Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

Aktuelle Ausgabe

Editorial

Kulturpolitik
Brenn-Punkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester
Neues Selbstbewusstsein
Erste VdO-Bundesversammlung in Halle
Singen lernt man nur durch Singen
Fachtagung Chor der ZBF in Köln · Von Nikolaus Kuhn
Land des Schwächelns?
Die Operette – Musikmagazin „taktlos“ über eine aussterbende Gattung
Urheberrecht aktuell
Die Künstler erhalten einen Korb

Portrait
Ich finde mein Leben wunderbar
Christoph Forsthoff im Gespräch mit der Sängerin Angela Denoke
Die Kunst soll irritieren
Reinhard Schulz im Gespräch mit Olga Neuwirth

Berichte
Heldenpose und Opferperspektive
Deutsche Erstaufführung von „the CIVIL WarS“ in Freiburg
Neues aus Mitteldeutschland
Premieren von „Broucek“, „Tristan“ und „Evangelimann“
Oper am Originalschauplatz
Meyerbeers „Prophet“ in Münster
Oper auf der Baustelle
Claudio Monteverdis „Orfeo“ in Darmstadt


Ein unerhört gutes Buch
Volker Klotz: Operette. Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst
Hörenswerte Opern-DVDs
Die FAZ-Opernedition

VdO-Nachrichten
Nachrichten
„Oper und Tanz“ als Mittler zwischen den Kontinenten // Keine Krise der Künstlersozialkasse // Wir gratulieren //

Service
Schlagzeilen
Namen und Fakten
Oper und Tanz im TV
Stellenmarkt
Wettbewerbe 2004
Spielpläne 2004/2005

 

Kulturpolitik

Singen lernt man nur durch Singen

Fachtagung Chor der ZBF in Köln · Von Nikolaus Kuhn

Es traf sich gut, dass die Zentrale Bühnen-, Fernseh- und Filmvermittlung (ZBF) der Bundesagentur für Arbeit zu ihrer „Fachtagung Chor“ nach Köln am 15. November, also einen Monat nach der Bundesversammlung der VdO in Halle, eingeladen hatte: Die lebhafte, teils sogar stürmische Diskussion zwischen den Vertretern der Gesangsausbildungs-Einrichtungen einerseits, den Praktikern des Chorwesens andererseits, glich einer Fortsetzung der entsprechenden Debatten auf der Bundesversammlung, als die dort versammelten VdO-Delegierten das Statement des Professors an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover, Matthias Remus, der eine heile Welt deutscher Gesangsausbildung vorstellte, erst zu hinterfragen, dann zu zerpflücken begannen. Hätte ihm Prinzessin Turandot das Rätsel aufgegeben, wie es denn zu erklären sei, dass bei den Rundfunkchören mit derzeit (noch) rund 350 Stellen, bei den Opernchören mit derzeit (noch) rund 3.000 Stellen – unbeschadet aller Chorverkleinerungen – akuter Nachwuchsmangel herrsche, obschon jährlich rund 300 ausgebildete Konzert- und Opernsänger/-innen die 33 deutschen Musikhochschulen und Konservatorien verlassen, er wäre wie der junge Prinz von Persien in Puccinis Oper bei Mondaufgang geköpft worden, weil er die Frage nicht beantworten konnte. Da die VdO nicht in der „violetten Kaiserstadt“, sondern in Halle tagte, konnte er unbehelligt nach Hannover zurückreisen.

Mangelnde Beratung

Kerstin Holdt, die Leiterin des Bereichs Musiktheater der ZBF, hatte dem Fachforum das Thema „Rundfunk- und Opernchorsänger – Arbeitsmarkt und neue Ausbildungswege“ aufgegeben; Heiner Gembris, Professor für empirische Musikpädagogik und –psychologie an der Universität Paderborn, hielt den Einleitungsvortrag, in dem er die Ergebnisse seiner Langzeitstudie über Gesangs-Hochschulabsolventen vorstellte (unter dem Titel „Gesangsstudium – und was dann?“ nachzulesen in „Oper & Tanz“, Ausg. 4/2004, S. 8ff.). Seine Kernaussagen, dass zwar 84 Prozent der Absolventen ihre Hauptfachbetreuung mit sehr gut bis befriedigend bewerteten, aber 72 Prozent die konkrete Berufsvorbereitung (Karriereberatung) als schlecht bis sehr schlecht klassifizierten, offenbar nur ein knappes Drittel der Absolventen überhaupt einen ausbildungsadäquaten Arbeitsplatz fände, provozierten die Musikhochschulen. Josef Protschka, Rektor der Musikhochschule Köln und selbst Sänger (Tenor), verteidigte sie eloquent mit den Hinweisen auf die soziokulturelle Problematik: Es sei das „bodenständige Singen“ seit Militarismus und Nationalsozialismus desavouiert, der Stellenwert der musischen Bildung werde immer kleiner und die Hochschulen seien gar nicht in der Lage, die aus Elternhaus, Kindergarten, Vorschule, Schule und Gymnasien herrührenden Defizite in den durchschnittlich acht Semestern Studienzeit auszugleichen. Die Kölner Hochschule werde aber aus den Ergebnissen der Gembris-Studie Konsequenzen ziehen.

