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Brennpunkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester
Berlin
Die FDP-Fraktion hat der Bundesregierung eine nicht weniger als
77 Punkte umfassende Große Anfrage zum finanziellen Engagement
des Bundes in den Kultureinrichtungen Berlins vorgelegt. Kritisiert
wird vor allem der Umfang der Förderung der hauptstädtischen
Kultureinrichtungen durch den Bund: 64,3 Prozent des Etats der Staatsministerin
für Kultur, mehr als 400 Millionen Euro pro Jahr, flössen
in die Berliner Kultur, ohne dass demokratische Transparenz gewährleistet
oder ein Konzept erkennbar sei.
Anlass der Anfrage dürfte die harsche Kritik des Bundesrechnungshofes
an der Vergabepraxis der Mittel des 10,3 Millionen Euro umfassenden
„Hauptstadt Kulturfonds“ sein, der allein vom Bund gespeist,
aber nahezu allein von der Stadt verteilt wird. Doch der tatsächliche
Grund ist wohl, dass die FDP-Bundestagsfraktion sich wieder einmal
von der Berliner FDP instrumentalisieren lässt, der die ganze
Richtung der Berliner Kulturpolitik nicht passt und die es nicht
verwunden hat, dass sie die Errichtung der Stiftung Oper in Berlin
nicht verhindern konnte. Deutlich wird diese Stoßrichtung,
wenn die Bundestagsfraktion gegen das Gesetz zur Übernahme
der Akademie der Künste, der Stiftung Kinemathek und der Betriebskosten
des „Hamburger Bahnhofs“ durch den Bund stimmt, ist
dieses doch die Voraussetzung dafür, den Berliner Kulturhaushalt
zu Gunsten der Opernstiftung um 22,2 Millionen Euro zu entlasten.
Nur eine Frage der FDP wäre verständlich: Wann endlich
im Dschungel von Föderalismus-, Verfassungs-, Kulturenquete-Kommissionen
und -unterkommissionen verfassungsrechtlich geklärt wird, welche
Pflichten und Rechte der Bund für seine Hauptstadt hat. Deren
Kulturpolitik zeichnet sich allerdings eher durch Tollpatschigkeit
als durch Geschick aus. Als bei der Suche nach einem Opernstiftungsdirektor,
bei der wenige der mitteleuropäischen Musiktheatermanager unangefragt,
und nur Frankfurts Geschäftsführender Intendant Bernd
Fülle und Basels Künstlerischer Direktor Michael Schindhelm
als Kandidaten übrig geblieben waren, platzte der Entscheidungsprozess,
weil Fülle sich durch ein vermeintliches Ausspionieren seiner
Fähigkeiten durch den Feuilleton-Chef des Berliner „Tagesspiegel“
wohl zu recht desavouiert fühlte und dem Kultursenator Thomas
Flierl mitteilte, „das nunmehr detaillierte Wissen um Ihre
Methoden der Entscheidungsvorbereitung zur Besetzung der Stelle“
des Opernstiftungsdirektors beende seine Bereitschaft, nach Berlin
zu gehen. Alle Beteiligten räumen Fehler ein, äußern
ihr Bedauern, wollen nichts Böses im Schilde geführt haben
– doch es bleiben angesichts dieser Vorgänge, die an
Heinrich Manns Kleinstädter erinnern, nicht nur ein übler
Nachgeschmack, sondern vor allem die Feststellung, dass Flierl seinem
Stiftungsprojekt Schaden zugefügt hat. Die Berliner SPD hat
den Stiftungsrat aufgefordert, das Verfahren der Kandidatensuche
neu aufzunehmen.
Das Schlossparktheater in Berlin-Steglitz, einst Kleines Haus
des Schiller-Theaters, nahm inzwischen unter neuer, privater Leitung
seinen Spielbetrieb wieder auf: Das Publikum feierte die Europapremiere
des Broadway-Musicals „Pinkelstadt“ („Urinetown
– The Musical“) mit stehenden Ovationen.
Freiberg-Döbeln
Die neue Regierung des Freistaats Sachsen will die ihr hinterlassenen
Fusionspläne, die auch das Mittelsächsische Theater und
die Landesbühnen Sachsen in Radebeul betrafen (s. „Oper
& Tanz“, Ausgabe
6/03, S. 6) überprüfen. Die Mittelsächsische
Theater und Philharmonie GmbH in Freiberg-Döbeln bleibt zunächst
selbstständig; die zur Finanzierung beitragenden Haustarifverträge
sollen für die Spielzeiten 2005/06 und 2006/07 verlängert
werden.
Freiburg
Das Theater Freiburg muss, angesichts der angespannten Haushaltslage
der Stadt, Ende dieser Spielzeit eine seiner vier Spielstätten
schließen. Die Aufgabe des bisher überwiegend der Kleinkunst
dienenden „Theatercafé“ mit 165 Plätzen
entlastet den Etat um jährlich 300.000 Euro.
