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Brenn-Punkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester
Dresden und das Elbtal
Neben dem sächsischen Kronjuwel, der Dresdner Semper-Oper,
spielen im weiten „mittelsächsischen Elbtal“ drei
weitere Bühnen Musiktheater: Das fusionierte Mittelsächsische
Theater Freiberg/Döbeln, die Landesbühnen Sachsen mit
Sitz in Radebeul und die Staatsoperette Dresden, die ungeachtet
ihres Namens ein städtisches Theater ist. „Staatstheater“,
nämlich vom Freistaat Sachsen betrieben, sind nur die Landesbühnen.
Veranlasst vom wirtschaftlichen Druck, unter dem nicht nur die
drei genannten Bühnen stehen, und in der traurigen Erkenntnis,
dass weitere Sparmaßnahmen wie Personalabbau und Haustarifverträge
die künstlerische Leistungskraft der Theater zu gefährden
drohten, und im politischen Eingeständnis, dass mit einem
Ende der desolaten Haushaltslage des Landes und der Kommunen
in absehbarer
Zeit nicht zu rechnen sei, hatte Sachsens Kunstminister Matthias
Rößler eine vom Chemnitzer Generalintendanten Rolf
Stiska geleitete Theater- und Orchesterstrukturkommission
eingesetzt, die
Lösungsvorschläge erarbeiten sollte. Natürlich waren
deren Prüfungsobjekte nicht nur die drei Musiktheater, sondern
auch das von der Landshauptstadt Dresden betriebene (Schauspiel-)“Theater
Junge Generation“, die „Neue Elblandphilharmonie“
in Riesa, ein sechzigköpfiges Konzertorchester, und vor allem
das vom früheren Wuppertaler Intendanten Holk Feytag geleitete
„Staatsschauspiel Dresden“, das, anders als die „Staatsoperette“,
tatsächlich den Freistaat als Rechtsträger hat. Das
Staatsschauspiel ist, nicht erst seit der Hochwasserkatastrophe,
das eigentliche
Sorgenkind des Kunstministers. Obwohl es – verglichen mit
anderen landeshauptstädtischen Schauspielhäusern –
ein „kleines“, gerade mal 793 Plätze zählendes
Haus ist und obwohl seine zweite Spielstätte, das „Kleine
Haus des Staatsschauspiels“ in der Dresdner Neustadt, seit
1998 wegen Rekonstruktionsarbeiten geschlossen ist (interimistisch
wird das Schloßtheater mit rund 200 Plätzen genutzt),
erzielt es nur eine Durchschnittsauslastung zwischen 50 und 60
Prozent.
Anfang November stellte die Kommission ihre Prüfungsergebnisse
und Neuordnungsvorschläge vor, an denen zumindest eines bemerkenswert
ist: Stiska ist es offenbar gelungen, Freistaat und Landeshauptstadt,
Kulturkreise, Kreistage und die Städte Döbeln und Freiberg
unter einen Hut zu bekommen.
Der Vorschlag für Dresden: Unter dem Arbeitstitel „Städtische
Bühnen Dresden“ fusionieren in neuer Betriebsstruktur
(GmbH?) die Staatsoperette, das Staatsschauspiel und das Theater
Junge Generation, wobei Letzteres seinen Spielort in Briesnitz beibehält,
die Staatsoperette sozusagen als Hauptmieter ins Staatsschauspiel
einzieht, das allerdings noch mit einem Orchestergraben versehen
werden muss. Vorteile: Synergie- und Spareffekte durch Zusammenlegung;
Sicherung der Staatsoperette, ohne dass Dresden den fälligen
Neubau bezahlen muss; sinnvolle Nutzung der beiden Häuser des
bisherigen Staatsschauspiels. Belastung: Freistaat und Stadt müssten
den Bau eines „Funktionsgebäudes“ für gemeinsame
Probebühnen und Werkstätten in unmittelbarer Nähe
des Staatsschauspiels finanzieren. Kritische Einwände: Statt
nach bewährtem „Stuttgarter Modell“ einem Geschäftsführenden
Verwaltungsdirektor je einen Intendanten für Operette, Schauspiel
und Junge Generation „beizuordnen“, will Kunstminister
Rößler einen „Generalintendanten“ für
die drei Theater installieren. Wenn der dann auch noch Holk Freytag
heißen sollte, ist nach Wuppertaler und Eisenach-Meininger
Erfahrungen das Scheitern vorprogrammiert. Zumal der künftig
für die Staatsoperette im Staatsschauspiel zuständige
künstlerische Leiter, ob er will oder nicht, allein schon des
Spielplans wegen sich mit der beinahe nebenan gelegenen Staatsoper
verständigen muss.
