Hintergrund
Künstliche Intelligenz
Und ihre Auswirkungen auf Live-Darbietungen
Von Jörg Löwer
Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) ist eine der prägendsten technologischen Transformationen der letzten Jahre, die längst alle Bereiche der Gesellschaft erfasst hat – so auch den Kulturbereich. Künstlerische Berufe und Kulturinstitutionen sehen sich zunehmend neuen Technologien gegenüber, die das kreative Schaffen, die Produktion und den Konsum von Kunst beeinflussen.
Wie verändert KI Live-Darbietungen? Welche Herausforderungen eröffnen sich? Diese Fragen greift der vorliegende Artikel auf, der sich zum einen auf die Studie „AI Unplugged: The Perspective of the Live Performance Sector“ von Agnieszka Paczyńska stützt. Zum anderen fließen Erkenntnisse eines Seminars ein, auf dem Gewerkschaften und Arbeitgeber der Branche die Entwicklung auf Einladung der EU-Kommission kritisch analysierten.
KI-Systeme sind nicht mehr nur ein Konzept der Zukunft, sondern längst Teil unseres Alltags. Die ersten Anwendungen, etwa bei der Internetsuche, sind etabliert. Doch in den letzten Jahren hat der technologische Fortschritt einen regelrechten KI-Boom ausgelöst. Besonders bemerkenswert ist die sogenannte generative KI, die in der Lage ist, Texte, Bilder, Videos, Töne oder andere Daten als Antwort auf Eingabeaufforderungen zu erzeugen. Dies wird möglich, weil die zugrunde liegenden Modelle die Struktur und Muster ihrer Trainingsdaten erlernen und diese dann verwenden, um neue Inhalte zu generieren.
Dieser rasante Fortschritt spiegelt sich in massiven Investitionen in Unternehmen wider, die an der Spitze der KI-Forschung stehen und führt zu intensiven öffentlichen Debatten um Regulierungen, die den technologischen Fortschritt mit sozialen und ethischen Anforderungen in Einklang bringen sollen.

AΦE, KI-generierte Tänzerin „LILITH.AEON: Mein Wohnsitz – ein Würfel“. Foto: Shane Obenson
Bereits seit Jahrzehnten sind Experimente mit Algorithmen und Computern ein fester Bestandteil der darstellenden Kunst. Ein frühes Beispiel ist der Choreograf Merce Cunningham, der 1995 mit einem Programm zur Manipulation von Avataren auf einem Bildschirm arbeitete. In der heutigen Zeit sind KI-Tools ein Instrument, um die Ausdruckskraft der menschlichen Künstler*innen zu erweitern und sogar das Publikum aktiv in den kreativen Prozess einzubeziehen. Ein Beispiel ist aktuell die AΦE Tanzkompanie, die im Oktober 2024 eine Tanzproduktion mit einer KI-gesteuerten Protagonistin auf die Bühne brachte. Hierbei wird die KI-Tänzerin während der Aufführung auf einem LED-Würfel gezeigt, dessen Bewegung durch das Publikum beeinflusst werden kann – und diese Bewegung wiederum löst spezifische Tanzbewegungen der KI aus. Künstler*innen sind sich größtenteils einig, dass es bei der Interaktion mit KI nicht darum geht, den menschlichen Körper zu ersetzen, sondern ihn in Aufführungen zu integrieren und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten zu nutzen. KI-gestützte Anwendungen finden nicht nur auf der Bühne ihren Einsatz, sondern auch in Bereichen wie der Sicherheit. Ein Beispiel ist der Einsatz von KI bei Konzerten von Taylor Swift, um potenzielle Stalker*innen zu identifizieren und die Sicherheit der Aufführungen zu erhöhen. Weitere Anwendungen von KI-basierten Tools beinhalten etwa die automatische Übersetzung von Inhalten in verschiedene Sprachen oder die Analyse von Social-Media-Reaktionen auf Live-Darbietungen, um die Reaktionen des Publikums besser zu verstehen.
Gesetzliche Regulierungen
Neben diesen praktischen Anwendungen gibt es auch eine rechtliche Dimension, die zunehmend in den Vordergrund tritt. So trat im August 2024 das EU-Gesetz über Künstliche Intelligenz in Kraft – der weltweit umfassendste Versuch, KI auf gesetzlicher Ebene zu regulieren. Das KI-Gesetz verfolgt einen risikobasierten Ansatz, bei dem KI-Systeme in mehrere Risikokategorien eingeteilt werden und die jeweilige Regulierung von diesem Risiko abhängt:
KI-Systeme, die in eine inakzeptable Risikokategorie fallen, sind verboten. Beispiele hierfür sind missbräuchliche Anwendungen in Bezug auf Alter, Behinderung sowie sozialer und wirtschaftlicher Situation oder auch KI-Systeme, die Gesichtserkennungsdatenbanken durch ungezieltes Scraping (Datenextration) aus dem Internet oder aus Videoüberwachungsmaterial erstellen.
