Zeitgemäße Förder-Strukturen
Eine Initiative für den Tanz auf allen Ebenen · Von Karin Schmidt-Feister
Ein „Runder Tisch Tanzförderung“ in der Berliner Akademie der Künste und ein Symposium Tanz und Politik im Künstlerhaus Bethanien in Berlin beschäftigten sich Anfang Mai mit Fragen zeitgemäßer Förderstrukturen für den Tanz. Bereits seit Frühjahr 2013 wird in der Tanzszene intensiv über die Notwendigkeit einer effektiv strukturierten, nachhaltigen Tanzförderung diskutiert. In diesem Zusammenhang hatte der Dachverband Tanz Deutschland (DTD) ein Treffen der Initiativgruppe Tanzförderung mit Vertretern der Städte (in München, April 2013) sowie der Länder (in Dresden, Mai 2013) initiiert. Das Thema Tanzförderung stand im Herbst auch auf der Tagesordnung des Kulturausschusses der Kultusministerkonferenz und wurde im Mai 2014 im Kulturausschuss des Deutschen Städtetages diskutiert.
Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD heißt es: „Auch die Förderung des Bundes für die innovative und international ausstrahlende Kunstform Tanz soll im Dialog mit den Ländern fortgesetzt und im Rahmen eines zeitgemäßen, nachhaltig wirkenden Förderprogramms weiter entwickelt werden“. Erstmalig wird in der Bundesrepublik über ein langfristiges Tanz-Förderprogramm diskutiert. Noch ist offen, wie das Programm finanziell ausgestattet werden kann und wie Länder, Kommunen und Bund zusammenwirken.
Der Runde Tisch
Der „Runde Tisch Tanzförderung“ am 6. Mai 2014 in der Akademie der Künste markierte als historisch erstes Treffen von Vertretern der Kommunen, Länderministerien und Mitgliedern des Deutschen Bundestages mit Tanzschaffenden einen neuen Schritt des Miteinanders. Vorgestellt wurde ein Arbeitspapier für ein Tanzförderprogramm „Stadt – Land – Bund“, das vom DTD erarbeitet worden war: Auftakt für eine breite Diskussion, die im intensiven Austausch ein bundesweites Modell der Tanzförderung entwickeln soll.
Wie gelingt die längst überfällige kulturpolitische Anerkennung des Tanzes als eigenständige Kunstform? Wie sind die Zuständigkeiten, und was können diese Strukturen leis-ten, um den hohen Stellenwert von Tanz in der Gesellschaft besser sichtbar zu machen? Wie könnte eine Bundesförderung stärkend auch in eine regionale Struktur fließen, ohne dass diese ihre Mittel kürzt? Das temporäre nationale Fördermodell „Tanzplan Deutschland“ (2006-2010), unterstützt von der Bundeskulturstiftung mit 12,5 Millionen Euro und zu gleichen Teilen über fünf Jahre von den Ländern finanziert, war ein Erfolg in Bezug auf Ausbildung und Tanz-Vermittlung. Daran gilt es anzuknüpfen und die Vielfalt des Tanzes in festen und freien Strukturen langfristig zu sichern und seine Potenziale angemessen zu entfalten.
Laut Kerstin Evert (k3 – Zentrum für Choreografie Hamburg, Mitglied der Initiativgruppe Tanz/Förderung Stadt – Land – Bund) bestehen große Defizite (fehlende künstlerische Kontinuität, fehlende Sichtbarkeit, fehlender Austausch), die Lösungen auf vier Handlungsfeldern erfordern.
- Exzellenzförderung: Ensembles, Produktionszentren und regionale Entwicklungskonzepte, die Arbeitskontinuität ermöglichen und die Künstler- und Ensembleentwicklung stärken;
- Nationaler und internationaler Austausch: regionale und überregionale Verbünde/Vernetzung stärken;
- Zugang zum Tanz-Erbe: Tanz-Erbe sichern, Vernetzung der fünf Tanzarchive, Digitalisierung des Wissens. Der Bund fördert in großem Umfang den Erhalt des nationalen Kulturerbes, der Tanz muss in diesen Förderkanon mit aufgenommen werden;
- Kompetenz- und Informationszentren für den Tanz als bundesweit agierende Schnittstellen zwischen Politik, Kulturverwaltung und Kunstszene.
Alle vier Handlungsfelder bedürfen des Engagements des Bundes, zusätzlich zu der bestehenden Förderung wie auch im Match-Funding mit Städten und Ländern. Alle neu zu schaffenden Förderinitiativen beziehen Ensembles und Tanzschaffende aus institutionalisierten wie freien Strukturen gleichermaßen mit ein.
Kommunen und Länder fördern den Tanz mit zirka 110 Millionen jährlich. Dies sind nur rund fünf Prozent der Förderung für die Darstellenden Künste. Angesichts gedeckelter Haushalte wird eine Neuausrichtung öffentlicher Tanz-Förderung immer dringlicher. Ziel ist es, die substanzielle Bundesförderung auf eine mittelfristige Bundesbeteiligung von 20 Millionen Euro jährlich zu erhöhen. Kommunikation zwischen allen beteiligten Partnern ist der Schlüssel, diesem Ziel näherzukommen. Die hochkarätig kompetent besetzten Gesprächsrunden in Berlin stimmen hoffnungsvoll.
