Rezensionen
Ungebändigt und Gebändigt
Anne Fontaines Film zeigt die Mühen um Maurice Ravels „Boléro“
„Das Theater ist ein Irrenhaus – und die Oper die Abteilung für Unheilbare“, lautet ein bissiges Bonmot. Für die Pariser Kunstszene ab 1900 und erneut nach 1920 muss man nur „der Salon“ und „die Künstler“ einsetzen. Das zeigt so anschaulich wie reizvoll der neue Film von Regisseurin Anne Fontaine und einem Team von Kennern – passend zu Maurice Ravels 150. Geburtstag am 7. März.

Anne Fontaine, „Bolero“ mit Jeanne Balibar als Ida Rubinstein
„Ein großer Teil meiner Inspiration kommt von Maschinen. Ich liebe es, Fabriken zu besuchen und große Anlagen in Betrieb zu sehen: Es hat etwas Ergreifendes und Großartiges. Es war eine Fabrik, die den Boléro inspiriert hat. Ich wünschte, man würde ihn immer vor einer Kulisse im Fabrikstil tanzen lassen.“ Das schrieb Ravel 1932 an den „Evening Standard“. So beginnt auch der ruhig reihende Film. Genaues Hinhören wird schon im Vorspann gefordert: Geräusche von Damenschuhen auf regennassem Schotter, gleichmäßiges Gehen, dann rhythmisches Maschinengedonner – Ravel geht 1927 mit der Skandal-Tänzerin Ida Rubinstein durch eine Fabrik in vollem Betrieb; sie bittet um ein „spanisches Ballett“ für sich; er imaginiert, dass es in einer solchen Rhythmushalle spielen könnte…
Nach diesem Beginn hat Regisseurin und Drehbuch-Koautorin mit ihrem Team kein enthusiasmierendes, gar rauschhaftes Künstlerporträt geschrieben und gedreht: Ihr Film-Ravel bleibt so distanziert wie ein kritisch-analytischer Blick auf seine Biografie. Es mag die baskische Mutter sein und der frühkindliche Einfluss des Geburtsorts Ciboure im französischen Baskenland – Ravel wird zutreffend als leicht verschlossen wirkender Künstler gezeigt, immer wieder vereinzelt, mit sich, dem Komponieren und den Frauen ringend. Feines Vogelzwitschern, viel Ähnliches bis zum intimen Überstreifen langer Handschuhe auf Frauenarme, kontrastierend aber mehrfach Maschinen-Rhythmik – all das wird als Anregung seiner Sinne gezeigt. Dazu bilden die edlen, Champagner-durchzogenen Salons, mehr noch die höchst geschmackvollen Kostüme von Anaïs Romand, gipfelnd in den Selbstinszenierungen der Monomanin Ida Rubinstein, einen schönen Kontrast.
Dass in den heutigen Museums-Räumen von Ravels Wohnhaus „Le Belvédère“ in Monfort-l’Amaury und an seinem Klavier gedreht werden durfte, verleiht etlichen Szenen zusätzliche Authentizität. Dazu sind Ravels Weltgeltung zu Lebzeiten als vorbeiziehende Konzertpodien zwischen Boston, Detroit, Chicago und New York gekonnt eingearbeitet. Andere Kompositionen klingen an. Ida Rubinstein fordert „Temperament vulcanique“, hat nichts gegen Assoziationen zur „Hure Babylon“, was er verabscheut und um die gewünschten „17 Minuten“ des „Bolero“ ringt. Die erfolgreiche, von ihr erotisch aufgeladene Uraufführung von 1928. zeigt ihn in der Opernloge trotz Beifall typisch steif und eher scheu. „Ich habe nur ein Meisterwerk geschaffen, und das ist der Bolero; leider ist er leer von Musik“, ließ er 1934 Arthur Honegger wissen – während das Werk schon weltweit nicht nur in Konzertsälen reüssierte, später selbst in Afrika von Kindern gehüpft oder von einem Frank Zappa auf der E-Gitarre umspielt wurde.
Ravels einzigartiges, weil fünfmaliges Scheitern beim „Prix de Rome“, sein freiwilliger Sanitätsdienst ab 1914, der ihn kompositorisch hemmende Tod der geliebten Mutter, die lebenslange Freundschaft zu Cipa Godebski und die ebenso lange, von zarter Erotik durchzogene Seelen-Freundschaft zu dessen Schwester Misia sind nie chronologisch, sondern wie wechselnde Erinnerungen im Bewusstseinsstrom gereiht – wie wenn an Joyce und Proust gedacht worden wäre, ohne jede hektisch-schnelle Schnitttechnik. Diese ruhige Distanz kennzeichnet auch das verhalten expressive Spiel von Raphaël Personnaz als Ravel.
Damit beeindrucken ebenso die von Doria Tillier verkörperte Lebensfreundin Misia sowie Jeanne Balibars tanzend-turtelnde Ida Rubinstein, Emmanuelle Devos’ mütterliche Marguerite… weiter bis zum lebenslangen Freund Cipa von Vincent Perez. Ein kluger und treffender Film, bei dessen Schluss Ravel ein Himmelsorchester dirigiert, spektakulär durchtanzt vom Pariser Star-Solisten François Alú.
Wolf-Dieter Peter |