Für KI-Systeme, die als risikoreich eingestuft werden, gelten strenge Regeln. Bevor solche Produkte auf den Markt kommen können, müssen sie angemessene Systeme zur Risikobewertung und -minderung einrichten. Beispiele für Systeme dieser Kategorie, die für die Sozialpartner von Interesse sein könnten, sind KI-Technologien, die in Arbeitsverhältnissen verwendet werden, wie beispielsweise Software zur Sortierung von Lebensläufen für Einstellungsverfahren oder digitale Casting-Tools.
Was Systeme mit begrenztem Risiko betrifft, sind spezifische Transparenzanforderungen für bestimmte KI-Anwendungen ein wichtiges Element des KI-Gesetzes, wenn etwa ein klares Risiko der Manipulation (zum Beispiel durch den Einsatz von Chatbots) oder für Deepfakes (verfälschte Bilder, Tonaufzeichnungen oder Videos) besteht. Ziel ist es, den Benutzer*innen bewusst zu machen, dass sie mit einer Maschine interagieren. KI-Systeme, die in die Kategorie des minimalen Risikos fallen, können ohne zusätzliche rechtliche Verpflichtungen des KI-Gesetzes entwickelt und verwendet werden.

AΦE, Robotic Dance Artwork „The New World Order (TNWO)“, bei der CINARS Pitch Session 2024. Foto: Shane Obenson
Von besonderem Interesse für die darstellende Kunst bei Live-Darbietungen sind Bestimmungen im Zusammenhang mit generativer KI. Die Verordnung führt ein Konzept für KI-Modelle mit Allgemeinem Verwendungszweck (GPAI) ein, das heißt Modelle, die eine erhebliche Allgemeingültigkeit aufweisen und eine breite Palette unterschiedlicher Aufgaben kompetent ausführen können. Dazu gehören beliebte generative KI-Modelle wie ChatGPT. Wichtig ist, dass alle Anbieter von GPAI-Modellen, einschließlich der Modelle, die kostenlos und unter einer offenen Lizenz stehen, unter anderem verpflichtet sind, eine ausreichend detaillierte Zusammenfassung über die für das Training des Modells verwendeten Inhalte zu erstellen und öffentlich zugänglich zu machen. Die Vorschriften zu GPAI werden im August 2025 in Kraft treten, ein Jahr vor dem vollständigen Inkrafttreten des KI-Gesetzes.
Transparenzpflichten sind auch für den Sektor der Live-Darbietungen von großer Bedeutung. Insbesondere Artikel 50 des KI-Gesetzes verlangt, dass Betreiber eines KI-Systems, das Bild-, Audio- oder Videoinhalte generiert oder manipuliert, die ein Deepfake darstellen, offenlegen müssen, dass die Inhalte künstlich generiert oder manipuliert wurden.
Die lebhafte öffentliche und politische Debatte über die Vorschriften und ihre Umsetzung hält an. Dazu gehören Aspekte im Zusammenhang mit Text- und Data-Mining-Aktivitäten (Auswertung großer Mengen von Texten oder Daten). Im Großen und Ganzen besteht eine erhebliche Spannung zwischen der Wahrung der Interessen der Inhaber*innen von Inhaltsrechten (etwa Ton- oder Videoaufnahmen von Darsteller*innen) und dem Ziel, günstige Bedingungen für die Weiterentwicklung von KI-Systemen zu gewährleisten.
Die Künstlergewerkschaften betonen international die Notwendigkeit klarer Zustimmungsmechanismen, fairer Vergütung und Transparenz, wenn urheberrechtlich geschützte Werke als Input für generative KI verwendet werden. Ein weiteres gemeinsames Anliegen betrifft den möglichen Missbrauch von Abbildungen, Stimmen und Darbietungen. Der Schutz dieser biometrischen Daten sollte vor allem im Rahmen des Datenschutzes erfolgen, wird jedoch nicht effektiv umgesetzt. Das Scraping solcher Daten wirkt sich auf den Lebensunterhalt der Künstler*innen aus, setzt aber alle Menschen dem Risiko von Deepfakes aus. Der Ruf nach rechtlichen Rahmenbedingungen zum Schutz der Urheber*innen und ausübenden Künstler*innen ist ein wiederkehrendes Thema, wobei alle Parteien aktualisierte Vorschriften fordern, die widerspiegeln, wie KI die Nutzung künstlerischer Schöpfungen verändert. Das Eintreten für Transparenz bei der Datennutzung sowie eine klare Kennzeichnung von KI-generierten Inhalten ist ein zentraler Bestandteil dieser Diskussionen, um sicherzustellen, dass die menschliche Kreativität nicht durch Technologie beeinträchtigt wird. Während der Schwerpunkt der Forderungen der Künstlergewerkschaften international auf Risiken und damit verbundenen Handlungsaufforderungen liegt, ist sich der Sektor auch des positiven Potenzials von KI-Systemen bewusst. So betont etwa ein Positionspapier zur britischen Musikpolitik die potenziellen Vorteile, die KI der Musikbranche bringt, etwa eine stärkere Einbindung der Fans und optimierte Verwaltungsabläufe.