Der Vorschlag für Döbeln, Freiberg, Radebeul: Die beiden
Theater, das Mittelsächsische und die Landesbühnen, sollen
unter Beibehaltung ihrer Produktions-, Spiel- und Abstecherorte
zu einer GmbH zusammengelegt werden, wobei auch eine Fusion der
beiden Opernchöre und Orchester vorgeschlagen wird.
erechnungsgrundlage der Kommission ist, dass die Zahl der Beschäftigten
von derzeit 180 in Freiberg/Döbeln und von 307 in Radebeul
bis etwa zum Jahr 2010 „unter Berücksichtigung künstlerischer
und sozialverträglicher Gesichtspunkte“ auf rund 380
reduziert wird. Vorteil: Eine sichere Zukunftsperspektive für
beide Theater. Kritischer Einwand: Das Funktionieren dieser Fusion
setzt logistische Meisterleistungen voraus, nicht nur im Hinblick
auf die Verkehrsverhältnisse im Dreieck Döbeln –
Radebeul – Freiberg, sondern auch im Hinblick auf die Zusammenführung
der künstlerischen Ensembles und ihres Publikums.
Kunstminister Rößler und Dresdens Kulturbürgermeister
Lutz Vogel machten sich jedenfalls die Empfehlungen der Stiska-Kommission
zu eigen und kündigten an, sie jetzt zu präzisieren und
auf die demokratischen Entscheidungswege zu bringen. Ihr ehrgeiziges
Ziel: Schon zur Spielzeit 2005/06 soll die konkrete Umsetzung beginnen.
Düsseldorf – Duisburg
Die „Deutsche Oper am Rhein“, in Theatergemeinschaft
der Städte Düsseldorf und Duisburg betrieben, wird nach
bereits erfolgten Beschlüssen der Räte beider Städte
in eine gemeinnützige GmbH umgewandelt. „Durch die Änderung
der Rechtsform“, heißt es im Gesellschaftsvertrag, sollen
„bei nur beschränkt zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen
Mitteln“ die künstlerische Leistungsfähigkeit erhalten,
die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert, Möglichkeiten
zur Aufnahme weitere Gesellschafter geschaffen und insbesondere
Entscheidungsstrukturen gestrafft werden.
Die Gesellschaft, deren Stammkapital von 50.000 Euro neben den beiden
Städten mit 5.000 Euro auch der „Freundeskreis der DOR“
hält, wird von zwei gleichberechtigten Geschäftsführern
(Generalintendant und Geschäftsführender Direktor) geleitet;
dem 22-köpfigen Aufsichtsrat gehören zwei Mitglieder des
Betriebsrates an. Die ordnungsgemäßen Personalüberleitungen
nach den Betriebsübergangsvorschriften des § 613a BGB
werden derzeit vorbereitet (zum Betriebsübergang: vgl. O&T,
Ausgabe 5/02, S. 30).
Besorgniserregend sind die der künstlerischen Bedeutung der
Deutschen Oper am Rhein völlig unangemessenen Einsparungs-Strukturmaßnahmen,
die – unabhängig von der Rechtsformänderung –
angesichts der wirtschaftlichen Notlage der beiden Städte und
des Landes Nordrhein-Westfalen gefordert sind. Sie sehen innerhalb
der Spielzeiten 2003/04 bis 2005/06 Personalabbau in allen Sparten
und Gewerken vor, so die Verkleinerung des Opernchores von 72 auf
60 Stellen, Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich in allen
technischen Abteilungen – mit dem zwangsläufigen Resultat,
dass auch die Anzahl der Vorstellungen empfindlich reduziert werden
muss.
Eisenach – Meiningen
Eher ist ein Thüringer Kloß bis auf seinen Kern aus
geröstetem Weißbrot zu durchschauen als der Ablauf der
Kooperation zwischen den Theatern in Eisenach und Meiningen (vgl.
O&T Ausgabe
4/03, S. 6 und 5/06,
S. 6).
Nachdem die Stadt Eisenach, wie im Kooperationsvertrag vorgesehen,
ihrem Opernchor und einigen Solisten die Nichtverlängerung
zum Ende der Spielzeit 2003/04, neun Orchestermusikern die Kündigung
ausgesprochen hatte, wagte es der seit Oktober 2003 auch in Eisenach
amtierende Meininger Intendant Res Bosshart, sieben Mitgliedern
des zehnköpfigen Tanzensembles und drei weiteren Gesangssolisten
ihre Nichtverlängerung mitzuteilen. Seine Begründung:
Er habe sein Meininger Ballett komplett aufgelöst, da er zur
Spielzeit 2004/05 eine neue „Eisenach-Meininger“ Compagnie
aufbauen wolle, also könne er auch die Eisenacher Tänzer
nicht übernehmen. Unter Hinweis darauf, dass der Kooperationsvertrag
weder vom Aufsichtsrat der GmbH noch vom Stadtrat gebilligt, geschweige
denn unterschrieben sei, machte der Aufsichtsrat diese Nichtverlängerungen
rückgängig. Worauf Intendant Bosshart es ablehnte, die
Doppelintendanz zu übernehmen: Vertragswidrig lasse man ihm
in künstlerischen Fragen keine freie Hand.