Das Symposium
Großes Publikumsinteresse beim Symposium Tanz und Politik.
Foto: Anna Rozkosny
Welche Bedingungen braucht der Tanz? Diese zentrale Frage wurde intensiv auch von 160 Tanzschaffenden aus festen Ensembles, freien Strukturen, Vertretern von Verbänden und Kulturpolitikern auf dem Symposium „Tanz und Politik“ am 7. Mai im Berliner Kunstquartier Bethanien in Impulsvorträgen und Arbeitsgruppen intensiv diskutiert. In der Arbeitsgruppe II gab es einen Erfahrungsaustausch über die Produktions-und Arbeitsbedingungen in freien und festen Strukturen: Was bedeutet Autonomie? Wo stoßen Künstlerinnen und Künstler an die Grenzen der Systeme, in denen sie arbeiten? Wie ist künstlerische Qualität durch Kontinuität zu stärken? Die Diskussion kreiste auch um die Notwendigkeit, die historisch zementierten Hierarchien von Oper, Schauspiel und Tanz aufzubrechen, das Gespräch der Tanzschaffenden mit Intendanten zu suchen (von Intendantenwechsel zu Intendantenwechsel steht alles zur Disposition), die positiven Beispiele für die Zusammenarbeit von freien Tanzkünstlern und Stadttheatern zu kommunizieren und zugleich – mit Mitgliedern der Gruppe Renegade, Bochum, und anderen – zu fragen: Was passiert nach Jahren erfolgreicher Aufbauarbeit, an welche Spitzenförderung können wir andocken, wenn wir keine jungen Künstler mehr sind?
Das Nationale Performance-Netzwerk (NPN) ist ein funktionierendes Förderinstrument. Hier sollte der Bund aufstocken. Doch „Länderhoheit verhindert Austausch und Vernetzung. Geldmangel cancelt Offenheit, Zusammenarbeit funktioniert nur mit übergeordneter Förderung“, so Helge Letonja (steptext dance project Bremen). „Kooperation besteht immer nur, wenn an Stadttheatern Tänzerstellen abgebaut, Ensembles dezimiert werden“, beklagt Karin Kirchhoff (Tanz! Heilbronn). „Wenn Öffnung zur Freien Szene aber als Sparmodell betrachtet wird, dann müssen wir das entschieden zurückweisen und die festen Ensembles verteidigen. Die Tanzszene muss sich lobbyistisch vor Ort stärker artikulieren“, appelliert Rolf Bolwin (Deutscher Bühnenverein). Auf dem Symposium fehlten jedoch ausgerechnet die Akteure solcher Häuser, an denen Absprachen gefährdet sind.
Christiane Theobald (stellvertretende Intendantin und Betriebsdirektorin des Staatsballett Berlin) weiß, was volle Autonomie bedeutet. „Eigenständigkeit heißt richtig viel Verantwortung. Wichtig ist eine künstlerische und wirtschaftliche Eigenständigkeit mit eigener Öffentlichkeitsarbeit, Marketing und Pressearbeit. Die Belange des Tanzes, die Produktionen werden so nach außen getragen. In Berlin haben wir eine Win-win-Situation, denn viele Freie tanzen in Opernproduktionen.“ Das Staatsballett Berlin mit seinen 88 Tänzerinnen und Tänzern, insgesamt 120 Mitarbeitern und einer mehrjährigen Vorausplanung für drei Spielstätten wurde als Sparmodell aus der schmerzhaften Fusion von drei großen Ensembles vor zehn Jahren gegründet. Gregor Zöllig, Leiter des Tanztheaters Bielefeld, schwört auf das Potenzial der Zusammenarbeit an einem Dreispartenthe-ater, gerade auch in der Zusammenarbeit mit dem Orchester. Kevin O´Day, Ballett-Intendant und Chefchoreograf am Nationaltheater Mannheim, sieht dabei viele Begrenzungen, er engagierte aus Dispositionsgründen Musiker der Musikhochschule.
Es gibt eine breite Zustimmung zu einer pluralistischen Förderung bei gleichzeitiger Vereinheitlichung der Antragsstellung und Abrechnung nach strengen Richtlinien. Freie Choreografen wie Anna Konjetzky, München, wünschen sich längere Zeiträume zum Denken, möchten die Arbeit sich entwickeln lassen, brauchen Geld um zu leben. Auch für Produktionsstätten wie das „Hebbel am Ufer“ Berlin (HAU) ist das Antragswesen schwierig. „Planung drei Jahre im Voraus is a nightmare. Wir müssen kurzfristig reagieren können“, erklärt Annemie Vanackere, Künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin des HAU. Jörg Löwer, Präsident der Bühnengenossenschaft, fokussiert auf die Haustarif-Probleme im Osten: „Wenn das Ballett nicht in den Opernbetrieb eingebunden ist, ist es leichter abzuwickeln.“ Er setzt sich für einen früheren Zugang zur Arbeitslosenversicherung ein. Die fehlende Angleichung der Gehälter birgt nicht nur für Johannes Wieland (Tanzdirektor Staatstheater Kassel) große Probleme. Auch Thomas Hörath (Manager Leipziger Ballett) plädiert für die Abschaffung einer hierarchischen hin zu einer Solo-Struktur.