Leipzig
„In (der Industriestadt) Chemnitz wird das Geld verdient,
in (der Handels- und Bankenstadt) Leipzig wird es vermehrt und in
(der Hauptstadt) Dresden wird es ausgegeben“, sagte einstmals
der sächsische Volksmund. Und die Stadt Leipzig beherzigte
seit jeher das von dem liberalen Politiker der 1848er-Revolution,
Robert Gerwig, vortrefflich formulierte ökonomische Erfolgsrezept:
„Das Gewerbe muss auf der Wissenschaft fußen, die Kunst
muss es kleiden, der Handel es ernähren.“
Ihre Kleidung lässt die Stadt Leipzig sich durchaus etwas kosten;
rund zehn Prozent des Etats fließen in die Kultur. Allein
für ihre drei Theater (Oper Leipzig, Schauspiel Leipzig, Theater
der Jungen Welt) und das Gewandhaus(-orchester) zu Leipzig stellt
sie pro Spielzeit rund 70 Millionen Euro an Betriebszuschüssen
bereit. „Doch jetzt haben wir ein Problem“, sagt umschreibend
Leipzigs Kulturdezernent Georg Girardet. Einerseits erfordert auch
der Leipziger Kommunalhaushalt, gleich allen anderen Deutschlands,
erhebliche Konsolidierungsanstrengungen; 1.660.700 Euro sollen Oper
und Gewandhaus jeweils in den Haushaltsjahren 2005 bis 2007 einsparen
– durch Gehaltsverzicht der Beschäftigten? Andererseits
wurde dem Mailänder Dirigenten Riccardo Chailly, den die Stadt
ab der Spielzeit 2005/06 als Gewandhaus Kapellmeister und Generalmusikdirektor
der Oper verpflichtet hat, eine Aufstockung der Betriebszuschüsse
für Oper und Gewandhaus um zwei Millionen Euro unter anderem
für seinen Gästeetat zugesichert. Pressemeldungen zufolge
hat Chailly nach seinem umjubelten Einstandskonzert, Verdis Messa
da Requiem im Opernhaus, angedroht, sein Amt gar nicht erst anzutreten,
sollten die ihm gemachten Zusagen nicht eingehalten werden. „Chailly
steht zu Leipzig, hat aber mahnend den Zeigefinger gehoben“,
ließ Gewandhausdirektor Andreas Schulz verlauten.
Girardets „Problem“ ist ein einfaches Rechenexempel:
Rund 3,7 Millionen Euro im Jahr fehlen, um Leipzig, wie von allen
gewollt, wieder zur Musikmetropole zu machen. Zwei Millionen, hofft
Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee, könnte der Freistaat
Sachsen beisteuern, dessen neue CDU/SPD-Koalition eine Anhebung
der Kulturraumgelder vereinbart hat. 1,7 Millionen brächte
die Gehaltsabsenkung, die von der Stadt von allen ihren Beschäftigten
gefordert wird. Sie hat den Deutschen Bühnenverein bereits
beauftragt, mit den Gewerkschaften Verhandlungen über einen
entsprechenden Haustarifvertrag aufzunehmen.
Der sächsische Volksmund von Einst ist derzeit nicht zitierfähig,
Robert Gerwigs Erfolgsrezept von 1848 aber sollte nicht in Vergessenheit
geraten.
München
Ist es dem Staatsintendanten Klaus Schultz gerade gelungen, die
Auflösung des am Gärtnerplatz-Theater beheimateten Ballett-Theaters
München unter der Leitung von Philip Taylor zu verhindern (s.
„Oper & Tanz“, Ausgabe
5/04, S. 8), wobei die mit dem Kunstministerium gefundene „konstruktive
Lösung“ hinsichtlich ihrer Finanzierung einigermaßen
im Dunkeln bleibt (geringfügige Erhöhung der Eintrittspreise
und Umschichtungen im Etat), so droht der Landeshauptstadt schon
neues Unheil: Der Bayerische Rundfunk hat als Reaktion auf die höchstwahrscheinlich
geringer, als von der KEF empfohlen, ausfallende Anhebung der Rundfunkgebühren
(0,88 statt 1,09 Euro) beschlossen, das Kleinere seiner beiden Orchester,
das „Münchner Rundfunkorchester“ im Jahr 2006 aufzulösen.