Aufsichtsrat und Nicht-mehr-Doppelintendant blafften sich öffentlich
an. Dennoch will Eisenachs Oberbürgermeister Gerhard Schneider
am Kooperationsplan festhalten und den Vertrag Ende November dem
Stadtrat vorlegen. Die Fragen, ob diese Kooperation mehr ist als
die Besiegelung des langsamen Sterbens des Theaters und der Landeskapelle
Eisenach, auf welchen Rechtsgrundlagen denn die zu Beginn der Spielzeit
ausgesprochenen Kündigungen und Nichtverlängerungen erfolgt
sind und ob man in einem Rechts- und Sozialstaat derart mit Menschen
umgehen darf, bleiben unbeantwortet.
Oldenburg
Den Protesten der Theatermacher und der Theaterbesucher sowie
dem Verhandlungsgeschick des Generalintendanten Rainer Mennicken
ist es zu verdanken, dass die vorgesehenen Etatkürzungen für
das Staatstheater nicht im Wirtschaftsjahr 2004 vollständig,
sondern auf zwei Jahre gestreckt umgesetzt werden müssen; ferner
übernimmt das Land Niedersachsen die tarifliche Personalkostensteigerung
für 2004. Die Absenkung der Betriebskostenzuschüsse beläuft
sich auf 347.000 Euro, davon auf 260.000 Euro seitens des Landes.
Berlin
Viel Lärm um wenig Neues, wäre zusammenfassend zu sagen.
Der Entwurf des Gesetzes über die „Stiftung Oper in Berlin“
ist vom Senat verabschiedet und zur parlamentarischen Behandlung
in des Abgeordnetenhaus eingebracht worden (vgl. hierzu O&T,
Ausgabe 5/03, S. 6). Nachdem die Regierungsfraktionen von SPD und
PDS nach internen Beratungen Zustimmung signalisiert haben, müsste
schon Unerwartetes geschehen, um die Beschlussempfehlung im Kulturausschuss
am 8. Dezember, die Verabschiedung des Gesetzes durch das Plenum
am 11. Dezember noch zu verhindern.
Der Gesetzentwurf ist in wichtigen Punkten, auch im Sinne der Forderungen
der VdO zwar nachgebessert worden, enthält aber noch immer
im Hinblick auf die Wahrung der Rechte der Beschäftigten einige
gravierende Unklarheiten und Lücken: Sind die Regeln des Betriebsübergangs
tatsächlich nicht anzuwenden? Umfasst die unbestreitbare Gesamtrechtsnachfolge
der Stiftung auch die dynamische Weitergeltung der jetzt gültigen
Tarifverträge? Bleibt oder wird die Stiftung Mitglied des Arbeitgeberverbandes
Deutscher Bühnenverein? Die VdO hat die Abgeordnetenhaus-Fraktionen
nochmals ersucht, nicht zuletzt im Interesse der Rechtssicherheit
hier Klarheit zu schaffen.
Ungehört, ist zu befürchten, wird dieses Ersuchen bei
den Fraktionen der CDU und der FDP bleiben. Beide hängen an
ihrer von Richard von Weizsäcker und Daniel Barenboim erträumten
Vorstellung von dem Wiedererstehen des Forum Fridericianum mit einer
vom Bund direkt betriebenen oder über die Stiftung Preußischer
Kulturbesitz vom Bund finanzierten, jedenfalls eigenständigen
Staatsoper Unter den Linden. Da mochte Kulturstaatsministerin Christina
Weiss noch so deutlich darauf hinweisen, dass der Bund seine Finanzierungszusage
zurückziehen werde, löse man die Lindenoper aus dem Stiftungsverbund
heraus, mochte sie sogar mit dem Satz „Die Bundesrepublik
braucht keine Hofoper“ polemisch werden – CDU und FDP
ließen sich nicht davon abhalten, entsprechende Gesetzentwürfe
in den Deutschen Bundestag und in das Berliner Abgeordnetenhaus
einzubringen. Da liegen sie denn nun.
Im derzeitigen Zustand des deutschen Gemeinwesens, da keine noch
so verkehrte Frontstellung mehr überrascht, muss dennoch die
Frage erlaubt sein, warum ausgerechnet die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
ver.di sich begeistert zur „Hofoper“ bekannte und den
Vorstoß von CDU und FDP wärmstens begrüßte?
Schlimme Folge der nun schon Jahre währenden Hängepartie
zur Berliner Opernstrukturreform ist es, dass der Intendant der
Komischen Oper Berlin sich genötigt glaubte, das Ballettensemble
seines Hauses zum Ende der Spielzeit 2003/04 komplett auflösen
zu müssen. Als dies bekannt wurde, forderte der Vorsitzende
des VdO-Landesverbandes Bayern und des Personalrates der Bayerischen
Staatsoper, Stefan Moser, Intendant Andreas Homoki auf, seine Entscheidung
zu revidieren. Den Antwortbrief Andreas Homokis drucken wir –
auszugsweise – deshalb ab, weil er die zwanghaften Situationen
beschreibt, in die die Kunst durch die Kunstpolitik geraten kann
– und weil er einen Blick hinter die Kulissen der Berliner
Opernstrukturreform gewährt.
(Brief vom 17. Oktober 2003 an Stefan Moser; s.
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