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Otello auf dem Luxus-Dampfer
Neue Opern-DVDs bei Warner, Deutsche Grammophon und Arthaus
Drei Jahre ist es nun her, dass die DVD begann, die Wohnzimmer
von Klassik-Freaks zu erobern – bis heute eine unaufhaltsame
Erfolgs-Story. Und obwohl mittlerweile viele Labels Opern-Videos
auf DVD veröffentlichen, behauptet Arthaus eine Sonderstellung:
Als erste Firma brachte Arthaus kontinuierlich Opern-Videos auf
den Markt, im Vergleich zur Konkurrenz finden sich hier noch immer
die spannendsten, gewagtesten Produktionen.
Dennoch: Selbst mit den neuen technischen Möglichkeiten der
Video-DVD entdeckt man sie nicht allzu oft: die magischen Momente,
wenn durch Töne die Zeit stillsteht. In der Aufzeichnung von
Erich Wolfgang Korngolds „Die Tote Stadt“ aus der Straßburger
Opéra National du rhin (Arthaus 100 342) ist einer zu finden.
Das Frage-Antwort-Spiel in der Vision im ersten Akt gerät so
innig, dass der Zuseher sich und seine Umwelt schlichtweg vergisst:
Angela Denoke singt die Marie äußerst kultiviert, gibt
nie die Parodie des Vorstadt-Flittchens. Selbst in der Höhe
und im Piano scheint es, als würden sich ihre Töne in
einem warmen, silbrigen Strahl ergießen. Torsten Kerl setzt
als neurotischer Pantoffelheld Frank eher auf brennenden Charaktergesang
und Identifikation. Da fällt die Gewöhnung an sein etwas
intensives Vibrato nicht schwer. Beide drücken nie auf die
Tränendrüse. Man erlebt keine Sänger, sondern Opernfiguren,
die vom Dirigenten Jan Latham-Koenig mit gefühlvoller Vehemenz
über weite, freie Entwicklungsbögen getragen werden. Inga
Levants Inszenierung zitiert die Monroe-Szene über dem U-Bahn-Schacht
und spielt in Kleinstadt-Trümmern, wo sich Menschen in ihre
Fantasien und Sehnsüchte flüchten.
Keine Frage: Geht es um Entdeckungen auf den Seitenstraßen
des internationalen Opernbetriebs, dann hat Arthaus im Vergleich
zu seinen Konkurrenten klar die Nase vorn. Dahingegen spezialisieren
sich die großen Plattenfirmen mehr und mehr auf Wiederveröffentlichungen,
die bereits im analogen VHS-Format Klassiker waren. So etwa Warner
Vision mit einer gerade erschienen siebenteiligen Reihe, aus der
Brittens „Peter Grimes“ mit Jon Vickers in der Titelpartie
besondere Beachtung verdient (Warner 0630-16913-2). Und man glaubt
es kaum: Als dieses Video im Covent Garden aufgezeichnet wurde,
war Vickers bereits 55. Wie intensiv und menschlich er damals Brittens
verschrobenen „Misfit“ Grimes sang, lässt Kollegen,
die 20 Jahre jünger sind, vor Neid erblassen – bis heute.
Die Produktion bot aber auch alles, was Vickers benötigte:
mit Sir Colin Davies einen Dirigenten, bei dem sich Energie und
Sensibilität nicht ausschließen, und mit Elijah Moshinskys
Inszenierung ein stimmiges Sittenbild.
Schauplatzwechsel nach Jerusalem um 1100: Kreuzritter schlürfen
Cocktails in der Hotel-Lobby. Zwischen rosa Wänden räkelt
sich ein lüsterner Vamp. Vor dem Fenster blinkt die Leuchtreklame:
„Gerusalemme liberata“. Bei Regisseur David Alden wird
Händels „Rinaldo“ (Arthaus 100 388) zur Musical-Revue
im Comic-Format – keinen Moment lang verbissen oder zwanghaft
oppositionell. Natürlich waren die Kreuzzüge alles andere
denn ein Honiglecken, das weiß auch Alden: Alle Figuren haben
differenziertes, klischeefreies Profil. Dass es einem so leger vermittelt
wird, macht den besonderen Charme der Inszenierung aus.
