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Berichte

Viel Schicksal, Geister ohne Zahl

„Freischütz“ am Staatstheater Darmstadt · Von Rotraut Fischer

Das Rezept des „Freischütz“ scheint einfach: Ein verliebter Jägerbursche, eine tugendhafte Maid, Hölle, Tod und Teufel, verquickt mit Nacht und Sturmesbrausen, Jungfernkranz und wackeren Jägerchören.

 
 

D. Brüggemann (Agathe) und A. Bogner (Ännchen). Foto: C. Illius

 

Personage und Requisiten der Schauerromantik werden aufgeboten, um die Urszene der deutschen romantischen Oper auszustatten und zu bevölkern. Sie verbinden sich mit dem, was die Romantik „das Nationale“ nannte und das im Laufe einer langen Tradition im besten Falle als „volkstümlich“ rezipiert wurde. Leicht ist es nicht, ein solches Gebräu für uns Heutige genießbar in Szene zu setzen, sind uns doch das „Böse“ ebenso wie die „Tugend“ in der Verständigung mit uns selbst wie mit unseren Mitmenschen weitgehend abhanden gekommen. Die Darmstädter Regie trägt diesem Umstand nur allzu sehr Rechnung.

Dirigent Stefan Blunier gibt der Musik Leichtigkeit und Transparenz, indem er sie bis hin zu kammermusikalischem Filigran ausarbeitet. Dabei ebnet er freilich manche Kontraste ein. Doch hat dieses Verfahren das Verdienst, Webers Raffinesse gegenüber einer übermächtigen Dramatik zur Geltung zu bringen.

Was aber der Musik als der „romantischsten unter den Künsten“ noch leicht gelingen mag, wird in der Bildlichkeit der szenischen Konkretion zum Wagestück. Wie kann man das Böse auf die Bühne stellen, das Spektakel der Wolfsschlucht oder auch Agathes böse Ahnungen veranschaulichen, ohne in unerträgliche Klischees abzugleiten? Die Darmstädter Inszenierung vermeidet zwar die Falle der Ausstattungsbühne, steht aber in ihren dramaturgischen Entscheidungen konventionellen Lösungen nahe. Die Bühne besteht aus einem imaginären Felsental, nach hinten bedenklich ansteigend. Auf diesem Schauplatz werden je nach Bedarf Biertische, die Feuerstelle zum Gießen der Freikugeln oder die biedermeierliche Kulisse der Welt Agathes installiert. Diese Wohn- und Schlafzimmerwelt ist der schönste Regieeinfall des Abends, denn sie wird als knappe Schiebewand in die Wildnis hineingestellt, deren Düsterkeit sie gleichwohl umgibt und latent bedroht. Vor dieser Kulisse agieren die Protagonisten der Handlung. Ein hasenherziger, labiler Max, von Scott McAllister wirkungsvoll ausgestattet mit einer Portion selbstquälerischer Schwäche; seine gut geführte, wohlklingende, eher hell getönte Tenorstimme vermittelt den Eindruck jugendlicher Direktheit. So einer begibt sich eher naiv als wissend oder gar berechnend in die Hand des Bösen, hier eines weniger düsteren als draufgängerischen Kaspars, forsch gesungen von Friedemann Kunder. Während Kaspar nur der düsteren Welt draußen zugehört, wechselt Max zwischen dieser und der hellen Sphäre Agathes hin und her. Doris Brüggemann verleiht ihrer Agathe phlegmatische Naivität anstelle der eher zu erwartenden ahnungsvollen Unruhe. Der sängerische Höhepunkt des Abends war Andrea Bogner, deren Auftritt als Ännchen das landläufige Kammerkätzchenklischee weit hinter sich ließ und der Figur Individualität verlieh. Fröhlichkeit und Ernsthaftigkeit haben hier nebeneinander Platz. Der schöne geschmeidige Sopran klingt in den hohen Passagen noch voll und rund, in den tieferen noch hell genug, ein Genuss, den das Publikum dankbar honorierte.

Der Chor hat im „Freischütz“ ebenfalls keinen leichten Part; zu fern ist uns die romantische Begeisterung für das vermeintlich Volkstümliche. Der Chor des Staatstheaters wurde verstärkt durch den Chor des Mozartvereins Darmstadt; beide bildeten zusammen unter der Leitung von André Weiss einen wirkungsvollen und sehr dynamisch agierenden Klangkörper. Die ironische Brechung von soviel männlicher Beherztheit freilich geriet zu derb und war ein willkürlich eingesetzter Effekt. Es war die Entscheidung der Regie, die Handlung von der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg in die der Entstehung der Oper, also des Biedermeiers, zu verlegen. Dieser Kunstgriff lädt dazu ein, das Geschehen aus der Perspektive der Zeit um 1820 zu betrachten. Hinter diesen historischen Aspekt treten psychologische Deutungsmuster zurück, für die die romantische Oper durchaus offen ist. Die Darmstädter Inszenierung bleibt hinter der musikalischen Vorlage zurück. Sie tilgt die metaphysische Dimension des Bösen wie der Tugend, indem sie ihre verbliebenen Symbole zwar noch mit dekorativen Elementen und viel Theaterdonner ausstattet; doch ist auch die Kraft der weißen Rosen bloße Tatsache, kein Hinweis mehr auf einen Sinnhorizont, der essentieller Bestandteil der romantischen Oper ist.

Rotraut Fischer


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