|
Neues Stuttgarter Opernlabor
Forum Neues Musiktheater mit „Im Spiegel wohnen“
· Von Andreas Hauff
Mit Andreas Breitscheids Musiktheater „Im Spiegel wohnen“
nach „Bildbeschreibung“ von Heiner Müller eröffnet
die Staatsoper Stuttgart ihr „Forum Neues Musiktheater“.
Wer von auswärts zur Vorstellung anreist, findet das Gebäude,
einen ehemaligen Pferdestall, etwas verlassen in der hintersten
Ecke eines früheren Kasernengeländes über dem westlichen
Neckarufer von Bad Cannstatt. Dass man in unmittelbarer Nähe
auf dem Gelände des so genannten Römerkastells erst einmal
eine große, gut ausgeleuchtete Videothek passieren muss, ist
wahrscheinlich Zufall, aber dennoch bezeichnend. Mit dem Forum Neues
Musiktheater sucht man ja in Stuttgart gerade nach Formen zeitgemäßen
Musiktheaters für das Medienzeitalter. Klaus Zehelein, Stuttgarts
Intendant, hat Recht mit seiner Diagnose, dass die herkömmliche
Institution Opernhaus durch ihre klare Raumkonzeption, ihren gewaltigen
Apparat und ihre starke Tradition Komponisten heute kaum eine Chance
lässt, sie von innen heraus zu überwinden. Das Forum Neues
Musiktheater soll dem abhelfen. Es soll unter der Leitung des Komponisten
und langjährigen künstlerischen Mitarbeiters der Stuttgarter
Intendanz Andreas Breitscheid einen kreativen Freiraum bieten, ein
Entwicklungslabor heutigen Musiktheaters werden und dabei neue Medien
nicht additiv oder dekorativ, sondern konstitutiv einsetzen. Das
Projekt wurde gefördert durch die Landesstiftung Baden-Württemberg,
die Landesbank Baden-Württemberg, das Programm „Kultur
2000“ der Europäischen Kommission und den Betreiber und
Investor des Römerkastells. Es hat eine Bestandsgarantie bis
zur Spielzeit 2005/2006 und kooperiert unter anderem mit dem ZKM
in Karlsruhe, dem IRCAM in Paris und dem STEIM (Studio for Electro-Instrumente)
in Amsterdam; von dort kam eine spezielle Audio-Software, die den
Zugriff auf den Klang in Echtzeit ermöglicht.
Zum Eröffnungsprojekt kommt der Zuschauer in eine schlichte
Halle mit einer mobilen Haupttribüne und zwei kleinen Seitentribünen;
diese bilden drei Seiten eines Rechtecks, in dessen vier Ecken vier
Instrumentalisten sitzen. Über die Musik ist in der Vorankündigung
zu lesen, sie unternehme den Versuch, „den nicht dramatischen
Text in einen szenisch-musikalischen Kontext einzubinden.“
Breitscheid untersuche die Möglichkeiten der Raumerkundung
und Darstellungsformen mit neuen Medien. „Klänge werden
verschoben, manipuliert und transformiert. Sie wandern nicht nur
elektro-akustisch durch den Raum, sondern werden im Moment der Klangerzeugung
bereits verändert, verschoben und unterdrückt.“
Wirklich eingelöst wird dieses Programm, soweit man hören
und sehen kann, allerdings nur zum Teil. Die vier Instrumentalisten
bleiben zumeist brav an ihrem Platz, der Klang wandert zwischen
ihnen hin und her und sie lassen es dabei nach guter alter Avantgarde-Tradition
knattern und kratzen, wimmern und zischen, orgeln und gurgeln. Dazu
gibt es Überblendungen, Echo- und Nachhallwirkungen, die vor
allem bei der nach einer Weile hinzutretenden Mezzo-Sopranistin
Lani Poulson reizvoll wirken, ohne dass man sich über Ausdruck
und Bedeutung dieser Klangwirkungen so recht im Klaren wäre.
"Bildbeschreibung“ von Heiner Müller, 1984 entstanden
und 1985 beim Steirischen Herbst uraufgeführt, ist ein schwieriger
Text. „Eine Landschaft zwischen Steppe und Savanne“,
beginnt die Beschreibung eines fiktiven Bildes, die sich assoziativ
fortspinnt, dabei verschiedene Szenen, Gegenstände und Menschen
ins Spiel bringt und sich zusehends auf eine gewalttätige,
tödlich endende Beziehungsgeschichte zwischen einem Mann und
einer Frau zuspitzt. Scheinbar harmlos beginnend zeigt „Bildbeschreibung“
immer stärker albtraumhafte Züge und zieht das lyrische
Ich immer mehr in die beschriebenen Szenarien hinein. Am Ende steht
die Deu tung des Bildes als Spiegel.
Breitscheid entnimmt zwar dieser Schlusspassage den Titel seiner
Musiktheater-Produktion; die dorthin führende Dynamik des Textes
will er indessen nicht wahrhaben; er kann keine Finallogik erkennen.
„Es geht nicht um die Vertonung des Textes“, so formuliert
Klaus Zehelein in Juliane Votterles zum Verständnis sehr hilfreichem
Programmheft die Intention, „sondern darum, die Möglichkeiten
zu erforschen, die es heutzutage gibt, um einen Text mit Musik in
einen neuen Zusammenhang zu bringen!“
Heiner Müllers Text aber ist zu stark, um bloß als Spielmaterial
für formale Experimente zu dienen. Regisseur Jean Jourdheuil
und sein Partner Mark Lammert (Raum- und Filmkonzeption, Kostüme)
scheinen dies zu spüren. Sie setzen auf Ausdruck: Verschiedene
Darsteller schreiten bedeutungsvoll durch den Raum. Alle führen
mit großer Geste die anscheinend existentielle Bedeutung ihrer
Aktionen vor Auge, eine altbackene Pathosformel jagt die andere.
Dazwischen kommt auch die der Haupttribüne gegenüber liegende
Plattform zum Einsatz; wenn sie nicht gerade waagerecht von Darstellern
benutzt wird, wird sie des öfteren ganz mechanisch (!) von
Hand in die Senkrechte heruntergekurbelt. Die eine Seite zeigt dann
dem Publikum mehrmals anscheinend bedeutungsvoll den Spiegel, auf
der anderen erscheinen bisweilen Video-Projektionen. Die Bebilderung
erscheint keineswegs zwingend, sondern ziemlich willkürlich.
Mit wachsender Beklemmung erlebt so der Beobachter, wie Phantasie
und Engagement in szenisch-musikalische Langeweile umschlagen. Allzu
halbherzig schwanken Breitscheid und sein Team hin und her zwischen
Kunst und Handwerk, zwischen Aussage und Spiel, zwischen Opernhaus
und Laboratorium. Über den zukünftigen Erfolg der Institution
Forum Neues Musiktheater ist damit noch nichts gesagt: Die weiteren
Projekte der Spielzeit sind „Infinito Nero“ von Salvatore
Sciarrino und „Voyeur“ von Jörg Mainka.
Andreas Hauff
|