Dessen Chefdirigent, der Leiter des „La Fenice“ in Venedig
Marcello Viotti, legte mit sofortiger Wirkung sein Amt nieder. Münchens
Opernliebling, die Sopranistin Edita Gruberova, wandte sich in einem
Offenen Brief an Ministerpräsident Edmund Stoiber, der einer
der Verursacher der geringeren Gebührenanhebung ist, und forderte
den Erhalt des 71-köpfigen Orchesters, das sich vor allem seiner
Jugendarbeit wegen verdient macht. Sie erbitte die persönliche
Hilfe Stoibers, schrieb Gruberova, „bei der Zähmung gewisser
Sparwüteriche, die durch ihre Kunst- und Kultur-Zerschmetteraktionen
die deutsche Nation in bessere Zukunft zu führen glauben“.
Plauen-Zwickau
Für den Fortbestand der durch die einschneidenden Betriebszuschuss-Kürzungen
durch die Stadt Zwickau gefährdeten Theater Plauen-Zwickau
gGmbH samt Philharmonischem Orchester gibt es wieder Hoffnung (s.
hierzu „Oper & Tanz“, Ausgabe
3/04, S. 6 und Ausgabe
5/04, S. 8). In Erwartung einer Anhebung der für die sächsischen
Kulturräume zur Verfügung stehenden Mittel und einer moderateren
Kürzung der Zwickauer Zuschüsse hat das Theater den Deutschen
Bühnenverein gebeten, bei den Gewerkschaften zu sondieren,
ob durch haustarifvertragliche Gehaltsverzichte der Beschäftigen
das Haus gesichert werden könne.
Saarbrücken
Jetzt hat die Kultur-Abrissbirne mit voller Wucht erstmals auch
ein veritables Staatstheater getroffen. Die saarländische Landesregierung
hat beschlossen, die Zuwendungen an die Staatstheater GmbH (Saarländisches
Staatstheater und Staatsorchester Saarbrücken, ein Dreispartenhaus
mit rund 480 ständig Beschäftigten) in den Jahren 2006
bis 2009 von derzeit 24,5 Millionen Euro degressiv in vier Jahresschritten
auf 18,5 Millionen Euro abzubauen. Bereits in der Spielzeit 2005/06
wird die Kürzung rund eine Million Euro betragen. „In
einem Kulturbetrieb wie dem Saarländischen Staatstheater“,
schrieb einen Tag vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe der Generalintendant
Kurt Josef Schildknecht der VdO, „dessen größter
Aufwandsposten die Personalausgaben sind (etwa 82 Prozent der Gesamtaufwendungen)
und dessen Zuschuss letztendlich um 25 Prozent gekürzt wird,
kann nur ein Personalabbau zu wirksamen Einsparungen führen...“.
In der Tat ist es fraglich, ob eine solch brutale Maßnahme
durch Haustarifverträge derart abzufangen ist, dass Struktur
und Qualität des Theaters nicht im Kern beschädigt werden.
Theaterleitung, Gewerkschaften und Betriebsrat sind politisch und
konzeptionell gefordert.
Sachsen-Anhalt
Wenn der Landtag in Magdeburg dem mit den Stimmen der CDU-/FDP-Koalition
gefassten Beschluss seines Kulturausschusses folgt, werden die Theater
in Dessau, Halle und Magdeburg in den Jahren 2005 und 2006 jährliche
Kürzungen der Betriebszuschüsse zwischen sechs und sieben
Prozent hinnehmen müssen. Einen Antrag der SPD, wenigstens
nach Übergangslösungen zu suchen, die den Theatern eine
Vorbereitung auf die Etateinbrüche erlaube, wies Kultusminister
Jan-Hendrik Olbertz mit den Argumenten zurück, die Mittelkürzungen
seien den Bühnen schon vor Jahresfrist angekündigt worden,
sie seien geringer als geplant ausgefallen und jede Verzögerung
schiebe auch die notwendigen Strukturreformen hinaus. Tatsächlich
sprach er von „Reformen“.
Das Anhaltische Theater wird gegebenenfalls mit 605.000 Euro gekürztem
Betriebszuschuss auskommen müssen, den Bühnen der Stadt
Halle werden 704.000 Euro fehlen, dem Theater Magdeburg 523.000
Euro (vgl. „Oper & Tanz“, Ausgabe
5/04, S. 8). Weiterer Gehaltsverzicht, Personalabbau oder Spartenschließungen
lautet wie stets die Frage.
Thüringen
Bis 2008 laufen die Theater- und Orchester-Zuwendungsverträge,
die der Freistaat Thüringen mit den Rechtsträgern der
Kultureinrichtungen abgeschlossen hat. Ministerpräsident Dieter
Althaus und sein neuer für die Kultur zuständiger Minister
Jens Goebel (beide CDU) haben angekündigt, dass die Förderung
ab 2009 weder in der bisherigen Form, noch in der bisherigen Höhe
fortgesetzt werden könne. Ein entsprechendes Konzept werde
die Regierung Ende 2005 vorlegen.
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