Manchmal ist die Aufführung im Münchner Prinzregententheater
geradezu perfekt. Immer dann nämlich, wenn David Daniels auftritt
– Rinaldo im blauen Trenchcoat: cool wie Bogart in „Casablanca“,
virtuos wie Marilyn Horne in „Orlando Furioso“. Seine
Koloraturen haben Richtung, sind frei geatmet. Selbst im Feuerwerk
von „Or la tromba“ bleibt die Stimme warm, voll und
geschmeidig. Da haben es die Kollegen schwer, positiv aufzufallen.
Am besten gelingt es David Walker als Goffredo, ein robuster Charakter-Counter,
und Deborah York als Mauerblümchen Almirena mit strahlenden
Fiorituren. Ein weiteres Plus der Silberscheibe ist die zusätzliche
Dokumentation „Händel, the Entertainer“, die wesentlich
mehr bietet als das mittlerweile gängige Schema „der
Komponist, die Figuren und ihre Charaktere“.
Auf dem bislang aktuellsten Video mit Verdis „Otello“
(Arthaus 100 346) fielen die Extras wohl dem Sparstift zum Opfer.
Oder die Produktmanager von Arthaus dachten, die Inszenierung von
Regisseur Jürgen Flimm und seinem Bühnenbildner George
Tsypin biete ohnedies so viel fürs Auge, dass man aus dem Schauen
kaum noch herauskommt: In der Berliner Staatsoper unter den Linden
verlagern die beiden die Handlung auf ein Schiff. Ein schlüssiger
Ansatz, denn sicherlich ist das Protagonisten-Trio aufeinander geworfen,
ohne Möglichkeit zu entkommen. Doch die emotionalen Botschaften
der Oper rücken in weite Ferne: Die durchgestylte Bühne
mit viel Glas, Treppen und Podesten lässt einen ziemlich kalt.
Zudem erlebt man eine Kombination aus Rampenästhetik und ständigem
Hin und Her, bei dem mir nicht klar wurde, worin die Verbindung
zum Stück besteht – ein Luxusdampfer ins Nirgendwo.
Daniel Barenboim kann das Ruder immer dann an sich reißen,
wenn er in wenigen Takten mit feinen Schattierungen eine Atmosphäre
entwirft wie etwa im Liebesduett oder im Vorspiel zum dritten Akt.
Und die übrigen Seiten des Stück? Nichts gegen die Klangkultur
der Staatskapelle –, aber das Drängen und Brausen von
Arturo Toscanini, Tullio Serafin oder Fritz Busch fehlt doch an
etlichen Stellen.
Der Otello von Christian Franz ist eine seltsame Mischung aus
baritonalen, zeitweise gestemmten Tönen und zarten Lyrismen
– oft glaubt man, zwei verschiedene Stimmen zu hören.
Emily Magee ist für mein Gefühl zu leicht besetzt: Desdemona,
einmal mehr das unschuldige Opfer und weniger die starke, emanzipierte
Frau. Enttäuschte Verdi-Fans sollten Valeri Alexejev eine Chance
geben: Jago als optisch und akustisch wendiger Schreibtisch-Täter.
Wesentlich besser als der „Otello“ glückte Flimms
„Fidelio“ an der New Yorker Met – auch in Bezug
auf die Sänger (Deutsche Grammophon 073 052-9): Leonore in
Alcatraz – reduziert auf eine Schlagzeile – ließe
sich die Produktion so zusammenfassen. Sicher, die Inszenierung
zählt zu Flimms schlüssigsten Arbeiten der letzten Jahre
und auch das Ensemble bietet hervorragende Augenblicke. Doch die
überwältigendste Stimme hat James Levine: Was er seinem
Orchester an Präzision, Lebendigkeit und Nachdruck abverlangt
und bekommt, das lässt einen vom ersten Moment an nicht los.
Oliver Wazola
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