Allerdings, räumte er ein, sei die Gesangsausbildung auch in Köln am Solofach orientiert, das ergebe sich aus der Struktur des Lehrkörpers. Warum denn, fragten die Chordirektoren Sören Eckhoff (Augsburg) und Albert Limbach (Köln), dieser Lehrkörper so sei wie er sei, warum denn Chorleiter kaum jemals Lehrbeauftragungen bekämen? Antwortend, ging Protschka entlarvend der Gaul durch: „Chorleute werden keine Professoren, weil sie keine Namen haben!“ „Eben darum“, kommentierte Frank Druschel, Chordirektor des RIAS-Kammerchores Berlin, „reicht die Qualität der von den Musikhochschulen Ausgebildeten für unsere Anforderungen nicht aus.“ „Ensemble- und Chorgesang gehören unverzichtbar zur Vokalistenausbildung, das muss an den Hochschulen von fachlich erfahrenen Lehrkräften vermittelt werden,“ ergänzte Ulrich Paetzholdt, Opernchordirektor der Deutschen Oper Berlin. „Die Musikhochschulen bilden in einer eigenen Währung aus, die in der Opernpraxis, zumal in der Chorpraxis geringen Wert hat!“

Berthold Schmid, Professor an der Hochschule „Felix Mendelssohn Bartholdy“ für Musik und Theater in Leipzig und Präsident des Bundesverbandes Deutscher Gesangspädagogen, versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten war: „Wir können nicht speziell für die Chöre ausbilden, schon gar nicht differenziert für Rundfunk- und Opernchöre.“ Jeder Chor suche sich die Solostimmen, die in sein Ensemble passen; das spezifisch „Chorische“ müsse vor Ort vermittelt werden. Es sei zwar zutreffend, konterte Paetzholdt, dass angesichts heutiger Anforderungen an die Chöre jeder Chorsänger ein potenzieller Solist sein müsse und auch mit solistischen Aufgaben betraut werden solle, doch auch das Umgekehrte gelte: Jeder Studierende müsse auch ein potenzieller Chorsänger sein und mit der Berufswirklichkeit der Theater- und Rundfunkmusik vertraut gemacht werden. „Zerstört die Solo-Glocken, holt die Praktiker in die Hochschulen und bereitet die Studierenden darauf vor, dass ihnen Patchwork-Biografien bevorstehen.“

Auf dem Prüfstand

Als Michaela Krämer, Gesangsprofessorin an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf, zu vermitteln versuchte, indem sie darauf hinwies, dass es ungeachtet beruflicher Ziele, Träume und Möglichkeiten der Studierenden die wichtigste Aufgabe der Hochschulen sei, den künftigen professionellen Sängern das Singen beizubringen, und „Singen lerne man nur durch Singen“, hakte Stefan Meuschel, Geschäftsführer der Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer, ein: Gerade, weil er Michaela Krämer zustimme, müsse er fragen, ob nicht das ganze System der Musik- (vielleicht sogar aller Kunst-)Hochschulen auf den Prüfstand zu stellen sei. Gerade für das „Singen-Lernen“, erst recht für das für den Opernchorsänger unverzichtbare „Darstellen-Lernen“ sei die Hochschule für Musik und Theater schon seit Jahrzehnten nicht mehr der geeignete Ausbildungsplatz. Wenn auch leider keine „PISA-Studien“ vorlägen, sprächen die Fakten doch für sich: 52 Prozent der Opernchorsänger (Stand 2001) kämen aus dem nicht deutschsprachigen Ausland, die Hochschule für Musik und Theater in München biete in den ersten vier Semestern bei insgesamt 79,5 Wochenstunden gerade mal zwei Wochenstunden Klavier und 13,25 Wochenstunden Gesangsunterricht an. Und das bei einer am Betrieb der wissenschaftlichen Hochschulen orientierten Semestergliederung, bei der die das Singen Lernenden in den Semster-„Ferien“ zusehen müssten, wie sie sich durch Selbststudium oder Privatunterricht (womöglich bei ihren Hochschullehrern?) über Wasser hielten. Selbstverständlich sei die Begleitung des Gesangsstudiums von breiten, auch wissenschaftlichen Ausbildungsinhalten zu bejahen – ein Studium generale als Begleitung forderte Daniela Thomas, die Sprecherin der Studentenschaft – doch Schwerpunkt müsse das Erlernen des künstlerischen Handwerks sein. Auch sei die Frage zu stellen, wie viel „hoheitliches Handeln“ das Vermitteln von Singen und Darstellen berge, um die Lebenszeit-Verbeamtung von (Kunst-)Hochschullehrern zu rechtfertigen. Der C4-Professor, der sich als Zephir weigere, Sängern den für ihre Selbstbegleitung notwendigen Klavierunterricht zu erteilen, habe seit Jahren schon Kabarettreife erlangt und existiere dennoch an den Musikhochschulen fort. Auch gebe es für die aus guten Gründen geforderte praxisorientierte Ausbildung von Sängern seit langem bewährte Vorbilder: Stuttgart und Dresden seien zu nennen.