Die gemeinsame Erklärung von internationalen Dachverbänden kreativer Beschäftigter, darunter UNI MEI (Dienstleistungsgewerkschaften in Medien, Unterhaltung und Kunst), die FIA (Gewerkschaften der darstellenden Künstler*innen) und die FIM (Musiker*innen-Gewerkschaften) von 2024, weist darauf hin, dass Werke und personenbezogene Daten von Künstler*innen in großem Umfang von der KI-Industrie bereits verwendet wurden, ohne dass diese die Möglichkeit hatten, ihre Rechte zu beanspruchen und dafür eine Vergütung zu erhalten.
Daher fordert die Erklärung neben der Forderung nach einer wirksamen Umsetzung des KI-Gesetzes auch weitere Arbeiten zur Beseitigung rechtlicher Unklarheiten und zur Verankerung von Transparenz, informierter Zustimmung und Vergütung im Rechtsrahmen.
Chancen und Risiken
Hervorzuheben sind gleichermaßen Chancen und Risiken der KI für den Sektor der Live-Darbietungen. Wie bei jeder neuen Technologie bleiben das genaue Tempo der KI-Implementierung und die Art ihrer Auswirkungen ungewiss. KI-Tools bieten Möglichkeiten, neue Funktionen einzuführen und die kreativen Grenzen von Live-Auftritten zu erweitern. So kann KI verwendet werden, um neuartige Lichtdesigns oder Bühneneffekte zu generieren. Beispielsweise könnten KI-gestützte Musikkompositionstools Komponist*innen und Sounddesigner*innen dabei helfen, komplexe Partituren zu erstellen. Darüber hinaus kann KI interaktive, immersive Erlebnisse schaffen, bei denen digitale Elemente unmittelbar auf die Aktionen der Darsteller*innen reagieren.

AΦE, KI-generierte Tänzerin „LILITH.AEON: Mein Wohnsitz – ein Würfel“. Foto: Shane Obenson
Es ist noch nicht klar, wie und wie schnell es möglich sein könnte, dass KI-Technologie praktikable Alternativen für bestimmte Produktionselemente und sogar Kosteneinsparungen bietet. Es sind Szenarien vorstellbar, in denen beispielsweise KI-Elemente, die mit Live-Darsteller*innen interagieren, den Bedarf an großen Ensembles oder teuren Bühnenbildern verringern (oder Backup-Lösungen bieten könnten, zum Beispiel im Krankheitsfall eines Teammitglieds).
In der unmittelbareren und leichter vorhersehbaren Zukunft besteht das Potenzial, dass KI die Nachfrage nach Live-Auftritten indirekt unterstützt. Wenn KI zu wirtschaftsweiten Produktivitätsgewinnen führt, könnten die verfügbaren Einkommen steigen, sodass sich mehr Menschen Live-Auftritte leisten und diese besuchen können.
Außerdem könnten die Menschen, da KI und virtuelle Interaktionen im Alltag immer häufiger zum Einsatz kommen, eine größere Wertschätzung für persönliche Live-Erlebnisse entwickeln. Der Kontrast zwischen virtuellen und realen Begegnungen könnte die Nachfrage nach authentischer menschlicher Interaktion steigern, da die emotionale Resonanz einer Aufführung nicht durch Technologie reproduziert werden kann.
Wenn die KI-Tools zu wesentlichen Verbesserungen von Sicherheitssystemen, zur Steuerung von Publikumsströmen sowie bei der Verwendung von Ton und Licht führen, kann dies weitreichende positive Auswirkungen haben. Ein weiteres Potenzial liegt in der Verbesserung der Zugänglichkeit: KI könnte dabei helfen, Sprachbarrieren zu überwinden oder Live-Events für Menschen mit Behinderungen zugänglicher zu machen, etwa durch Transkription oder Übersetzungen in Echtzeit. Es besteht auch Potenzial, die Produktivität und Effektivität der Arbeit zu steigern. Dies kann sich auf die Rationalisierung von Büroaufgaben und die Reduzierung einiger Verwaltungslasten beziehen, um den Mitarbeiter*innen mehr Zeit für strategischere Aktivitäten zu geben. Sie kann so die Zufriedenheit mit dem Arbeitsinhalt erhöhen, da sie Zeit freisetzt, die es ermöglicht, sich auf andere (lohnendere) Aspekte der Arbeit zu konzentrieren.
