Der erste nennenswerte Komponist Islands war Jón Leifs ( Jahrgang 1899), ein Pionier in jeder Weise, der auch in organisatorischer Hinsicht als Erbauer der eigenen Musikkultur bezeichnet werden muss. Nach seinen Lehr- und Wanderjahren in Mitteleuropa kehrte Leifs 1950 endgültig nach Island zurück, war dann wesentlich an der Gründung des ersten Orchesters beteiligt, rief Chöre ins Leben und formte junge Kammermusik-Ensembles. In den darauffolgenden achtzehn Jahren schrieb Leifs vorzugsweise Orchesterwerke, Streichquartette und Vokalkompositionen. Nach seinem Tod, 1968, blieb die Partitur seines choreografischen Dramas „Baldur“ immer noch unaufgeführt liegen. Erst im Jahre 2000, als Reykjavík zur Europäischen Kulturhauptstadt ernannt war, wurde der Zweiakter „Baldur“ mit der Opuszahl 34 szenisch-musikalisch realisiert und damit zur posthumen Uraufführung deklariert. Führende Köpfe
Zum Kreis der zeitgenössischen Musiktheater-Komponisten in Island zählen als führende Köpfe Atli Heimir Sveinsson, Thorkell Sigurbjörnsson, Karólína Eiríksdóttir und Haflidi Hallgrimsson. Hallgrimsson ist vom Theater Lübeck, wo nach Worten des Intendanten Marc Adam unter anderem „eine skandinavische Linie fortgeschrieben wird“, mit einer Uraufführung in deutscher Sprache für das Jahr 2004 beauftragt worden. Diese Oper trägt den bewusst irritierenden Titel „Die Wält der Zwischenfälle“ und soll sich inhaltlich, nach den skurrilen Texten des russischen Schriftstellers Daniil Charms, mit politischer Willkür und mit der Zerstörung menschlicher Beziehungen auseinandersetzten. Der produktivste Opernkomponist in Island ist Atli Heimir Sveinsson (geboren 1938). Grundsätzlich gilt er mit seinem kompositorischen Gesamtwerk, mit seinen Ämtern, Funktionen und internationalen Auszeichnungen als der wichtigste Repräsentant der gegenwärtigen isländischen Musikkultur. Als Kosmopolit hat er viele internationale Einflüsse aufgenommen, auch während seiner Studienzeit, die er als Schüler von Bernd Alois Zimmermann und Karlheinz Stockhausen in Köln verbrachte. Sein Opernschaffen eröffnete Sveinsson im Jahre 1980 mit dem Stück „Die Seidentrommel“, gefolgt von einer mit dem Titel „Vikivaki“ überschriebenen Fernsehoper, die von allen fünf nordischen Ländern in arbeitsteiliger Funktion produziert und danach synchron ausgestrahlt wurde. Dichtes MusikschulnetzIsland hat, bezogen auf seine geringe Besiedlung (280.000 Einwohner, von denen über 140.000 in Reykjavík leben, Tendenz steigend), das dichteste Musikschulnetz der Welt. Musik und Literatur gehören so eng zum Alltag und zum Selbstverständnis der Isländer, dass man ohne Übertreibung behaupten kann: Island als Gemeinwesen ist eine kulturtragende Gemeinschaft. Die Komponistenvereinigung, durch Jón Leifs 1945 gegründet, nimmt eine wichtige Rolle ein; aus ihr ging STEF hervor, die der GEMA vergleichbare Urheberrechtsgesellschaft. Die bedeutendsten Kulturträger sind das Reykjavík Byorkester (Städtisches Orchester), das Kammersveit Reykjavík (Kammerorchester) und das Isländische Radio, in dem alle nur vorstellbare inländische Musik ihren festen Platz hat. Die Philharmonische Gesellschaft, 1932 gegründet, fördert zeitgenössische Aktivitäten; in einem Land, dessen Einwohner erst nach dem 2. Weltkrieg ihre Identität zurückerhielten, nicht verwunderlich. OpernboomIn Finnland herrscht seit etwa drei Jahrzehnten geradezu ein Opernboom. Schon vor über 20 Jahren tauchten finnische Opern-komponisten auf deutschen Spielplänen auf und finnische Gesangssolisten – es begann einst mit Martti Talvela und Matti Salminen – sind längst zu wichtigen Größen im internationalen Starbetrieb geworden. Mittlerweile führt Finnland nicht nur die Opernproduktion im gesamten skandinavischen Bereich an, sondern gilt als eine der wichtigsten Opernnationen europaweit. Das betrifft ebenso sehr die Qualität wie auch die Quantität: Nicht nur relativ gesehen finden dort die meisten Opern-Uraufführungen im europäischen Vergleich statt – in manchen der zurückliegenden Jahre basiert dieser statistische Wert sogar auf absoluten Zahlen. Finnland erhielt 1993 institutionell eine neue Nationaloper, und zwar mitten in einer der bedrückendsten ökonomischen Rezessionen des Landes. SavonlinnaDaneben gibt es in Finnland noch eine weitere, international berühmte Institution: die Opernfestspiele von Savonlinna, 300 Kilometer nordöstlich von Helsinki. Bereits zwischen 1912 und 1930 wurden im Innenhof der dortigen Burg Olavinlinna Opern-festspiele abgehalten, die als Vorläufer der nunmehr seit 1967 regelmäßig inszenierten Festspie-le gelten. Die militärisch-historische und die kulturell neue Funktion von Olavinlinna fielen symbolisch zusammen, als 1975 zur 500-Jahr-Feier der Burg Aulis Sallinens Oper „Der Reitersmann“ als Auftragswerk im Rahmen des Festivals uraufgeführt wurde. Sallinens „Reitersmann“ gelangte nach den großen Erfolgen in Savonlinna im Jahre 1980 in Kiel zur deutschen Erstaufführung. Das erste Produkt neuerer Trends kam aus der älteren Generation vom damaligen „grand old man“ der finnischen Musikszene, Joonas Kokkonen, mit seinem Bühnenwerk „Die letzten Versuchungen“ – ein Stoff, der sich mit den für Finnland historisch typischen Glaubensauseinandersetzungen befasst. In unmittelbarer zeitlicher Nähe zu Kokkonen war der Aarre-Merikanto-Schüler Aulis Sallinen aktiv geworden. Seine etwas älteren Komponisten-Kollegen zogen in ihrem Opernschaffen nach und dabei sind zum Beispiel Erik Bergman und besonders Einojuhani Rautavaara (Jahrgang 1928) zu nennen. Rautavaara, dessen Gesamtoeuvre mehr als ein Dutzend abendfüllender Opern, ähnlich viele Sinfonien sowie zahlreiche Orchester- und Kammermusik-Werke umschließt, ist hierzulande durch verschiedenste Aufführungen, Musiktheaterpremieren und CD-Einspielungen bekannt geworden. Opernproduktionen ziehen sich in Finnland quer durch die Reihen der Komponisten und Komponistinnen. Staatliche FörderungDass die Finnen dem Musiktheater recht unkonventionell begegnen, mag an der unterschiedlichen finnischen Kulturgeschichte, mag auch am finnischen Naturell direkt liegen, auf jeden Fall aber werden schon durch die Schulerziehung viele Impulse geliefert. Eine rege Förderung durch den Staat kommt hinzu. Neben der Vergabe gezielter Kompositionsaufträge verfügt das finnische Unterrichtsministerium über ein System von Staatsstipendien, die jungen, aber auch schon etablierten Künstlern über beachtliche Zeiträume zuteil werden. Ebenfalls hoch ist der staatliche Einsatz für den musikalischen Nachwuchs: Neben der renommierten Sibelius-Akademie in Helsinki bestehen im ganzen, flächenmäßig großen Lande staatlich subventionierte Musiklehranstalten, Musikinstitute und Musikschulen, und zwar auch in den entlegensten Winkeln. Die Chormusik ist eine der Wurzeln skandinavischer Musiktradition und kann in ihrer überreichen Fülle nur gestreift werden. Nicht nur, dass sich nationales Selbstbewusstsein bis hin zur Überlebensstrategie hier niederschlug – wie etwa im Falle Islands und der Färöer –, Chorgesang als elementare Ausdrucksbasis für Kunstmusik ist bis heute unabdingbare Voraussetzung jeden künstlerischen Schaffens. Die wichtigsten Impulse erhielt die traditionelle Chormusik durch den Schweden Eric Ericsson, der in Ausbildung und Qualifizierung von Chorleitern international neue Maßstäbe setzte. Zu nennen wären viele herausragende Ensembles und Komponisten, so der Hamrahlidkorinn aus Reykjavík, der finnische Tapiola Chor, der schwedische Gustaf Sjökvist Kammerchor oder der Göteborger Bachchor, Lars Edlund in Schweden, die Jazzchorbewegung in Dänemark und vieles mehr: Verona – das könnte heute auch in Thule zu finden sein! Armin Diedrichsen und Jochem Wolff |
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