Fazit

Der Musikjournalist Walter Vorwerk aus Berlin, der das Chorforum zu moderieren übernommen hatte, fasste mit Dank an die ZBF die Ergebnisse der Diskussionen wie folgt zusammen: Aktualisierte Berufsbilder der Rundfunk- und Opernchorsänger sind zu erarbeiten. Chordirektoren-Konferenzen – unter Einbeziehung der Theaterleitungen und der zuständigen Berufsverbände DOV (Rundfunkchöre) und VdO (Opernchöre) – müssen diese Aufgabe übernehmen. Gemeinsames Anliegen muss es sein, die Position der Chordirektoren zu stärken. In welcher Form auch immer: Die Chorpraxis muss in die Ausbildung einbezogen werden. Chordirektoren und –sänger müssen sich den Ausbildungseinrichtungen zur Verfügung stellen. Analog zu den Orchesterakademien bedarf es – bis zu einer Reform der Vokalistenausbildung und bis zur Behebung der Ausbildungsdefizite – der Einrichtung von Opernchorakademien. Die von Heiner Gembris aufgezeigten Ausbildungsmängel müssen behoben werden: Die Ausbildungseinrichtungen müssen die Studierenden auf die Praxis des Berufslebens vorbereiten (zum Beispiel: Wie singe ich vor? Wie bewerbe ich mich? Welche arbeitsrechtlichen Bedingungen erwarten mich?).

Und wäre es nicht Abend geworden, dauerte die Debatte der ZBF-Vermittler, Hochschullehrer, Chordirektoren, Berufsverbandsvertreter, Studierenden noch immer an. Sie betrifft zwar nur einen Mini-Bereich, ist aber deutschlandtypisch: Erst kurz vor dem Abgrund beginnt sie.

Nikolaus Kuhn

Aus der Situationsanalyse der ZBF:

Unserer Erfahrung/Beobachtung nach kann der Bedarf der Berufschöre an gut ausgebildeten deutschsprachigen tiefen Frauenstimmen und hohen und tiefen Männerstimmen nicht gedeckt werden. Zum Teil liegt das in der Anzahl der Bewerber, zum Teil aber auch in der mangelnden Eignung der sich bewerbenden Sänger und Sängerinnen für den Chorgesang begründet.
Trotz des Bedarfes ist die Ausbildung der Gesangsstudenten auf eine Solokarriere ausgerichtet. Obwohl ein Engagement im Chor eine größere soziale Sicherheit und ein höheres Einstiegsgehalt bietet, wird diese Möglichkeit von vielen als weniger attraktiv angesehen. Das arbeitsmarktliche Ungleichgewicht bezogen auf die Stimmfächer hat zur Folge, dass sich das Anspruchsniveau für lyrische Soprane im Chorbereich schnell hoch geschraubt hat, während durch Fehlen des männlichen Nachwuchses hier auf viel geringerem Niveau vermittelt wird.

Studienangebote, die das professionelle Ensemblesingen schulen, gibt es nicht. Karriereberatung, Hinweise auf außermusikalische und persönlichkeitsspezifische Aspekte für einen erfolgreichen Berufseinstieg fehlen. Vergleichbar ist die Situation in der Dirigentenausbildung. Ambitionierte Musiker streben eine Orchesterdirigentenkarriere an und setzen sich kaum mit anspruchsvoller Chorliteratur auseinander. Das Studium zum Chordirigenten orientiert sich hingegen an der Arbeit mit Laien und deckt nicht die Ansprüche der Berufchöre ab.

Dahinter steckt die allgemeine gesellschaftliche Geringschätzung der Chorarbeit im Vergleich zur Sololaufbahn. Hier gilt es, den Chorbereich durch intensive Beschäftigung und Publikation seiner Herausforderungen und Bestandteile nach innen und außen aufzuwerten.

Das Forum, das die ZBF bietet, soll den Chordirektoren der professionellen Chöre Deutschlands (Oper/Rundfunk) und den Hochschulrektoren und Gesangspädagogen eine Möglichkeit des Austausches bezüglich der Thematik des professionell und praxisbezogen auszubildenden Nachwuchses für Chöre geben.

Praxisnähe der Ausbildung – was wird aus den Absolventen, was benötigen sie, was muss von ihnen gefordert werden, um mit der starken ausländischen Konkurrenz Schritt zu halten – das sind Fragen, die sich immer wieder und verstärkt stellen und dringend einer Standortbestimmung und Klärung bedürfen.

Mit anderen Worten, das Verhältnis zwischen den Anforderungen des Berufes und den im Studium vermittelten Qualifikationen muss analysiert und Vorschläge zur Verbesserung der Ausbildung daraus abgeleitet werden.

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner