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Umbruchssignal
Peter Aderholds Oper „Luther“ in Erfurt ·
Von Frank Kämpfer
Die Kirche von gestern ist nur mehr Ruine, die Orgel ist in Trümmer
gelegt. Die Künstler feiern Exzesse, die Nonnen werden zu Huren,
die Bauern sind zum Aufstand bereit. Peter Aderholds Oper „Luther“
führt in eine dramatische Umbruchszeit mitteldeutscher Geschichte,
ist aber nur zum Teil biographisch gemeint. Das Libretto skizziert
vielmehr ein Positionengeflecht. Die Titelfigur (Johannes M. Kösters)
erscheint darin als in sich gespalten. Der Reformator hat die Botschaft
der Gleichheit aller vor Gott allen kenntlich gemacht. Andererseits
plagt ihn Schuld, weil die hungernden Bauern schon auf Erden ein
lebbares Leben einfordern. Sein Alter Ego ist Lucas Cranach (Albert
Pesendörfer), der als Künstler ein sinnenfrohes Dasein
im Diesseits auslebt.
Bemerkenswert im sprachlich biederen Text ist ein Geschlechter-Diskurs.
Autor Egon Aderhold entfaltet ihn an der Gestalt der Katharina von
Bora (Kelly God), die mit zwei anderen Nonnen dem Kloster entflieht
und die bürgerliche Ehe anstrebt. Als Trägerin frühen
emanzipatorischen Denkens verweigert sie sich jeder Art Unterwerfung
und schlägt der Titelfigur am Ende eine Lebensgemeinschaft
vor, die auf einem emanzipierten Beziehungsverständnis beruht.
Musikalisch erfährt dieses utopische Moment keine vertiefte
Gestaltung. Peter Aderholds Orchesterpart scheint unter Walter E.
Gugerbauers beherztem Dirigat reich an theatralischen Gesten. Doch
statt Figuren präzise zu zeichnen, werden lediglich Vorgänge
illustriert. Obwohl die Partitur auf einer Reihe basiert, bleibt
ihr Grundklang meist im Grenzbereich des Tonalen. Musikhistorie
– im Stilzitat modern übermalt – hat beim Komponieren
reichlich Pate gestanden. Bläserchoräle, die romantische
Orgel, Hindemiths Theatermusik und die Instrumental-Prosa Wagners
vermischen sich zu einem unpersönlichen Sound.
Peter Aderhold, Jahrgang 1966, hat für seine Erfurter Auftraggeber
geschrieben: Für das nunmehr 59-köpfige Opernorchester
und für Generalintendant Guy Montavon, der seinen hochmodernen,
aber nicht unumstrittenen Theaterneubau mediengerecht zu eröffnen
verstand. Der kompositorische Eklektizismus war vielleicht als vermittelnde
Geste gedacht – um das städtische Publikum, das Oper
bisher als Unterhaltung kennt, nicht zu verschrecken.
Vermutlich aber entscheidet nicht allein die Besucherauslastung,
wie sich das aparte 60-Millionen-Objekt in Zukunft rentiert. Die
spar- und fusionsgeplagte Konkurrenz befürchtet, der „Theaterersatzbau“
hinter dem Erfurter Dom würde kulturpolitisch favorisiert,
um diverse gewachsene Theaterkultur im verschuldeten Freistaat Thüringen
elegant zu entsorgen und die Landeshauptstadt zu profilieren. Die
Stadttheater in Eisenach, Saalfeld, Rudolstadt oder Nordhausen werden
schon im Sommer 2004 neu fusioniert. Im nahen Weimar ließ
sich die geplante Schließung des Opernbetriebs gegen den politischen
Willen für einige Jahre verhindern. Dass Intendant Montavon
in Erfurt sowohl das Ballett als auch das Schauspielensemble auflösen
musste und nurmehr ein reduziertes Orchester betreibt, interpretiert
man in der Region als klares Signal, dass das Ende des kleinstädtischen
Ensembletheaters bevorsteht.
In Zeiten wirtschaftlicher Stagnation und schwindender öffentlicher
Finanzen zählen in Sachen Theater-Erhalt aber nur längerfristige
Strategien. Montavons Erfurter Ansatz lässt sich deshalb auch
ganz anders verstehen. Ökonomische Beweglichkeit und Konzentration
der Mittel sorgen für Spielräume. Zum Beispiel für
eine Eröffnungssaison, die verschiedenste Bedürfnisse
berücksichtigen muss, um den nötigen Neuanfang im Ensemble,
beim Publikum und im Feuilleton anzugehen. Die hier geplante Mischung
aus Operette, Belcanto-Oper und Novitäten soll mit Hilfe von
Gastspielen und internationaler Koproduktionen realisierbar werden.
Im Eröffnungsstück „Luther“ wird Kultur sowohl
gerettet als auch zerstört. Gastregisseurin Karoline Gruber
gestaltet den Maler Cranach als Immendorf-Persiflage und stellt
mangels besserer Ideen so die zu-treffende Frage nach der Notwendigkeit,
elitäre Kunst weiter zu subventionieren. Bühnenbildner
Hermann Feuchter hingegen verleiht dem Krieg Dominanz und Aktualität.
Seine zersplitterte Orgel ist die zentrale Metapher der Produktion.
Wenn sich ihre geborstenen Pfeifen als schrottreife Pershings auf
Figuren und Darsteller richten und schließlich gar ins Publikum
drehen, vermittelt sich die Gefährdung aller Kultur durch verantwortungslose
Weltpolitik.
Frank
Kämpfer
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