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Zum Tod von Hans Werner Henze
Kein anderer Künstler verkörperte in so umfassender Weise die Kultur der alten Bundesrepublik wie Hans Werner Henze. Geboren am 1. Juli 1926 in Gütersloh als Sohn eines nazitreuen Lehrers, war Henze mit achtzehn Jahren noch zum Kriegsdienst eingezogen worden. Beim Exerzieren und Ausheben von Schützengräben, so bekannte er später, wurde ihm klar, dass er Künstler werden musste. Die Kindheits- und Jugenderfahrungen während des Hitlerregimes waren für ihn lebenslanges Trauma und künstlerischer Stachel zugleich.
Italien, das klassische Sehnsuchtsziel aller Deutschen, wurde für den jungen Henze zum idealen Fluchtpunkt. 1953 ließ er sich zunächst in Ischia nieder, später in Neapel und Rom. Schon in Deutschland hatte er 1952 seinen ersten Opernerfolg mit „Boulevard Solitude“, doch erst jetzt setzt seine Karriere ein. Als Komponist blieb Henze in Deutschland präsent, besonders in den Opernhäusern. „König Hirsch“ wurde 1956 in Berlin uraufgeführt, „Der Prinz von Homburg“ 1960 in Hamburg, die „Elegie für junge Liebende“ 1961 in Schwetzingen.
In den 60er-Jahren taucht der Ausreißer plötzlich in anderer Rolle auf. Der glamouröse Opernkomponist, inzwischen der KPI beigetreten, tritt als Redner bei einer SPD-Versammlung auf, lässt sich begeistern von den Losungen radikaler Studenten, demonstriert 1968 in Berlin gegen den Vietnamkrieg und komponiert Werke revolutionären Inhalts. Es folgt eine lange Phase des politisch engagierten Komponierens, die erst um 1980 endet und nicht nur Agitpropstücke in der Nachfolge von Hanns Eisler, sondern auch so komplexe Werke wie die 1976 in London uraufgeführte Oper „We come to the River“ hervorgebracht hat.
Höhepunkt seiner kulturpolitischen Aktivitäten war die 1988 gegründete Münchener Biennale, mit der er dem zeitgenössischen Musiktheater ein Jahrzehnt lang wesentliche Impulse vermittelte. Die letzten Jahre verbrachte Henze zwischen Deutschland, wo er inzwischen als eine über jede Kritik erhabene Autorität verehrt wurde, und seinem Landsitz bei Rom. Das Komponieren ging indes weiter, vor allem das Musiktheater blieb in seinem Fokus.
Musik für ein besseres Leben, als es in der kontaminierten Gegenwart möglich war: Das war das geheime Motto seines ganzen Schaffens. Jetzt ist Henze 86-jährig in Dresden gestorben. [Max Nyffeler]
Neuer Chefchoreograf in Chemnitz
Reiner Feistel, derzeit Ballettdirektor der Landesbühnen Sachsen, wird Chefchoreograf in Chemnitz. Feistel soll ab der kommenden Spielzeit nach Chemnitz wechseln, gleichzeitig mit dem künftigen Generalintendanten der Theater Chemnitz, Christoph Dittrich. Der 1958 in Altenburg geborene Feis-tel war seit 1984 Solist an der Staatsoper Dresden. 1996 gab er sein Debüt als Choreograf an der Semperoper.
Auszeichnung für den Nordhäuser Opernchor
Der Opernchor des Theaters Nordhausen ist mit dem diesjährigen Nordhäuser Theaterpreis ausgezeichnet worden. Der Chor sei die „wichtigste Säule fast jeder Musiktheaterproduktion“, erklärte Landrätin Birgit Keller bei der Preisverleihung. In den vergangenen Spielzeiten habe sich der Opernchor – besonders unter Chordirektorin Elena Pierini und ihrem Vorgänger Daniel Mayr – durch eine stetig steigende musikalische Qualität ausgezeichnet. „Dies ist auch dem Willen der 18 Mitglieder des Chores zu danken, Tag für Tag an der Verbesserung des homogenen Chorklangs, an Präzision, an Intonation und Aussprache zu arbeiten“, betonte die Landrätin. Gelobt werde immer auch die besondere Spielfreude der Chorsängerinnen und -sänger, ihre chorische wie individuelle Bühnenpräsenz und die außergewöhnlich angenehme und konstruktive szenische Probenarbeit. Besonders gewürdigt wurde der Einsatz des Chores in Brittens „Peter Grimes“: „Eine außergewöhnliche und besonders auszeichnungswürdige Leistung für den vergleichsweise kleinen Opernchor“, so die Landrätin.
