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Heldenpose und Opferperspektive
Deutsche Erstaufführung von „the CIVIL WarS“
in Freiburg · Von Andreas Hauff
Wer den großen Saal der Freiburger Stadthalle betritt, geht
über ein Minenfeld – kein echtes, sondern ein Folien-Imitat
der Initiative „medico international“, die damit auf
die heimtückischen Folgen eines Kriegs für die Zivilbevölkerung
aufmerksam macht. Ein wenig begibt sich auch das Theater Freiburg
durch die Eröffnung der Musiktheater-Saison mit der deutschen
Erstaufführung von Philip Glass’ Oper „the CIVIL
warS“ auf vermintes Gelände. Weniger der Musik wegen:
Schon die Horizont-Erweiterung spricht für das nahezu unbekannte
(und in Nachschlagewerken fehlende) Werk. Zudem ist die Freiburger
Generalmusikdirektorin Karen Kamensek eine ausgewiesene Glass-Spezialistin;
um das handwerkliche Niveau braucht man nicht zu fürchten.
Nein, heikel ist eher die Thematik. Die Oper ist der einzige vollendete
Baustein eines gewaltigen Projekts zu den Olympischen Spielen 1984
in Los Angeles. Der Regisseur Robert Wilson plante ein zwölfstündiges
multinationales Theater-Spektakel zum Thema Fortschritt und Menschheitsgeschichte.
Der Titel „the CIVIL warS“ steht nicht nur für
den tatsächlichen Bürgerkrieg, sondern meint in übertragenem
Sinne jedweden bürgerlichen Kampf um Zivilisation.
Gioacchino Lanza Tomasi, bei der Uraufführung 1984 künstlerischer
Leiter des Teatro dell’ Opera di Roma, hat seine Vorstellung
vom Inhalt durchaus nachvollziehbar und unanstößig beschrieben:
„Durch Konfrontation gelangen wir zum Fortschritt und durch
den Fortschritt zur Versöhnung.“ Glücklicherweise
betreiben Wilson, seine Ko-Librettistin Maita di Niscemi und der
Komponist zwar eine operntypische Überhöhung der Thematik
ins Mythische, aber keinen plakativen Heroenkult. Im Prolog und
Epilog tritt der antike Held Herkules auf. Er begegnet vor seinem
Tod zwei mythischen Figuren: der Schneeeule (Heidi Elisabeth Meier),
die bei verschiedenen indianischen Ethnien für die Göttin
des Todes steht, und der Erdenmutter (Sigrun Schell), die der Göttin
Gaia in der griechischen Mythologie entspricht.
Die Freiburger Inszenierung bringt die Figur des Herkules zusammen
mit einer seiner irdischen Inkarnationen: der des US-Präsidenten
Abraham Lincoln (Alex Sanmartí). Herkules’ Gattin Alkmene
wird von der Sängerin der Mrs. Lincoln (Annette Huber) übernommen,
die wir zuvor in verstörtem Zustand nach dem tödlichen
Attentat auf ihren Mann erlebt haben. Auch die beiden anderen Verkörperungen
des Heroischen sehen wir am Ende ihres Lebens. Der italienische
Freiheitskämpfer Giuseppe Garibaldi (Sung-Keun Park) reflektiert
voller Selbstzweifel die von ihm geführten Kämpfe. An
der Person des US-amerikanischen Südstaaten-Generals und Lincoln-Gegenspielers
Robert E. Lee (Boris Koneczny) gewahrt man den schmerzhaften Kontrast
zwischen persönlicher Ehrenhaftigkeit und fragwürdiger
politischer Sache. Mit diesen durchaus „gemischten“
Charakteren sind wir weit im 19. Jahrhundert.
Das Regie-Duo Sigrun Fritsch und Ralf Buron verzichtet auf vordergründige
Aktualisierung und belässt das Personal des Stückes in
der historischen Distanz. Und wenn eines der Mitglieder des mitwirkenden
Aktionstheaters PAN.OPTIKUM sich über eine Schaukel akrobatisch
in die Höhe versteigt, oder der erhöhte Garibaldi-Darsteller
sich langsam über Kleiderbündel vorwärts bewegt,
wird die Heldenpose ironisch unterlaufen. Auch Glass‘ Musik
klingt verblüffend stark nach 19. Jahrhundert, nach früherem
und mittlerem Verdi und Wagner – vor allem im Einsatz der
Hörner und Holzbläser, in der Garibaldi-Szene auch in
einem Verdi-nahen Gesangstonfall, und in einer häufig erklingenden,
chromatisch eingefärbten Akkordfolge, die sich durchaus in
der Funktionstonalität bewegt.
Das Philharmonische Orchester Freiburg realisiert unter GMD Kamensek
die Partitur mit bewundernswerter Ausdauer und Prägnanz. Wie
sich in den ellenlangen Tonrepetitionen eine fast mechanische Exaktheit
mit einer warmen, menschlichen Klangfärbung mischt, ist beeindruckend.
Ebenso wie dem (aus verschiedenen Quellen kompilierten und stark
assoziativ angelegten) Libretto fehlt es der Musik naturgemäß
an Entwicklung und Stringenz; beide sind eher darauf angelegt, dem
Zuhörer und Zuschauer (und auch dem Regisseur) Raum für
eigene Wahrnehmungen, Assoziationen, Gedanken und Bilder zu geben.
Fritsch und Buron, zuständig auch für die Ausstattung
und die Projektion von Videos, hüten sich vor visueller Überfrachtung
und richten den Blick der Zuschauer immer wieder auf die souverän
agierenden Darsteller, die sie oft über die Seiten und Emporen
des Saales führen, aber auch im Parterre inmitten des Publikums
auftreten lassen.
Eine wichtige Funktion übernehmen hier die Sängerinnen
und Sänger des Chors und Extrachors am Freiburger Theater (für
die Einstudierung zeichnet Bernhard Monacado, für die Chor-Regie
Sabine Noll). Als Chor – nach dem Vorbild der griechischen
Tragödie Repräsentant der Öffentlichkeit –
spielen sie sichtlich eine Doppelrolle. Sie sind einerseits Agitierte:
Menschen, die sich von den Heroen anziehen lassen, sie bewundern
und tragen. Andererseits sind sie Agenten und Akteure der großen
Leitfiguren, bahnen diesen den Weg und bringen die durch das Publikum
repräsentierte große Masse in Position. Mit beachtlicher
Präzision und Spannkraft singen die Choristinnen und Choristen
nicht nur die vorgeschriebenen Repetitionsfolgen, sondern schieben
auch gleichzeitig (mit professionellem Tempo und offizieller Miene)
die auf fahrbaren Bänken sitzenden Zuschauer in immer neue
Gruppierungen und Kombinationen. Wie im Luftschutzkeller, im Kriegsgefangenenlager
oder auf dem Flüchtlingsboot findet man sich da auf einmal
Menschen gegenüber, die man zuvor nie gesehen hat. Da ist sie
wieder, die Opferperspektive, von der auch schon das Minenfeld am
Eingang kündet.
Andreas Hauff
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