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Neues aus Mitteldeutschland
Premieren von „Broucek“, „Tristan“ und
„Evangelimann“ · Von Werner Wolf
Gegen die unentwegten Debatten über fehlendes Geld für
die Kunst gilt es vor allem Leistungen vorzuweisen. Drei mitteldeutsche
Theater taten es jetzt: Altenburg-Gera mit Leos Janáceks
„Ausflügen des Herrn Broucek“, das in den letzten
Jahrzehnten gegenüber Richard Wagner zurückhaltende Opernhaus
Halle mit „Tristan und Isolde“ und die Chemnitzer Oper
mit Wilhelm Kienzls einst von den Groß- und Urgroßeltern
geliebtem „Evangelimann“.
Nach Erich Wolfgang Korngolds „Toter Stadt“ und Alexander
Zemlinskys „Florentinischer Tragödie“ in den vorangegangenen
Spielzeiten zeigte sich das Ensemble Altenburg-Gera gut für
Janáceks hintersinnig-komödiantische Oper eingestellt.
Der Chefdirigent Gabriel Feltz erfasst mit dem Philharmonischen
Orchester die Musik Janáceks in all ihrem Reichtum an Gestalten
und Klängen und führt auch die Sänger überlegen.
Die Damen und Herren des Chores sowie Studenten der Musikhochschulen
Weimar und Leipzig machen den Oberen beider Städte und ihres
Umlands, die meinten, das könnten auch Laienchöre singen,
begreiflich, wozu die Theater Berufschöre brauchen und was
diese zu leisten haben. Als Regisseur holte sich das Theater wie
schon bei der „Toten Stadt“ den Leipziger Hochschulprofessor
Matthias Oldag. Der gestaltet die Szene ideenreich, ohne das Werk
auf den Kopf zu stellen. Auf der Grundlage von Werner Schneyders
Einrichtung schuf Altenburg-Gera eine eigene deutsche Textfassung.
Andreas Conrad verkörpert den Broucek darstellerisch beweglich
und bewältigt den anspruchsvollen Gesangspart überzeugend.
Auf der Höhe ihrer Aufgaben agieren und singen auch Udo Scheinpflug
als launiger Künstler Mazal, Sternenfried und Peter, Gerlinde
Illlich als temperamentvolle Málinka, Etherea und Kunka,
Bernhard Hänsch als Veitsdom-Sakristan, Mondsakristan und Domsik
von der Glocke, Teruhiko Komori als Gastwirt Würfl, Theaterdirektor
und Schöffe und weitere Ensemblemitglieder. Das Premierenpublikum
in Gera reagierte schon während der Vorstellung vergnügt
und dankte seinem Theater mit lebhaftem Beifall.
Mit „Tristan und Isolde“ wendet sich das auf Georg
Friedrich Händel als großen Sohn der Stadt konzentrierte
Opernhaus Halle unter seinem neuen Chefdirigenten Klaus Weise dem
in den letzten Jahrzehnten stiefmütterlich behandelten Richard
Wagner zu. Folgen der Wagner-Abstinenz waren anfangs auch in der
hier besprochenen dritten Vorstellung im anfangs noch spröden
Klang zu hören. Doch im Laufe des Abends gewinnt das Orchester
unter Weises Direktion Eindringlichkeit und Farbigkeit. Gespannt
wurde der an Erfolgen reiche Wagner-Tenor René Kollo als
Regisseur erwartet. Er nutzt seine reichen Bühnenerfahrungen
und führt die Sängerdarsteller behutsam. Dabei legt er
viel Wert darauf, das innere Geschehen der Gestalten aus der Musik
heraus erleben zu lassen. Eine vermeintlich neue Einsicht von der
ständigen Überwachung des Paares wirkt vor allem auf die
Dauer langweilend, wenn da auf beiden Bühnenseiten in Halbdunkel
gehüllte Gestalten sitzen und nur ganz gelegentlich mal die
Hälse recken oder plötzlich aufstehen. Um die Hallenser
Opernbesucher nicht über vier Stunden hinaus zu beanspruchen,
eliminierten die Inszenatoren neben anderen Kürzungen im dritten
Akt den Auftritt Markes samt Gefolge. So beginnt nach Tristans Tod
Isolde sogleich mit ihrem Schlussgesang. Nicht nur damit, sondern
insgesamt beeindruckte die beherrscht und seelenvoll singende Kirsi
Tiihonen nachdrücklich. Neben ihr hat es Graham Sanders als
Tristan nicht leicht. Doch entgegen scharfen Verrissen in mehreren
Premieren-Besprechungen behauptete er sich in der dritten Vorstellung
Achtung gebietend. Der Chor, im ersten Aufzug neugierig in Isoldes
Schiffsgemach lugend, bewältigt seine nicht übermäßigen
Aufgaben sicher.
Beifallsfreudig wurde in Chemnitz Wilhelm Kienzls „Evangelimann“
aufgenommen. Ob diese um und nach 1900 beliebte Oper sich im heutigen
Repertoire wird behaupten können, bleibt zu bezweifeln. Wer
die Geschichte um den auf Grund falscher Anschuldigungen lange inhaftierten
und sodann als sanftmütiger Evangeliumsprediger zurückkehrenden
Amtsschreiber Matthias Freudhofer (Edward Randall) so naiv aufnimmt,
wie sie Kienzl in Worte und Töne gefasst hat, wird sagen: Es
wäre wunderbar, wenn in der heutigen Welt so viel Gnade und
Verzeihung geübt würden. Die eingängige Musik klingt
schön und farbig, aber außer der ganz und gar empfindsamen
Seligpreisung, die der Evangelimann auch noch mit Kindern einübt,
bleibt von der Musik wenig haften. Für die Inszenierung holte
das Theater seinen einstigen Regisseur und jetzigen Rostocker Opernchef
Steffen Piontek. Im ersten Akt mit Meistersinger-Anleihen führt
er in der anheimelnden Ausstattung Mike Hahnes mit dem Ensemble
und dem von Matthias Böhm vorbereiteten, spielfreudigen Chor
naiv-komisches, auch spießerhaftes Dorfleben mit kleinen Freuden
und Späßen ironisch vor. Das völlig andere Geschehen
mit dem Auftritt des Evangelimannes nimmt er absolut ernst. Soll
das Stück nicht zur Farce entarten, geht das wohl auch nicht
anders. Neben Edward Randall zeichnet sich vor allem Dietrich Greve
in der Partie von Freuhofers erst intrigant-gewissenlosen und dann
vom Gewissen geplagten Bruder Johannes aus. Eckehard Stier führt
Ensemble, Chor und die Robert-Schumann-Philharmonie sicher.
Werner Wolf
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