Neue Auszeichnungen der „Opernwelt“
Auch in diesem Jahr hat das Magazin „Opernwelt“ seine Kritikerumfrage gestartet. Das Ergebnis: Die Mehrzahl der Kritiker wählten den Stuttgarter Opernchor zum „Chor des Jahres“. Damit darf sich das Ensemble nun schon zum neunten Mal über diese Auszeichnung freuen. Die Kritiker würdigten die Chorleis-tung in zahlreichen Produktionen der letzten Spielzeit, insbesondere aber die stimmliche wie darstellerische Leistung des Chores in Vincenzo Bellinis „Die Nachtwandlerin“. Diese Produktion wurde auch in weiteren Kategorien ausgezeichnet, unter anderem als „Aufführung des Jahres“. Eine besondere Auszeichnung erhielt darüber hinaus die Oper Köln, die sich über den Titel „Haus des Jahres“ freuen darf. Nicht zuletzt ist dies sicher als Würdigung der Leistungen von Ex-Intendant Uwe Eric Laufenberg zu deuten – und als Anerkennung für den Erhalt eines hohen künstlerischen Niveaus trotz permanenter Spardiskussionen und Querelen innerhalb der Stadt Köln.
Orchester-Fusion (Kommentar)
„Ein selbstsicherer Intendant, ein leidenschaftsloses Aufsichtsgremium, ein wütender Chefdirigent, weinende Orchestermitglieder: Das waren die Hauptakteure einer SWR-Rundfunkratssitzung, die als schwarzer Tag in die Historie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Kulturlandschaft Deutschlands eingehen wird.“ So schrieb Juan Martin Koch für die „neue musikzeitung“ unmittelbar nachdem das vorerst letzte Kapitel in den Beratungen über die Fusion zweier SWR-Klangkörper beendet war. Seit Monaten brennt die Diskussion um die Zusammenlegung der beiden Sinfonieorchester in Baden-Baden/Freiburg und in Stuttgart, die Intendant Peter Boudgoust gegen die Stimmen von mehr als 30.000 „Orchesterrettern“ durchsetzen will. Sein Argument ist ein rein monetäres – und nicht mal das ist gesichert. Eine vage, bisher nicht belegte Schätzung künftiger Einsparzwänge hat den Intendanten dazu veranlasst, eine Fusion zu initiieren, die nicht etwa – wie er es stolz verkündet – zu einem „Superorchester“ führen wird. Vielmehr wird die jeweils einzigartige Klangkonformität beider Orchester ebenso verloren gehen wie auch die herausragende Qualität beider Klangkörper.
Hatte der Rundfunkrat bereits im Juni seine Zustimmung signalisiert, allerdings den Intendanten damit beauftragt, „belastbare Alternativen“ zu eruieren, so beschloss das Gremium Ende September endgültig, die Fusion durchzuführen – mit gerade einmal elf Gegenstimmen! Zahlreiche Proteste sind auch nach diesem endgültig scheinenden Votum nicht verstummt. SO-Chefdirigent François-Xavier Roth kündigte neue Formen des Protestes an: „Wir müssen überlegen, was wir jetzt als Bürger und als Künstler tun können. Ich weiß noch nicht, wie dieser Kampf aussehen wird, aber er beginnt heute“, erklärte der engagierte Dirigent, der bei den Donau-eschinger Musiktagen im Oktober das Freiburger Rundfunkorchester leitete.
Hier nun konnte der Klangkörper nicht nur erneut seine außerordentliche Qualität unter Beweis stellen. Das renommierte Festival der zeitgenössischen Musik wurde auch für weitere Protestaktionen genutzt. Beim Eröffnungskonzert sprang Komponist Johannes Kreidler vor Boudgousts Augen aufs Podium, griff sich ein Cello und eine Geige, verknotete beide mit deren Saiten (Symbol für die Unspielbarkeit eines Fusionsorchesters) und trat anschließend das seltsame Gebilde in Trümmer. Vierzig schwarze Grabkreuze, eines für jedes aufgelöste oder wegfusionierte Orchester in Deutschland, standen plötzlich vor den Donauhallen, darunter zwei weiße für die beiden SWR-Orchester. Und schließlich gab es vor dem Abschlusskonzert eine Schweigeminute – „im Angedenken“ an zwei Orchester, die zwar noch lebendig sind, deren Untergang aber schon einprogrammiert ist. [bh]
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