Neues Selbstbewusstsein
Erste VdO-Bundesversammlung in Halle · Von Irene Constantin
Zu ihrem 45. „Geburtstag“ veranstaltete die VdO zum
ersten Mal eine Bundesversammlung. Vom 10. bis 12. Oktober beschäftigten
sich rund 100 Chorsänger in Halle an der Saale mit sich selbst
und den Problemen ihres Arbeitsalltags. Das ist schon deshalb bemerkenswert,
weil „der Chor“ – schon im Namen zum Singular
verschmolzener Plural von Individuen – in seinem eigentlichen
Metier eher den Hintergrund für die weltbewegenden Haupt- und
Staatsaktionen bildet. An dieser Schnittstelle zwischen Menge und
Individuum setzte die ungewöhnliche Methodik des Kongresses
an.
Die Zielstellung bestand nicht in der Vermittlung brandneuer Erkenntnisse
Einzelner an einen Kreis von Interessierten, sondern im Austausch
eher unspektakulärer Erfahrungen. Über sein Metier wusste
jeder Teilnehmer bereits vor dem Kongress hinreichend Bescheid.
Es kam darauf an, dieses Wissen zu aktivieren und produktiv zu machen.
Gute Gewohnheiten, Einrichtungen, Methoden sollten mitgeteilt werden
und zu Überlegungen führen, was – anderenorts bewährt
– auch im eigenen Theater zu Verbesserungen führen könnte.
Die Trainer/Entwickler/Berater Claus Harten und Eberhard Breuninger
waren engagiert worden, diesen Erfahrungsaustausch zu organisieren.
Am Ende des Kongresses hatten sie dieses und einen wichtigen Punkt
mehr geleistet: einen Crash-Kurs zur Entwicklung des Selbstbewusstseins.
Zwei Dutzend Tafeln mit formulierten oder noch zu formulierenden
Thesen, Problemen, Fragen standen am Anfang. Jeder war aufgefordert,
kurze Kommentare, Thesen, Fragen, Verbesserungsvorschläge per
Klebezettel an die jeweilige Tafel zu heften.
Sechs Schwerpunkte kristallisierten sich heraus: Die Wirksamkeit
des VdO in den verschiedenen Opernhäusern, die Ausbildung der
Chorsänger, Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit für
den Opernchor, die Verbesserung der Stellung des Chores im jeweiligen
Theater selbst (diese Thematik fand die meisten Interessenten),
Tarif-Fragen, Kulturpolitische Einbindung und finanzielle Ausstattung
vor allem kleinerer Theater in ihren Regionen. Zu jedem dieser Themen
hatten sich Arbeitsgruppen zusammengefunden, die die vermischten
Gedanken geordnet und grafisch präsentierfähig gemacht
hatten. In kurzen Referaten trugen die Sprecher aller Gruppen schließlich
ihre Ergebnisse vor.
Einige Anregungen aus der Fülle: Den deutlichsten Handlungsbedarf
sahen die Versammelten landesweit in der Ausbildung der Chorsänger.
Die verbürokratisierten Hochschulen würden viel zu wenig
Hauptfachunterricht erteilen, viel zu wenig Bühnenpraxis vermitteln,
auch zu wenig dafür tun, die Motivation für den Chorgesang
zu schaffen. Eine Vertreterin der Staatsoper Dresden stellte zur
allgemeinen Begeisterung die Chorsänger-Ausbildung im hauseigenen
Opernchor-Studio vor.
Als wesentlich für die Chor-Situation in den Theatern kristallisierte
sich ein Mitspracherecht bei der Premieren- und Repertoire-Spielplangestaltung
heraus.
Hauptschwerpunkt für die VdO sollte ein höherer Organisationsgrad
der Chorsänger sein, außerdem könnte man Internet
und E-Mail zur Informationsverbreitung intensiver nutzen.
Beim schwierigen Kapitel der Tariffragen standen die „Haustarifverträge“
im Mittelpunkt: Gefährdet ihre Vielzahl den Flächentarifvertrag?
Wie hoch kann Gehaltsverzicht sein, um das Theater, um den Arbeitsplatz
zu erhalten? Der Normalvertrag Bühne darf jedenfalls nicht
zur Disposition gestellt werden.
Zwei Kollegen des Nordharzer Städtebund-Theaters Halberstadt/Quedlinburg
betonten in ihren Ausführungen denn auch, wie schwer es selbst
gutwillige Kommunalpolitiker haben, die finanziellen Zuschüsse
für ihre Theater zu sichern.
Viele Ideen gab es, die Außenwirkung der Chöre gemäß
dem Kongressmotto „Schaut her, wir sind’s!“ zu
verstärken. Kontakte zu Journalisten, Chorproben mit Publikum
und/oder Pressevertretern, Chorkonzert-Reihen im Spielplan waren
nur einige der erörterten Möglichkeiten. Dass kein chorinteressierter
und „chorfähiger“ Regisseur am Kongress teilnahm,
wurde als Mangel empfunden.
Die Umsetzung aller Anregungen, die sich in Halle konzentrierten
und konkretisierten, in den jeweiligen Opernhäusern, das wird
nun die langwierigere und schwierigere Aufgabe werden.
Irene Constantin
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