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Portrait

Die Kunst soll irritieren

Reinhard Schulz im Gespräch mit Olga Neuwirth

Olga Neuwirth ist eine der faszinierendsten Persönlichkeiten im nicht gerade armen zeitgenössischen Musikleben Österreichs. Immer wieder hat sie mit Elfriede Jelinek zusammengearbeitet, mit ihr verbindet sie die widerständige Haltung im offiziellen Kulturbetrieb. Vor einem Jahr wurde in Graz innerhalb des Steirischen Herbstes ihr musiktheatrales Stück „Lost Highway“ nach David Lynch uraufgeführt, und auch dieses Jahr war sie dort wieder mit einem neuen Bild/Text/Musikstück „... ce qui arrive...“ vertreten (Uraufführung am 21. 10. 2004 in der Helmut-List-Halle). Reinhard Schulz hat sich mit Olga Neuwirth unterhalten.

 
Die Komponistin Olga Neuwirth. Foto: Oswald
 

Die Komponistin Olga Neuwirth. Foto: Oswald

 

Reinhard Schulz: In den Texten zum Steirischen Herbst liest man von einer „Art Raumkomposition, deren dramaturgisches Gesamtkonzept auf dem beständigen Wechsel von Musik, Bild und Sprache beruht“. Was darf man erwarten?
Olga Neuwirth: Manchmal fällt auch das Wort multimedial, aber das mag ich gar nicht. Aber es kommt alles zusammen, was mich interessiert: Texte, Literatur, Bilder – und Musik auf verschiedenen Ebenen. Ausgegangen bin ich von zwei Büchern mit Erzählungen von Paul Auster. In „From Hand to Mouth“ fragt er sich, wie ein Künstler heute überleben kann ohne Kompromisse zu machen. Er schildert, wie er, gewissermaßen in einem geteilten Leben, auf einem Schiff anheuert, um dann vom verdienten Geld einige Zeit frei schreiben zu können. Das ist die Situation eines frei bleibenden Künstlers heute. Es gibt keinen festen Grund, man muss jeden Tag sein Leben neu erfinden. Deswegen spielt auf den Filmbildern das Wasser als Symbol für den nicht bestimmten Ort, für „U-Topos“ eine ganz wichtige Rolle. Im zweiten Buch „The Red Notebook“ werden Situationen erzählt, in denen es um den plötzlich eindringenden Zufall geht. Der Mensch hat Angst vor solchen Zufällen, die sein Leben umkrempeln, aber es gibt kein Entkommen, die Folge solcher Zufälle wird als Schicksal empfunden. Solche Zufälle und das Haltlose der (Künstler-)Existenz, darum geht es in diesem Stück.Das Ensemble Modern spielt live zum Film, fast wie in alten Stummfilmen. Sie sind weiß angezogen und fungieren als Teil der Leinwand. Und ähnlich vermischt sich auch die Musik mit den Worten Austers. Sie ist einfacher Hintergrund, dann Kommentar, direkte Begleitung oder sie ist ganz eigenständig. Wechselnd und nicht festhaltbar eben. Ich wollte ursprünglich auch den Song „Wovon lebt der Mensch“ aus der Dreigroschenoper von Brecht/Weill einmontieren.

Schulz: Als Zitat einer politisch sich auflehnenden, aggressiven Haltung?
Neuwirth: So ist es, aber die Brecht-Erben waren damit nicht einverstanden. So habe ich auf Texte von Andrew Patner drei Songs im Weill-Stil selbst komponiert, die die Leinwandfigur Georgette Dee im Bild singt. Es geht in jedem Song um die Zentralfragen des Stücks: Wie verdient man Geld, wie gewinnt man Liebe?

Schulz: Gerade hast du (fast fluchtartig) Berlin verlassen wie ein paar Jahre davor Venedig. Fliehst du eigentlich, oder suchst du immer wieder das andere?
Neuwirth: Es ist beides. Aber es ist sehr, sehr anregend, sich immer wieder neuen Situationen, neuen kulturellen Umfeldern zu stellen. Ich mag Großstädte, wirkliche Großstädte wie Paris oder London, wo ganz verschiedene Menschenbilder nebeneinander existieren. Wien, da wohne ich gerade, ist das nicht, obwohl sich hier in den letzten zehn Jahren einiges in der Szene der alternativen Kultur getan hat. Aber die Enge belastet.

Schulz: Ist das der Zorn des Österreichers auf das eigene Land?
Neuwirth: Ich glaube, wir österreichischen Künstler haben die Tradition, das eigene Land zu analysieren. Das kommt aus der Enge hier. Der Künstler wird immer wieder herunter gemacht, jedenfalls, wenn er nicht ins obrigkeitshörige Bild passt. Das ist seit der Monarchie so und hat sich kaum geändert. Es ist ein masochistisches, sich selbst hassendes Warten auf den Befehl von oben. Und oben spielt man mit den Ängsten und immer wieder auf der Basis von Lügen. Jelinek hat einmal von den guten und den schlechten Ausländern hier gesprochen, je nach Anpassung ans System. Darum freut es mich auch so, dass sie den Nobel-Preis erhalten hat. Denn sie hat nie ihre Haltung aufgegeben.

Schulz: Du sprichst von Lüge: Vor allem über die Medien sind wir ständig von der Lüge umlagert. Definiert sich künstlerisches Tun als Gegenwelt zur Lüge? In Donaueschingen wurde gerade in einer Podiumsdiskussion über Wertewandel gesprochen. Wie würdest du den Begriff sehen?
Neuwirth: Nun, schon die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, die ich immer ganz intensiv suche, gibt den Wert des Miteinander vor. Und dann, da bin ich vielleicht konservativ, ist für mich die Ehrlichkeit des Handwerks ganz wichtig. Das will ich nicht aufgeben. Das wird ja im modernen Musikbetrieb immer mehr an den Rand gedrängt, der Wert ausführlichen Probens miteinander zum Beispiel. Wenn man hier zu viele Konzessionen macht, und man wird von allen Seiten vom Komponieren bis zur Situation der Aufführung dazu gedrängt, dann braucht man im Grunde gar nichts mehr zu tun.

Schulz: Du hast einmal geklagt über den Aufwand des Musik-Schreibens.
Neuwirth: Ja, das dauert ewig und in einer miserablen Aufführungssituation verwäscht sich dann sogar der Unterschied zum schnell Gemachten. Ich aber möchte als Komponistin von meiner Seite alles getan haben, auch um mich nicht selber anzulügen.

Schulz: Dein Mittel gegen die Lüge?
Neuwirth: Die Kunst, wie ich sie verstehe, muss sichtbar machen, sie muss aufzeigen und Haltung haben. Darum meine Jelinek-Freude. Und noch etwas sollte Kunst leisten: Sie sollte irritieren. Die allgegenwärtige Lüge nämlich soll nicht irritieren, sie dient dazu, die Machthierarchien zu bewahren. Hier hat die Kunst ihren Platz als Gegenpol.

 

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