Triadisches Ballett
Re-Inszenierung von Oskar Schlemmers Werk · Von Malve Gradinger
Die 1910er-/1920er-Jahre waren für die Künste, speziell auch für den Tanz, eine große Aufbruchszeit, auch eine Zeit der gegenseitigen Befruchtung. Während Rudolf von Laban und Mary Wigman den Ausdruckstanz entwickelten, interessierte sich der Maler und Bildhauer Oskar Schlemmer für die bewegte Menschenfigur im Raum und gleichzeitig für technische Materialien. So entstanden – neben Kulissen- und Gesten-Tanz – die Metall-, Glas- und Reifentänze. Mit Albert Burger und Elsa Hötzel, einem Tänzerpaar aus seiner Heimatstadt Stuttgart, arbeitete Schlemmer über mehrere Jahre hinweg an choreografischen Entwürfen und raumplastischen Kostümen, in denen der Träger zu einer Gliederpuppe, zur tanzenden Skulptur wird. 1922 endlich kam „Das Triadische Ballett“ in Stuttgart zur Uraufführung, getanzt von dem Ehepaar Burger und von Schlemmer selbst.
Marta Navarrete Villalba im „Triadischen Ballett“. Foto: Charles Tandy
Jetzt bringt das Bayerische Staatsballett dieses von Gerhard Bohner 1977 re-inszenierte Schlemmer-Werk wieder auf die Bühne, in den rekonstruierten Originalkostümen und zu der Musik von Bohners Auftragskomponisten Hans Joachim Hespos. Ballettchef Ivan Liska und Ehefrau Colleen Scott, die Bohners Neufassung tanzten, besorgen die aktuelle Einstudierung mit der Junior Company des Staatsballetts. Malve Gradinger sprach für „Oper & Tanz“ mit Liska und Scott.
Oper und Tanz: Gerhard Bohner hatte ja schon 1974, während seiner Leitung des Tanztheaters Darmstadt, die Schlemmer-Arbeiten „Reifentanz“ und „Stäbetanz“ rekonstruiert. 1977 beauftragte ihn die Berliner Akademie der Künste, die auch jetzt Produktionspartner ist, mit der Re-Inszenierung des „Triadischen Balletts“. Wie kam es dazu, dass Bohner gerade Sie beide besetzte?
Ivan Liska: Wir hatten 1972, während unseres Engagements an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg, Bohners „Die Folterungen der Beatrice Cenci“ getanzt. Es entwickelte sich eine Freundschaft. Als er wegen des „Triadischen“ anfragte – wir waren damals noch an der Bayerischen Staatsoper engagiert –, haben wir sofort zugesagt. Das Projekt fiel in die Zeit unseres Wechsels von München nach Hamburg zu John Neumeier. Am 22. Juli 1977 haben wir noch schnell hier geheiratet. Am nächsten Tag probten wir schon wieder mit Gerhard Bohner. Die Münchner Solistin Gislinde Skroblin und der Amerikaner Terence Kalba, ein ehemaliger Münchner Kollege, waren auf unseren Vorschlag hin auch besetzt. Bis 1989 haben wir das Ballett 86-mal in der ganzen Welt getanzt, wann immer wir in Hamburg abkömmlich waren.
O&T: Bohner hatte als Vorlage ja nur die von Schlemmer skizzierten Raumwege...
Colleen Scott: Ja, praktisch nur Linien, Diagonalen und Spiralen, die Bohner choreografisch neu beleben sollte.
Liska: Die Berliner Akademie wollte damals mit bildender und darstellender Kunst Tendenzen der 20er-Jahre in Erinnerung rufen. Aber im Bereich Tanz durfte es heutiger sein. Wir konnten Gerhard auch Vorschläge machen, die er aber meistens verwarf. Es sollte auf keinen Fall zu ballettartig werden.
Scott: Die voluminösen Kostüme aus Kugeln, aus Draht, ein Tutu aus Holz, diese kubistischen Gebilde schränken die Bewegung ja ohnehin sehr ein. Andererseits zwingen sie, andere Lösungen zu suchen. Man macht zum Beispiel keine „Pirouette“, sondern deutet sie nur an mit dem bei einer „Pirouette“ ja immer angewinkelten Spielbein. Und wie sehr die Reduktion das Bewusstsein für eine Bewegung schult, habe ich gerade jetzt beim Einstudieren mit den Juniors wieder gemerkt. Man muss genau wissen, wann und wohin jeweils Blick, Schritt oder Geste gerichtet ist. Und die enorm schweren Kostüme erfordern ja auch noch sehr viel Kraft und Bewegungsattacke – sonst erzielt man keine Wirkung.
O&T: Die scharf gerichtete Bewegung ist ja Schlemmers Mittel zur Raumgliederung.
Liska: Und durch ihre extreme Sparsamkeit lernt man auch wieder den vollen Wert des Einfachen zu schätzen. Aber Schlemmers Werk ist ja nicht nur reine Tanz-Geometrie, es hat auch etwas von der Commedia dell‘ arte, auf jeden Fall so einen lieben Humor. Um die kleinen Geschichten zwischen diesen futuristischen Figuren den jungen Tänzern deutlich zu machen, benutze ich beim Einstudieren Comicstrip-Vokabular.
O&T: Aus Schlemmers schriftlich festgehaltenen Theorien entnimmt man, dass auch das mechanische Zeitalter in seinen Arbeiten eine Rolle spielt. Man kann seine puppenhaften Figuren als Roboter sehen, als Vorführer einer „Bewegungsmathematik“ und „Gelenkmechanik“.
Liska: Schlemmer wollte vor allem einen Gegenentwurf zum opulent ausgestatteten Ballett der zaris-tisch-klassischen Ära: ein neues bildnerisch-musikalisches Gesamtkunstwerk, das auf der schlichten Trias von Dreieck, Viereck und Kreis aufbaute und in Rosa, Gelb und Schwarz gehalten war.
O&T: Sie wollten das „Triadische“ ja schon 1998, gleich nach Ihrem Amtsantritt als Staatsballettchef, herausbringen...
Liska: Die bekannte US-Postmodern-Choreografin Lucinda Childs und Philip Glass waren für die neue Version vorgesehen. Es war auch schon alles mit den Erben, Tochter Ute-Jaina Schlemmer und ihrem Sohn Raman, besprochen. Kurz vor Vertragsunterzeichnung teilte Raman Schlemmer mit, dass er über die finale Version bestimmen wolle. Das entsprach nicht unserer Vorstellung. Als letztes Jahr, also 70 Jahre nach Schlemmers Tod, die Rechte frei wurden, haben wir unseren Plan wieder aufgenommen.
Malve Gradinger
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