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Berichte
Verharmlost, verbürgerlicht, verfehlt
Brecht/Weills „Dreigroschenoper“ am Staatstheater Nürnberg
Aus dem kaltschnäuzigen und frechen Stück heiter-satirischen Musiktheaters von Bert Brecht und Kurt Weill, das seit 1928 die Theaterwelt begeisterte und infizierte, hat Regisseur Jens-Daniel Herzog ein harmloses, bürgerliches Trauerspiel gemacht. Zu diesem Zweck hat Musikdramaturg Georg Holzer für das Nürnberger Staatstheater eine eigene „Nürnberger“ Fassung erarbeitet. Statt wie im Original nur sieben spielen im Nürnberger Opernhaus gut zwanzig Musiker, und Brechts Texte wurden dafür gehörig eingedampft. Schlimmer noch: Das Stück verkommt zur revueartigen Show ohne gesellschaftskritischen Biss. Herzog lässt es von singenden Schauspielern und auch von schauspielernden Sängern aus dem Opernensemble des Hauses spielen. Eine Schnapsidee. Zu gravierend sind die technischen, klanglichen und sängerischen Unterschiede. Entweder wird opernhaft oder aber schlecht gesungen. Alles Freche, Aufmüpfige, Subversive des Dreigroschen-Stils, der sich eher am Moritatengesang als am Opernhaften orientiert, bleibt bedauerlicherweise außen vor, auch alles Kantige, Eckige, Charaktervolle. Stattdessen plätschert Schönklang vor sich hin.

Brecht/Weill, „Die Dreigroschenoper“, Staatstheater Nürnberg. Foto: Bettina Stöß
Brechts Gauner-Komödie zelebriert mithilfe von Weills Ohrwurm-Musik die menschliche Schlechtigkeit kaltschnäuzig und rotzfrech. Doch bei Herzog wirkt alle Schlechtigkeit gar nicht so schlecht. Seine Darsteller/Sänger haben keine Chuzpe, es fehlt ihnen an Temperament, und an Spieltempo. Auch dirigentisch mangelt es gehörig an Tempo, Drive und Biss. Herzog zeigt harmlose Leute, die sich einen Jux machen, anstatt kaputte Menschen, die bei Brecht den Kapitalismus dafür verantwortlich machen, dass er Außenseiter schafft und die Menschen brutalisiert. Aber auch Musicalanleihen und Tanzeinlagen, groteske Bordellszenen mit unsagbar fetten Damen und Herren in schlechtsitzenden Nackttrikots (Kostüme Sibylle Gädecke) berühren peinlich (Choreographie Ramses Sigl).
Dem drögen szenischen Geschehen entspricht die sängerische Besetzung: Nur Lisa Mies als Mrs. Peachum hat Weill-Format und überzeugt. Nicolas Frederick Djuren als zahnloser Mackie Messer langweilt. Inga Krischke als Polly schreit sich schrill und musicalhaft durch die Partie. Hans Kittelmann ist ein fast unbeteiligt wirkender, liebenswerter Polizeichef Brown. Michel von Au als Besitzer der Firma „Bettlers Freund“ singt unzureichend. Von Laszivität oder Abgebrühtheit, Verruchtheit oder Raffinement gibt es bei keinem auch nur eine Spur. Alle sind nette Leute, mehr nicht.
Die Menschen sind schlecht. Die Welt ist schlecht. Aber alle machen das Beste daraus. So scheint Herzogs Credo zu lauten. Er wolle diesen „Fatalismus“ als „Rad des Lebens“ auf die Bühne bringen, schrieb er. Mathis Neidhardt hat ihm dafür ein revuehaft illuminiertes Riesenrad gebaut (oder ist es das Glücksrad der Fortuna?) – mit vier drehbaren, gemalten Bühnenbildern. Mackie Messer darf darin kopfüber agieren und singen. Wenn er einsteigt, muss er sich anschnallen. Es darf gelacht werden, der Abend hat etwas von einem Jahrmarkt der Belustigung. Und alle rabiate Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft, um die es doch geht, die politische Stoßrichtung Brechts, läuft ins Leere.
Max Renne dirigiert Weills Dreigroschenoper eher weichgewaschen, beiläufig, routiniert und ohne jede ranschmeißerische Verve. Nein, dieser Haifisch hat, anders als besungen, keine Zähne. Renne vermeidet es, Weills Musik pointiert und scharf zuzuspitzen. Weder von grellem Leierkastensound noch anklagend bitterem Moritatengesang ist etwas zu hören. Die geistvoll parodistische, höchst vitale und modernistisch gebrochene, dabei schwungvolle Musik wirkt lahm, ja langweilig, so langweilig wie Jens-Daniel Herzogs Inszenierung. Die einzige Musiknummer, die zündet, ist der Kanonensong, der denn auch mehrfach intoniert wird.
Dennoch: Der Abend zieht sich und ist eine Enttäuschung auf ganzer Linie!
Dieter David Scholz |