Rolf Bolwin resümiert von Arbeitgeberseite :„Mitverantwortlich für die freie Szene, kann man nicht tatenlos zusehen, was an kommunalen Kürzungen in diesem Bereich passiert. Die Bedingungen in vielen Stadt- und Staatstheatern sind mittlerweile so angespannt, alle drehen hart am Rad, um ihr eigenes Theater künstlerisch in Schwung zu halten.“ Die einzigartige Dichte von 133 Stadt- und Staatstheatern würdigt Tobias Ehinger (Manager Ballett Dortmund). „Tanz hat sich emanzipiert. Tanz hat sich aber hier auf struktureller Ebene nicht entwickelt. Der Choreograf agiert im Hamsterrad – als Ballettdirektor, Assistent, Manager, Sekretär. Diese Selbstausbeutung mündet in oft fehlende Kommunikation. Die strukturelle Gleichbehandlung der Kunstsparten steht auf der Tagesordnung. Wir müssen lernen uns zu artikulieren, untereinander, zur Politik, in der Stadt.“
Die Gespräche zeigten: Vieles ist in Bewegung geraten. Die Notwendigkeit einer nationalen Tanzförderung steht auf der Agenda der Tanzschaffenden, der Mitakteure in Kommunen und Ministerien, sie ist quer durch alle Fraktionen im Bundestag konsensfähig. Das Symposium „Tanz und Politik“ war ein wichtiger Schritt der Lobbyarbeit, um im beharrlichen und beherzten Miteinander für den Tanz durch ein nationales Förderprogramm Stadt – Land – Bund voranzukommen.
Karin Schmidt-Feister
Meinungs-Splitter
„Abstimmung in der gemeinsamen Förderung Land – Bund ist notwendig. Vor dem Hintergrund knapper Haushalte ist wenig Spielraum für neue Programme. Fehlende Konzeptförderung bedeutet fehlende Kontinuität, Qualität. Neben der freien Szene müssen die Stadttheater (besonders gefährdet in Flächenländern) gesichert und gefördert werden, deshalb: Landesförderung mit Bundesmitteln aufstocken.“ (Hans Heinrich Bethge, Hamburg)
„Tanzförderung der Kommunen ist der Humus in einem föderalen Land. Wichtig wäre eine projektunabhängige Künstlerförderung durch den Bund sowie eine ineinandergreifende Förderung für nationalen und Länder-Austausch für mehr Touring.“ (Achim Könneke, Kulturamt Freiburg)
„Mehr Raum zum Arbeiten, mehr Raum zum Denken, Vernetzung auf Augenhöhe im Verbund mit anderen Städten.“ (Daniela Rippl, Kulturamt München)
„Gerade wenn man nicht mehr zum Nachwuchs gehört, kann ich eine mehrjährige projektunabhängige Bundesförderung nur begrüßen, ebenso mehr nationales Touring für die Sichtbarmachung des Tanzes und die Angleichung des Finanzmanagements.“ (Stephanie Thiersch, Choreografin NRW)
„Das Stadttheater schafft sehr gute Bedingungen für unsere Basisarbeit. Planungssicherheit von vier Jahren ist wichtig. Unsere umfangreiche Vermittlungsarbeit wäre ohne Landeszuschüsse undenkbar, unsere Koproduktion Bielefeld-Osnabrück mit 30 Tänzern in 21 Vorstellungen wurde durch Bundes- und Landesmittel möglich.“ (Gregor Zöllig, Leiter Tanztheater Bielefeld)
„Wir versuchen in der Koalition das Möglichste zu tun, um das Konzept der Vernetzung zu verbessern.“ (Heinrich Zertik, MdB, CDU/CSU)
„Ich darf Sie zu dem Konzept beglückwünschen. Wir werden einen Prozess der Kontinuität auf den Weg bringen.“ (Hiltrud Lotze, MdB SPD)
„Wir unterstützen eine mehrjährige Planungssicherheit, die Gemeinschaftsaufgabe Stadt – Land – Bund ist ein Gebot.“ (Sigrid Hupach, MdB Die Linke)
„Kann sich Deutschland erlauben, dass der Tanz so schlecht gefördert wird wie bisher? Das ist die Grundfrage für die parlamentarische Debatte.“ (Oliver Scheytt, Präsident Kulturpolitische Gesellschaft)
„Was ist Sache des Bundes? Vor 20 Jahren war Tanzförderung kein Thema, der Bund förderte damals nicht in die Künste hinein. Es gibt ein Film-Fördergesetz. Wir haben kein Tanz-Fördergesetz. Die Diskussion hat sich jetzt versachlicht. Wir haben im Tanzbereich die Chance relativ neu anzufangen und bestehende Strukturen vom Volumen her zu stärken.“ (Martin Eifler, Referat Musik, Darstellende Künste, Sonderbereiche, Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien)
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