Berichte
Zwischen Komödie und Märchen
Uraufführung der Mannheimer Fassung von Zemlinskys „Kleider machen Leute“ in Cottbus
Die sogenannte „Mannheimer Fassung“ von Alexander Zemlinskys „Kleider machen Leute“ entstand zwischen der Uraufführung 1910 an der Wiener Volksoper und der umfassenden Bearbeitung für das Neue Theater Prag 1922. Diese Fassung ist weitaus näher an der Wiener Erstfassung nach Gottfried Kellers gleichnamiger Novelle aus dem Zyklus „Die Leute von Seldwyla“. Es gibt noch den melancholischen Monolog des Schneiders Wenzel Strapinski nach der Blamage und die seine gemeinsame Zukunft mit der Amtsrat-Tochter Nettchen ermöglichende Aussprache. Erst die Prager Fassung ergänzte das Orchesterzwischenspiel „Der arglistige Böhni“ und die Verteidigungsrede des Schneiders. Zemlinsky hatte sich lange gegen die von seinem Textdichter Leo Feld vorgeschlagene Umarbeitung der Fast-Märchen-Oper zur knappen Komödie gesträubt.

Alexander Zemlinsky, „Kleider machen Leute“ am Theater Cottbus mit Ensemble. Foto: Bernd Schoenberger
Die „Mannheimer Fassung“ gelangte in Mannheim aber nie zur Aufführung. Vier Tage vor der geplanten Premiere begann der Erste Weltkrieg. Der damalige Kapellmeister Artur Bodanzky ging an die New Yorker Met und sein Nachfolger Wilhelm Furtwängler hatte für Zemlinsky keine Sympathien. Nun hat Antony Beaumont das Material zufällig in Washington entdeckt und anhand von 154 durchgestrichenen Seiten diese nie aufgeführte Fassung rekonstruiert, mit der sich Zemlinsky den Bemühungen um eine „neue“ Form der komischen Oper in Abgrenzung zur populären Operette anschloss.
Der Cottbuser GMD Alexander Merzyn setzte mit dem Philharmonischen Orchester die aufrauschenden Farbspiele mit üppiger Transparenz hervorragend um. Zemlinsky tritt hier zu Strauss in ernstzunehmende Konkurrenz. Sein großer Walzer ist genauso betörend wie der aus dem „Rosenkavalier“. Auch Schönbergs Erste Kammersinfonie klingt an und man hört zur Schlussszene die Flöten- und Schellen-Stöße aus Mahlers vierter Sinfonie und den Wintersturm aus Massenets „Werther“. Der Dirigent Zemlinsky kannte nahezu alles aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Das macht die Partitur zu einem eklektizistischen Rätselspiel.
Stephan Märki setzte in seiner letzten Inszenierung als Cottbuser Intendant das Werk mit nüchterner Nonchalance um. Chris Comtesse schärfte mit choreographischem Knowhow die in Gottfried Kellers Schweiz angesiedelte Krähwinkeleien. Opern-, Extra-, Kinder- und Jugendchor (einstudiert von Christian Möbius und Norienne Olberg) entfalteten in den wenigen Auftritten desto geballtere Übergriffe mit pantomimisch modellierter Wucht. Ein pittoresker Teufel (Co-Ballettdirektor Stefan Kulhawec) erwies sich als Prologus zur langen Pantomine, mit der Nettchens bieder-bürokratischer Bewerber Melchior Böhni (trockenes Outfit, pulsierender Bariton: Todd Boyce) den für einen Grafen gehaltenen Schneider Wenzel Strapinski düpiert.
Silvia Merlo und Ulf Stengl bebilderten alles mit animierten Skizzen, wovon die Schneidergesellen (Hardy Brachmann, Ye June Park), Hauptprotagonist Wenzel und die braven Bürgersleute von Goldach alle träumen. Die Aufführung wurde – dem Stücktitel angemessen – ein kleines Kostümwunder. Elina Schnizler machte aus den Chorfrauen und Episodenfiguren (Katharina Kopetzky, Zena Corina Caliţa) modische Ikonen à la Audrey Hepburn.
Es reihten sich ideal sitzende Kombinationen und Anzugkreationen der Herren. Amtsrat (Heiko Walter), Notar (Ulrich Schneider) und Wirt (Nils Stäfe) kommen eher aus dem gehobenen Salonstück als der ordinären Posse. Paul Schweinester ist in der Hauptpartie ein glücklicher Meister mit eloquenten Tenor- und Charaktermöglichkeiten. Er und die hier ins große lyrische Fach wechselnde Anne Martha Schuitemaker trumpfen nicht auf, sondern bleiben auch in den wunderschönen Liedern und Duetten auf reflektierte Art porös. Das Morbide im Glanz und die Sehnsucht nach Stabilität fing die Cottbuser Uraufführung mit bewegender Poesie ein.
Roland H. Dippel |