Eines der Hauptrisiken von KI ist ihre mögliche Auswirkung auf das Einkommen der Künstler*innen aus urheberrechtlich geschützten Leistungen. Mit der Zunahme von KI-generierten Inhalten könnten sie einen Rückgang der Tantiemen und Lizenzgebühren erleben, die traditionell aus ihrer Arbeit stammen.
Wie so oft bei technologischen Veränderungen wird KI wahrscheinlich zu Verschiebungen der Arbeitsnachfrage führen. Es ist zu erwarten, dass die Nachfrage nach einigen Berufen zurückgehen wird. Dies kann beispielsweise bestimmte Jobs betreffen, die Künstler*innen außerhalb von Live-Auftritten ausüben, wie Synchronisation oder Schauspiel für Videospiele. Generative KI, die menschliche Stimmen und Darbietungen nachbilden kann, stellt eine direkte Bedrohung für diese Tätigkeiten dar. Des Weiteren müssen Menschen in bestimmten technischen Berufen im Zusammenhang mit Live-Auftritten, wie Ton- oder Lichtdesign, möglicherweise umgeschult werden oder zusätzliche Fähigkeiten erwerben. Dies kann Druck auf menschliche Fachkräfte in diesen Bereichen ausüben und bestimmte Beschäftigungsmöglichkeiten verringern. Die Geschichte des technologischen Wandels in der Vergangenheit lässt darauf schließen, dass dieses Risiko wahrscheinlich durch eine steigende Nachfrage nach anderen Tätigkeiten ausgeglichen wird – dennoch kann der Übergang für manche Berufsgruppen schwierig sein.
Die Manipulation des Bildes von Künstler*innen durch Deepfakes birgt außerdem ernsthafte Risiken. KI-generierte Bilder, Videos oder Audioclips können Künstler*innen auf schädliche Weise falsch darstellen. Der Missbrauch des Bildes oder der Stimme kann dem Ruf schaden und sich direkt auf Beschäftigungsmöglichkeiten und Einkommen auswirken.
Obwohl historische Beispiele zeigen, dass technologische Fortschritte wie Radio, Fernsehen und Streaming die Nachfrage nach Live-Auftritten nicht verringert haben, bleibt die Unsicherheit darüber bestehen, wie der zunehmend einfachere Zugang zu KI-generierten Inhalten das zukünftige Publikumsverhalten beeinflussen könnte. Eine verstärkte Exposition gegenüber KI-Produktionen, die algorithmusbasiert auf bestehende Muster zurückgreifen, könnte letztlich die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen und die Offenheit des Publikums für experimentellere Live-Auftritte verringern. Zudem besteht das Risiko in der Schaffung von KI-gestützten Inhalten, die so überzeugend sind, dass das Publikum den Unterschied zwischen authentischen, menschlichen Darbietungen und den von Maschinen erzeugten Inhalten nicht mehr wahrnehmen kann. Dies könnte zu einer verringerten Nachfrage nach echten Live-Darbietungen führen, da die virtuelle Repräsentation in der Kunst immer realer wird.
Neben diesen kulturellen Herausforderungen gibt es auch ökologische Bedenken, da die Rechenleistung, die für die Erstellung und Verarbeitung von KI-Inhalten erforderlich ist, enorme Mengen an Energie verbraucht und damit Fragen zur Nachhaltigkeit aufwirft.
Schlussfolgerung
Die KI-gestützten Technologien und Tools werden bleiben. Ihr Potenzial, den Sektor der Live-Darbietungen neu zu gestalten, ist beträchtlich, obwohl ihr volles Ausmaß noch unklar ist. In allen Bereichen der Branche finden Experimente mit KI statt. Die fortlaufende Entwicklung der Technologie birgt sowohl Risiken als auch Chancen für darstellende Künstler*innen.

Jörg Löwer, Posting zum EU-Seminar, mit Teilnehmenden
Daher ist es für die Sozialpartner national und international von entscheidender Bedeutung, auf dem Laufenden zu bleiben und sich aktiv an der öffentlichen Debatte über regulatorische und technologische Entwicklungen zu beteiligen.
Die Auswirkungen der KI auf den Sektor können erheblich sein, und diejenigen, die proaktiv bleiben, werden besser in der Lage sein, sich in dieser sich rasch entwickelnden Landschaft zurechtzufinden.
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