte. Immerhin war Glanerts Schauspiel mit Bühnenmusik ein möglicher Ausblick auf die Münchener Biennale, die ab 2016 Manos Tsangaris und Daniel Ott leiten. Jedenfalls hat das Duo schon 2012 verraten, dass es die Biennale für andere Künste öffnen möchten – vor allem für Performances und Theater. Die Uraufführung Glanerts hat gezeigt, dass bei solchen Konzepten die Musik oft zu kurz kommt.
Die musikalisch wohl stärkste Uraufführung der diesjährigen fünf Hauptproduktionen im Rahmen von Ruzickas letzter Biennale war indes Hèctor Parras Kammer-oper „Das geopferte Leben“. Schon die grundsätzliche Idee ist spannend, weil sich zwei Ins-
trumentalgruppen begegnen – ein Barockorchester und ein Ensemble für Neue Musik. In seiner neuen Oper verwebt der 1976 geborene Katalane einerseits Kenntnisse des Originalklangs mit geräuschhaften Spielweisen. Andererseits werden die modernen Instrumente mit historischen klanglich erweitert. Neu ist diese Idee nicht, aber Parra macht hörbar, wie kunstvoll beides zu einer Einheit verschmelzen kann. Das wurde vom Ensemble Recherche und dem Freiburger Barockorchester unter Peter Tilling virtuos ausgestaltet. Umso ärgerlicher die Regie von Vera Nemirova, die die zwei Klangebenen szenisch nicht aufgreift. Stattdessen bemüht Nemirova einen abgegriffenen Humor; das blumige Libretto von Marie NDiaye ist allerdings auch unfreiwillig komisch. Der Orpheus-Mythos wird auf eine Mutter (Sigrun Schell) übertragen, die sich für ihren Sohn (Alejandro Lárraga) opfert, als ihn der Tod (Lini Gong) heimsuchen will. Die Konflikte changieren zwischen Mutter und Sohn sowie zwischen dessen Partnerin (Sally Wilson) und deren Schwiegermutter. Über weite Strecken wähnt man sich auf der Couch von Sigmund Freud, samt Ödipuskomplex. Diese Psycho-Sitzung garniert Nemirova mit einer Beischlaf-Szene, die besser zu Dmitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ gepasst hätte. Die Musik Parras wurde dadurch nicht getrübt, zumal die Solisten des kooperierenden Theaters Freiburg Großes leisteten. Einen schöneren Abschied aus München hätte sich Ruzicka nicht wünschen können.
Marco Frei
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