
175 Jahre Engagement
Der Opernchor des Anhaltischen Theaters Dessau · Von Ronald Müller
Ob Aida, Turandot, Lohengrin oder Chowanschtschina – jeder Opernbesucher weiß, wie groß der Anteil des Opernchors gerade auf der großen Bühne des Anhaltischen Theaters am Gelingen einer Opernaufführung ist. Seit 175 Jahren besteht ein fest eingerichteter Opernchor in Dessau. Das Anhaltische Theater begeht dieses Jubiläum mit einem großen Festkonzert – bei dem selbstverständlich der Opernchor des Hauses im Zentrum und auf der Bühne steht.
Die Geschichte des Chores ist untrennbar mit der Geschichte des Dessauer Theaters verbunden. Aus der Frühzeit des Theaters (ab 1794) haben sich keine Hinweise auf einen eigenständigen Opernchor erhalten. 1798 wurde vom Hoftheaterintendanten Karl August Freiherr von Lichtenstein ein „Singechor“ ins Leben gerufen. Nach Auflösung der Kurrende 1809 wurde dieser Chor, der sich aus Seminaristen des ortsansässigen Lehrerseminars und Chorschülern zusammensetzte, auch für Umgänge in der Stadt (bis 1818) und die Ausgestaltung der Gottesdienste herangezogen. Mit solcherart vereinten Kräften konnten in den ersten Jahrzehnten immerhin Opern wie Mozarts „Zauberflöte“ und „Titus“, Spontinis „Vestalin“ oder später Webers „Freischütz“ auf die Bühne gebracht werden. Mit dem Amtsantritt Friedrich Schneiders als Hofkapellmeister im Jahre 1821 traten neue Regelungen in Kraft (Einführung täglicher Singstunden, Aufteilung des Chores in drei Kantoreien zur Ausführung der Kirchenmusik).

Opernchor des Anhaltischen Theaters und Chorleiter Helmut Sonne.
Foto: Claudia Heysel
Daneben hatte der Chor bei allen größeren Musikaufführungen und Musikfesten mitzuwirken und in zunehmendem Maße natürlich auch weiterhin bei den Opernaufführungen im Hoftheater. Diese Belas-tung führte zu Unregelmäßigkeiten beim Schulbesuch und es kam wiederholt zu Konflikten mit der Schul- und Seminardirektion. Um dem abzuhelfen, erließ Friedrich Schneider zu Beginn der Saison 1837/38 im „Herzoglich Anhalt-Dessauischen Wochenblatt“ Nr. 49 vom 9. Dezember 1837 folgenden Aufruf: „Aufforderung in Betreff der Gründung eines Theaterchors. Es soll ein feststehender Theaterchor eingerichtet werden, welcher bei den Opernvorstellungen an hiesiger Hofbühne mitwirkt und, wenn diese Vorstellungen aufhören, fortwährend in Uebung bleibt. Für Tenor- und Baß-Stimmen ist bereits gesorgt. Für Sopran und Alt wünscht man noch den Beitritt junger Mädchen, welche, bei vortheilhaftem Aeußern, mit guter kräftiger Stimme und gutem Gehöre begabt sind und einige musikalische Kenntnisse besitzen, so wie ihre Stimme in etwas ausgebildet haben. Diejenigen, welche vorstehenden Erfordernissen genügen können und bei dem Theaterchore mitwirken wollen, mögen sich bei Unterzeichnetem im Laufe der künftigen Woche, und zwar die Tage Montag, Mittwoch und Sonnabend des Vormittags punkt 11 Uhr, melden. Deßau, den 9. Decbr. 1837. Dr. Fr. Schneider, Herzoglicher Hofkapellmeister.“
Mitgliedermangel
Vom Dezember 1837 an existiert also ein Opernchor als ständige Einrichtung am Dessauer Theater. Ohne einen solchen wären Premieren wie Verdis „Nabucco“ (1848) oder Wagners „Tannhäuser“ (1857) nicht möglich gewesen. Und doch muss es in den Jahren nach der Revolution von 1848/49 zu einem Mitgliedermangel vor allem bei den Männerstimmen gekommen sein. Die Theaterdirektoren ersetzten die Choristen wenn nötig auch durch erste Solisten, und Schneider kommentierte: „Ich glaube nicht, dass für diese das Chorsingen ein Schaden sein kann.“ Er wies ferner darauf hin, dass unter Direktor Martini kein Mitglied der ersten Fächer in der Oper vom Chorsingen befreit sei. Nach dem Umzug des Lehrerseminars nach Köthen 1854 gingen dem „Singechor“ weitere Männerstimmen verloren, und jetzt war es der Theaterchor, der aushelfen musste. Ausgewählte Mitglieder hatten fortan beim Kirchengesang mitzuwirken. Erst 1882 wurde diese Verbindung zwischen Theater- und Kirchenchor aufgehoben.
Aus einer Aufstellung des Hoftheaterpersonals in der Saison 1857/58 ist zu entnehmen, dass der Chor aus 16 Herren, 14 Damen und 4 Knaben bestand. An großen Choropern der folgenden Jahre kamen 1867 Wagners „Lohengrin“ und 1869 auch „Die Meistersinger von Nürnberg“ auf die Dessauer Bühne. Über letztere berichtet ein Beobachter: „Wir wissen zunächst die Bemerkung kaum in Worte zu fassen, mit denen wir die Leistungen des Orchesters, der Sänger, des Chores, szenische Ausstattung anstaunen... Hoftheater zum ersten Mal ohne Zuziehung fremder Kräfte. Schwierigkeiten spielend überwunden.“
Auch solistische Partien
Der Personalbestand des Chores pegelte sich im Laufe der Jahrzehnte zwischen 36 und 44 Mitgliedern ein. Ein Großteil der Sänger wirkte dabei stets auch in kleinen solistischen Partien mit. Ab den 1870er-Jahren erweiterte sich das Repertoire um Operetten, in den letzten 50 Jahren auch um Musicals. Zur Unterstützung der Singakademie wirkte der „Singechor“ des Hoftheaters und späteren Friedrich-Theaters selbstverständlich auch bei großen chorsinfonischen Konzerten mit, wie beispielsweise 1927 bei den Dessauer Erstaufführungen von Gustav Mahlers 3. und 2. Sinfonie.
Nach dem 2. Weltkrieg waren die Aufführungen der Opern Richard Wagners und Giuseppe Verdis sowie der großen russischen Choropern stets besondere Höhepunkte in der Chorarbeit. Hier ist aus der jüngsten Vergangenheit insbesondere Modest Mussorgskis musikalisches Volksdrama „Chowanschtschina“ zu nennen, für deren umfangreichen Chorpart die Dessauer Choristen mit den Kollegen des Deutschen Nationaltheaters Weimar kooperierten. Seit 2010 singt der Chor alle Opern in der jeweiligen Originalsprache. In der Kritikerumfrage der Zeitschrift „Opernwelt“ zur Spielzeit 2009/10 hebt Joachim Lange den Opernchor in Dessau hervor, „der sich beim ‚Lohengrin’ vor allem schauspielerisch und in ‚Die Stumme von Portici’ vor allem musikalisch selbst übertraf“.
Chordirektor seit 2005 ist Helmut Sonne. Ob „Aida“, „Faust“, „La Bohème“, „Esclarmonde“, „Die lus-tige Witwe“, Bach-Kantate oder Beethovens IX. Sinfonie – auch in der laufenden Spielzeit 2012/13 stellen die 38 Damen und Herren des Opernchores wieder ihre große Vielseitigkeit unter Beweis.
Ronald Müller
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