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Oper am Originalschauplatz
Meyerbeers „Prophet“ in Münster · Von
Frieder Reininghaus
Münster steuert auf eines seiner Stadtjubiläen zu, für
die es – der Quellenlage sei Dank – im Früh- und
Hochmittelalter manchen Termin gibt, an den sich anknüpfen
lässt. Ein Vorschlag, der den Städtischen Bühnen
schon vor 25 Jahren unterbreitet wurde, kam nun zur Ausführung:
Giacomo Meyerbeers „Le prophète“ am „Originalschauplatz“.
Die exemplarische Grand opéra von 1849 thematisierte Episoden
aus Münsters Stadtgeschichte (1534/35): die Erhebung des „Täufers“
Johann Bockelson zum König eines „neuen Jerusalem“
und das grausame Ende dieser „Herrschaft von Gottes Gnaden“.
Nachdem es bereits vor elf Jahren mit der Uraufführung von
Azio Corghis Oper „Divara“ eine der konfliktreichsten
Phasen der regionalen Geschichte ins Visier genommen hatte, stellte
sich das Theater in Westfalen jetzt der besonderen Herausforderung
Meyerbeers.
Damit das Stück überhaupt in einem in Münster realisierbaren
und rezipierbaren Rahmen aufgeführt werden konnte, wurden nicht
nur die wichtigsten editorischen Novitäten in die neue Werk-Fassung
integriert, sondern im Gegenzug auch wieder kräftige Striche
gemacht. Die chemisch keineswegs reine Sozialutopie, deren Initiatoren
der Librettist Eugène Scribe wie der Komponist Meyerbeer
ein entschiedenes Engagement gegen Bauernarmut und Fürstenwillkür
zubilligten, erscheint so in etwas verändertem Licht. Gegenüber
dem umfunktionierten Historien-Drama „Le prophète“,
das John Dew 1986 in Bielefeld als aktuell sektenkritisches Kammerspiel
zeigte und das Hans Neuenfels 1998 an der Wiener Staatsoper zu einer
psychoanalytischen Studie degenerierte, wahrt die Inszenierung die
Balance zwischen den verschiedenen Komponenten, die in dieser Grand
opéra zusammentreffen – auch wenn die Wahl der Bildebene
alles andere als unanfechtbar erscheint.
Wolfgang Quetes, neuer Generalintendant in Münster, ließ
Heinz Balthes einen Bühnenraum bauen, der an den Eingangsbereich
des nahe gelegenen Theater-Parkhauses erinnert: Ein aufgeschnittenes
Oktogon – Beton-Architektur mit einem Stück Treppe, die
in tiefes Blau getaucht wurde. Es ist dasselbe Blau, das Berthès
Kleid schmückt und so die Braut des Schankwirts Johann von
Leyden, der in die Funktion des Propheten gedrängt wird, optisch
aus dem Aufmarsch der armen Leute heraushebt. Und die muten an,
als entstammten sie – nicht anders als die Bewaffneten der
verschiedenen politischen Gruppierungen – einem Sozialdrama
Gerhart Hauptmanns.
Durch Drehungen wird der Wechsel der Schauplätze angedeutet:
Von der Zwingburg des Grafen Oberthal geht es so kräftig blau
in die Kneipe zu Leyden (die einst sicher nicht so weiträumig
war), weiter in verschiedene Unterstände bei der Belagerung
Münsters durch die eigentlich pazifistischen „Täufer“
und hinein in die blauäugige Stadt, in der sich Johann nicht
nur zum geistlichen Führer, sondern auch zum weltlichen Herrscher
aufschwingt. Der Machtappetit kommt mit dem Essen – und sehr
umsichtig verfährt Regisseur Quetes, der die Elemente der Historie
gradlinig, ohne Brechung „erzählt“, auch mit den
eingelagerten und an zentrale Stelle rückenden persönlichen
Konflikten: den der Berthè mit dem Grafen Oberthal –
Carmen Acosta sticht in dieser Partie positiv hervor – und
den Konflikten um und mit der Mutter Fidès, der Suzanne McLeod
als vom (falschen) Propheten nicht minder verratene Frau eine ergreifende
Stimme verleiht.
Ivan Törzs sorgt mit dem Sinfonie-Orchester Münster für
einen stimmigen Rahmen, in dem die Glanzlichter der Klarinetten-Soli
und der Trompeten-Signale aufblitzen, die dunkle Färbung der
Partitur des Skeptikers Meyerbeer aber hinreichend deutlich wird.
Hohe Anerkennung verdient die Ausführung der anspruchsvollen
großen Chorpartien durch das bemerkenswert leistungsfähige
Kollektiv sowie den Extra-Chor, auch wenn die Choristen bei der
szenischen Gestaltung ihrer Auftritte von ihrem neuen Dienstherrn
und Regisseur im Stich gelassen wurden; sie kamen und standen wie
bestellt und nicht abgeholt.
Das Terzett der Täufer, die religiösen Fanatismus mit
Selbstverwirklichungsabsichten paaren, macht seine böse Sache
ebenfalls glänzend. Allein die beiden männlichen Protagonisten
– Graf Oberthal und Prophet Johann – mag man sich von
stimmkompetenteren Sängern besetzt wünschen. Dass und
wie letzterer ein Muttersöhnchen gewesen sein mag, zeigt die
Inszenierung deutlich. Und sie schlägt schließlich den
Bogen zum großen Vernichtungswerk eines anderen Kleinbürgers
und Diktators: Bilder des im Zweiten Weltkrieg zerbombten Münster
krönen das letzte Finale auf geschichtslehrsame Weise.
Frieder Reininghaus
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