Berichte
Demontage eines Propheten
Mendelssohns Oratorium „Elias“ am Theater Krefeld Mönchengladbach
Diese Produktion ist bemerkenswert, weil sie Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium „Elias“ mit neuer Handlung für die Opernbühne adaptiert und zugleich plastische Szenerien komplett ohne Kulissen schafft. Die Inszenierung ist bereits die neunte des aus Südafrika stammenden Sängers, Regisseurs, Videokünstlers und Kostümbildners Kobie van Rensburg am Theater Krefeld Mönchengladbach.

Felix Mendelssohn Bartholdy, „Elias“ mit (von links) Woongyi Lee, Rafael Bruck, Sofia Poulopoulou und Mona Dima. Foto: Matthias Stutte
Vor dem Bühnenprospekt ist ein Gazevorhang gespannt. Darauf erscheinen mittels Computer und KI animierte Straßenzüge, Gebäude, Säle, Landschaften, qualmende Fabrikschlote, wogende Wassermassen. Die 3D-modulierten Projektionen sind ungleich wandlungsfähiger und kostensparender als analoge Bühnenbilder. Eigentlich nur flächig, eröffnen sie gleichwohl perspektivische Tiefendimensionen, in denen Solisten und Chor wie zwischen realen Aufbauten agieren, auch wenn die Akteure dadurch leicht milchig verschattet werden. Der alttestamentarische Prophet Elias (tragend Rafael Bruck) tritt als Anführer einer Protestbewegung während der großen Dürre in den USA der 1930erJahre auf. Vor hungernden Kindern und Demonstranten wettert er gegen das Königshaus und die Priester des Baal, die das knapp gewordene Wasser privatisiert haben. Der von Michael Preiser einstudierte, von den Niederrheinischen Sinfonikern begleitete und von Giovanni Conti geleitete Chor singt die vielen Klage-, Bitt-, Wut-, Preis- und Dank-Chöre klangschön und kraftvoll in wechselnden Rollen von Israeliten, Baals- und Königsanhängern. Die Anrufung „Baal erhöre uns“ verstärkt aus dem Parkett ein zusätzliches Kollektiv aus Extrachor des Theaters, Niederrheinischem Konzertchor und Crescendo Chor Krefeld. Dennoch sendet Baal kein Feuerzeichen. Das schickt dafür umso machtvoller der neue Gott der Israeliten, der fortan keine anderen Götzen mehr neben sich duldet und seinen gehorsamen Diener Elias kurzerhand alle Priester und Anhänger der alten Religion niedermetzeln lässt. Das Video zeigt den Fanatiker mit Maschinengewehr wild um sich ballernd.
Manche Projektionen machen viel Effekt, aber wenig Sinn. Während einer Elias-Arie schwebt das Inventar eines Krankenhauszimmers umher und landet pünktlich zum Schlusstakt wieder an Ort und Stelle. Die Visualisierungen von Wirbelsturm, Erdbeben und Feuersbrunst erscheinen bewusst hohl, weil Gott darin eben gerade nicht erscheint. Den toten Knaben einer Witwe (strahlend Sofia Poulopoulou) erweckt Elias medizinisch korrekt mit einem Defibrillator zum Leben. Das entlarvt den heiligen Mann als Sektenführer, der Aktionen und Medien zu gezielter Meinungsmanipulation einsetzt. Am Ende wird er als Terrorist inhaftiert und auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Sein Gefolge stilisiert ihn daraufhin zum Märtyrer, der mit einem feurigen Wagen gen Himmel gefahren sei.
Andere Bilder bleiben vage. Über dem in der Wüste schlafenden Propheten flattern Seraphine, von denen unklar bleibt, ob sie ernst gemeint oder Kritik an christlichem Bilderkitsch sind. Und warum spielt die Handlung während der Great Depression? Warum wird sie nicht gleich ins Hier und Heute verlegt oder unter Evangelikalen angesiedelt, die Präsident Trump als Gesandten der Vorsehung verehren? Warum erscheinen König und Königin old-fashioned
tatsächlich als Monarchen und nicht als mächtige Industriebosse, Oligarchen, Techno-Milliardäre?
Am Schluss verzieht sich der Gazeschleier, und man sieht alle Gesichter gestochen scharf. Der vereinigte Riesenchor singt den feierlichen Schluss wie im Oratorium rein konzertant. Die darüber projizierte Frage „Braucht der Mensch noch eine Religion, die Gewalt predigt?“ wäre verzichtbar gewesen, weil deren Verneinung selbstverständlich sein sollte.
Stattdessen ruft die Frage den alten christlichen Antisemitismus gegen das von Gewaltakten strotzende jüdische Alte Testaments wach, der zuvor schon in der Beschwörung des bald kommenden Messias, Friedensfürsten und Verkünders der Nächstenliebe des Neuen Testaments steckte.
Rainer Nonnenmann |